Bei dem Jungen, um den es geht, wurde die Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) in der dritten Klasse festgestellt. Das war 2011, er war neun Jahre alt. Die Mutter, mit einem weiteren Sohn alleinerziehend, beantragte beim Jobcenter im Bad Segeberg, von dem sie damals Unterhaltsleistungen bezog, dass es die Kosten für Extra-Unterricht bei der Volkshochschule übernimmt. Das Jobcenter lehnte mit Bescheid vom Sommer 2012 die Zahlung ab. Das Argument: Kurzfristige Nachhilfe, um die Versetzung zu schaffen, kann bezuschusst werden, aber keine dauerhaften Förderkurse.
Jobcenter zog bis vor das Bundessozialgericht
2013 wandte sich die Mutter an Iris Reitt, Anwältin für Sozialrecht. Für sie und ihre Mandanten begann damit ein langwieriger Rechtsstreit. Im Herbst 2013 gewannen die Bad Segeberger ihre Klage beim Sozialgericht Lübeck, doch das Jobcenter ging in Berufung. Beim Landessozialgericht in Schleswig erging Anfang 2017 das Urteil, und erneut hieß es: Das Jobcenter muss zahlen. Die Behörde ging wieder in Revision. So landete der Fall vor dem Bundessozialgericht in Kassel. Es entschied Ende April dieses Jahres: Das Landessozialgericht hatte Recht, und dem Kläger, also dem Jungen, sei die Lernförderung zu gewähren. Es ging um Kosten von knapp 2000 Euro.
Noch steht die Langfassung der Urteilsbegründung aus. Die mit dem Fall befasste Sachbearbeiterin in der Widerspruchsstelle beim Bad Segeberger Jobcenter sagt: „Da schlagen zwei Herzen in der Brust, juristisch kann man über das Urteil streiten, aber menschlich gesehen gewinnen die Kinder.“ Die Angelegenheit ist zudem beileibe kein exotischer Einzelfall, sondern nach ihrer Schätzung sind 2 bis 3 Prozent der Kinder, deren Familien Unterhaltsleistungen erhalten, davon betroffen. Insofern ist das Kasseler Urteil von grundsätzlicher Bedeutung.