Dieser Fall wirft viele Fragen auf: Zwei serbisch sprechende Männer sollen am Wochenende in Hannover eine 76-jährige Frau aus einer Stadtbahn heraus entführt und fast zwei Tage lang in einem Rohbau festgehalten haben. Der Vorfall ereignete sich bereits am Sonnabend, nach mehr als 33 Stunden ließen die Räuber ihr Opfer wieder frei. Besonders rätselhaft: Die Seniorin erhielt von den Unbekannten ihre Handtasche mitsamt Wertsachen zurück und auch sonst fügten die Männer der Frau kein Leid zu, berichtet die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“.
Laut Polizei nahm die Deutsche mit indischen Wurzeln am Sonnabend gegen 15.30 Uhr am Aegidientorplatz eine Stadtbahn der Linie 6 in Richtung Messe-Ost. „Kurze Zeit später setzten sich die beiden Täter direkt neben sie“, sagt Polizeisprecher Mirco Nowak. Als die 76-Jährige an einer Haltestelle aussteigen wollte, „hinderte einer der Männer sie daran, indem er sein Bein in den Gang stellte“. Die Täter zwangen ihr Opfer, noch vier Stopps weiter zu fahren.
Räuber entführen Opfer in Rohbau
Die mit einem Messer bewaffneten Räuber sollen die ältere Frau gezwungen haben, in einen rund 300 Meter entfernten Rohbau in Bemerode mitzukommen. Sie nahmen ihr die Handtasche ab und hielten die 76-Jährige über das Wochenende in einer Penthouse-Wohnung in der vierten Etage fest. Erst am Montag gegen 1 Uhr – anderthalb Tage später – durfte die 76-Jährige wieder gehen. Auf ihrer Flucht stürzte sie und verletzte sich leicht, erst von zu Hause verständigte sie die Polizei. Diese ermittelt nun wegen versuchter, schwerer räuberischer Erpressung und Freiheitsberaubung.
Der Fall wirft zahlreiche Fragen auf. Der Grund für die Entführung ist unbekannt. Eine Beziehungstat schließt die Polizei aus, ausgeraubt wurde die 76-Jährige letztlich auch nicht. Ebenfalls unbeantwortet lässt die Polizei die Frage, was Täter und Opfer während der 33 Stunden im Rohbau machten. Offen ist zudem, wieso die Seniorin genau erkannte, dass sich ihre Entführer untereinander auf Serbisch unterhielten. Mit ihrem Opfer kommunizierten die Männer auf Deutsch – wenn auch mit Akzent. Die Spurensicherung untersuchte am Montag die Penthouse-Wohnung, die Beamten schweigen aber zu möglichen Beweisfunden für die Entführung. „Aufgrund der Gesamtumstände halten wir die Schilderungen aber für glaubwürdig“, so Nowak.
Mehrere Bauarbeiter hatten den Polizeieinsatz am Montag bemerkt. „Sie waren mit der kleinen, zierlichen Frau hier, die ihnen die Wohnung zeigte“, sagt einer von ihnen. Die 76-Jährige habe mitgenommen gewirkt. Zur Zeit der Entführung waren keine Arbeiter im Gebäude, der letzte Maler verließ die Baustelle nach eigenen Angaben am Sonnabend gegen 13 Uhr. Der Zaun ist laut Hinweisschildern alarmgesichert und an Wochenenden verschlossen. Doch auch hier: Die Anlage hatte offenbar nicht ausgelöst, die bauende Grundstücksgesellschaft erfuhr erst am Montag durch die Polizei von der Entführung.
Polizei prüft Videobänder
Die Ermittler haben Videoaufzeichnungen der Stadtbahngesellschaft Üstra sichergestellt, um weitere Hinweise zu den Kidnappern zu erhalten. Die Chancen nach der 33-stündigen Entführung stehen allerdings schlecht: Laut Üstra werden die Aufnahmen in den Stadtbahnen aus Datenschutzgründen bereits nach 24 Stunden unwiederbringlich überschrieben, „lediglich in den U-Bahnstationen bleiben sie 48 Stunden erhalten“, sagt Sprecher Udo Iwannek. Somit zeigen womöglich nur die Bänder vom Aegi die beiden Täter und ihr späteres Opfer.
Von Peer Hellerling/HAZ/RND