Mit dem Duft von Fischen groß geworden

„Das holen wir alles im nächsten Jahr nach“, verspricht Hans-Jürgen Künnemann (67), den alle nur „Hanni“ nennen. „Dann heißt es eben: Wir werden 100 und eins. Das hört sich doch auch gut an.“ Würdigen wollen wir so ein ungewöhnliches Jubiläum trotzdem. Ein Besuch im Frischfisch-Paradies. Im Garten stand einst ein Fischbassin: Auf Bergen von Eis liegen die Saiblinge, Doraden und Schollen in der Auslage. Alle noch mit glänzenden Augen, was sich hier eigentlich von selbst versteht. Denn daran erkennt man die Frische. Draußen weist eine Tafel darauf hin, dass nur ein Kunde zur Zeit ins Geschäft darf. Hanni hat darunter geschrieben: „Pärchen müssen sich für kurze Zeit mal trennen (ist vielleicht auch mal ganz schön)“. „Das Bedienen war noch nie so entspannt wie jetzt“, sagt Hanni. „Vor Corona waren oft zehn Kunden gleichzeitig im Laden bei drei Bedienungen. Das war eine Hektik ... Jetzt sind wir bestimmt der sicherste Laden in ganz Kiel.“ Während seine Schwester Birgit (59), die inzwischen Müller heißt, den nächsten Kunden bedient, geht es mit Hanni in den Garten hinterm Haus. Hier stand einst ein gekacheltes Fischbassin, wo sich zu Weihnachten und Silvester bis zu 200 Karpfen tummelten. „Die haben wir als Kinder zu den Kunden geliefert“, erzählt Hanni und fügt grinsend hinzu, dass es immer ordentlich Trinkgeld gegeben hätte. Auch wenn er von Kindesbeinen den Fischduft in der Nase hatte, übernehmen wollte er den Laden auf keinen Fall. „Ich hab’ ja gesehen, wie meine Eltern geschuftet haben“, sagt er. „Morgens ging es um 3 Uhr zum Fischmarkt und abends haben sie uns Kinder oft nicht vor 20 Uhr gesehen.“ An eine Fischhändler-Karriere dachten auch sein Bruder Uwe (heute 62) und seine Schwester Birgit nie. So machten alle drei nach der Schule erst einmal eine kaufmännische Ausbildung, um dann irgendwie doch wieder im Laden zu landen. „Purer Zufall“, sagt Hanni knapp. Warum Campino am Blücherplatz vorbeischaute: Blickt man in sein breites Lachen, dann kann der Zufall nicht so falsch gewesen sein. „Ich liebe die Kunden und meine selbstgemachten Fischsalate“, sagt er. Auch wenn er sonntags oft mit Stöhnen an den Beginn der Arbeitswoche denke. „Aber bin ich erst einmal hier, ist das nach fünf Minuten weg.“ Tochter Annemarie (24) schaut kurz vorbei. Zusammen mit ihrem Bruder Hannes (23) wurde sie mit Forellenkaviar und Krabbensalat groß. Ob sie mal das Geschäft übernehmen will? „Schauen wir mal“, sagt sie lachend und zwinkert ihrem Papa zu. „Erst einmal studiere ich Multimedia Production.“ Schon jetzt hilft sie immer mal wieder im Laden aus. Ihr WG-Zimmer hat sie direkt überm Laden. Im Haus wohnt ohnehin die gesamte Familie. Alle Künnemann-Geschwister samt Anhang. Annemarie war übrigens der Grund, warum die Toten Hosen 2017 ein kleines, feines Konzert direkt vor Künnemanns Geschäft gaben. „Ich hatte bei denen noch einen gut“, sagte Hanni und erzählt von einem Hosen-Konzert in den 80ern. Weil die Tour damals Beate Uhse gesponsert hatte, gab‘s kostenlos Kondome. „Tja“, sagt er. „Und eins hat da eben nicht funktioniert.“ Zum Glück. Denn sonst hätte es Annemarie nie gegeben. Hanni hat einen Ordner mit alten Fotos und unzählige Zeitungsartikel mit in den Garten gebracht. So waren schon etliche Promis hier zu Gast wie Schauspielerin Heidi Kabel oder Schlagersänger Jürgen Drews, der Ende der 60er-Jahre im Haus eine Freundin hatte. Auch das Team vom „Perfekten Dinner“ filmte hier Teilnehmer beim Einkaufen von frischem Fisch. Berühmt wurden die Künnemanns bei "Wetten, dass...": Deutschlandweit berühmt wurde Künnemann & Sohn aber wegen „Wetten, dass...“. Der Verleger Hubert Burda verlor 2002 seine Wette und schenkte den Künnemann-Geschwistern eine ganzseitige Werbeanzeige im Magazin „Focus“. Wert: 40 000 Euro. Die Anzeigenentwürfe hat Hanni fein säuberlich in einer Mappe verstaut. Sein Lieblingsbild: Ein Mann überreicht einer Frau einen „Strauß“ Fische. Nicht schlecht ist auch ein Foto von Moderator Thomas Gottschalk, der statt seiner Lockenpracht Rollmöpse auf dem Kopf trägt. „Der war leider ziemlich hochnäsig“, sagt Hanni und holt das Bild hervor, dass es schließlich geworden ist: Ein Kleinkind trägt einen Schnuller mit Fischflosse. Man merkt, Langeweile gibt es im Hause Künnemann nicht. Gleich müssen neue Fischsalate kreiert werden. „Das bringt am meisten Spaß“, sagt Hanni und reibt sich die Hände. „Morgens wache ich oft auf und habe zehn Ideen. Die muss ich dann einfach ausprobieren.“ Mit frischem Seesaibling und Forelle auf dem Silbertablett geht es fürs Foto vor die Tür. Uwe Künnemann lehnt dankend ab: „Ich bin nicht fotogen“, sagt er bescheiden und kümmert sich lieber weiter um die Kunden. Nur ein Fischbassin blieb im Zweiten Weltkrieg übrig: Am 1. Oktober 1920 gründeten Wiebke und Willy Künnemann das Familienunternehmen in Sachen Fisch. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs fiel der Laden in der Wilhelmshavener Straße in Trümmer, nur ein Fischbassin blieb übrig. Aus alten Fischkisten wurde schnell eine Bretterbude als Ersatz gezimmert, aus der dann verkauft wurde. Als 1955 Hans und Martha Künnemann den Laden übernahmen, ließen sie das Haus in der Gneisenaustraße bauen, in dem das Fischgeschäft heute noch zu finden ist. Seit 2002 führen die Künnemann-Geschwister – Hans-Jürgen (67), Uwe (62) und Birgit (59, jetzt eine verheiratete Müller) – offiziell den Betrieb. Im Grunde sind sie aber alle bereits seit den 70er-Jahren fest dabei. Zum Fischmarkt nach Hamburg fährt des Nachts niemand mehr. Vier Lieferanten versorgen „Künnemann & Sohn“ mehrmals die Woche mit frischem Fisch, der im Keller weiterverarbeitet wird. Besonders beliebt bei den Kunden sind die selbstgemachten Salate und die hauseigenen Fischfrikadellen. Weitere Nachrichten aus Kiel lesen Sie hier.

100 Jahre Künnemann in Kiel - Mit dem Duft von Fischen groß geworden