Schwarze Kunst lebt von Hightech

Kiel, Holstenstraße 32, Juni 1864. Drückend warm ist es im Gebäude, in der Luft mischt sich Pioniergeist mit dem Geruch von Blei und Druckfarbe. Wie genau es aussah in den Räumen, in denen die erste Ausgabe der „Kieler Zeitung“ gedruckt wird, lässt sich schwerlich nachvollziehen. Vermutlich verfügte Herausgeber Dr. Wilhelm Ahlmann über eine moderne Zylinderrotationsmaschine, schließlich war sein Verlag ja auch modernen Kommunikationsformen gegenüber aufgeschlossen und als eine der wenigen Adressen der Stadt bereits fernmündlich erreichbar – Telefonnummer: 61. Vom Prinzip her macht diese Zylinderdruckmaschine nichts anderes als das, was bereits Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, Mitte des 15. Jahrhunderts mit seinen beweglichen Lettern tat, und was Ägypter und Mesopotamier bereits im vierten Jahrtausend vor Christus mit ihren Roll- und Stempelsiegeln taten, um Krüge, Urkunden oder Gräber zu versiegeln: drucken. Doch der Zeitungsdruck hat sich radikal gewandelt. KN-Druckzentrum Kiel-Moorsee, Radewisch 2, November 2014. Hier riecht nichts mehr nach Blei. Hier verrichtet auch keine kleine Zylinderdruckmaschine ihren Dienst, sondern ein MAN-Koloss namens „Colorman“: 17 Meter hoch und 650 Tonnen schwer. Eine Maschine, die jedes Jahr 28000 Papierrollen verschlingt, jede eine Tonne schwer und 17 Kilometer lang, und in rasender Geschwindigkeit zu Zeitungen verarbeitet – bis zu 270000 Exemplare pro Tag. Bis hierhin bedarf es vieler Innovationen. Nach Gutenbergs Erfindung erschienen bald zeitungsähnliche Veröffentlichungen, die sogenannten Einblattdrucke. Hergestellt wurden sie auf einer Buchdruckpresse, die Gutenberg aus Pressen für die Weinkelterei weiterentwickelt hatte. Ein Meilenstein war die Erfindung der Zylinderdruckmaschine durch den deutschen Buchdrucker Friedrich Koenig 1812. Zwei Jahre später wurde die Londoner Times als erste Tageszeitung der Welt im Zylinderdruck mit Dampfantrieb hergestellt. Diese Pressen verwenden als Druckform einen Zylinder und benötigen deutlich weniger Anpressdruck als die bis dato üblichen Tiegeldruckpressen. Ermöglicht wurden somit nicht nur größere Formate, sondern auch eine höhere Druckgeschwindigkeit. Einen gigantischen Schub bei Tempo und Auflagenhöhe brachte 1846 die Entwicklung der ersten Rotationsdruckmaschine durch den Amerikaner Richard March Hoe. „Rund auf Rund“ lautet ab jetzt das Druckprinzip, das heißt, sowohl die Druckform als auch der Gegendruck sind zylindrisch. Nur vom zu bedruckenden Papier getrennt rotieren beide Zylinder in gegenläufiger Bewegung. Das war eine technische Revolution, die Auflagen bis zu 20000 Exemplare pro Stunde ermöglichte. 1870 entwickelte Hoe eine Rotationsdruckmaschine, die beide Seiten (Schön- und Widerdruck) in einem Durchgang bedruckte. 24 Jahre später kommt in Kiel die damals größte Druckmaschine zum Einsatz, die die preußische Provinz Schleswig-Holstein aufzubieten hat: Am 20. November 1884 lässt Professor Georg Lehmann-Hohenberg in der Faulstraße 9 eine achtseitige Rotation aufstellen, auf der fortan der KN-Vorläufer Generalanzeiger für Schleswig-Holstein produziert wird. Technischer Fortschritt beim Drucken verlangt auch Innovationen in der Satz-Produktion. So erfordert die Einführung des Rotationsdruckes eine völlig veränderte Druckformherstellung: Bei den Vorläufern, der Tiegel- und der Zylinderdruckpresse, ist die Druckform flach, sie besteht aus den einzelnen Lettern, die Illustrationen waren Holzschnitte oder -stiche. Im Gegensatz dazu benötigt die Rotationsmaschine eine gebogene Druckform. Gelöst wurde das Problem durch die Stereotypie: Von den flachen Druckformen wurden Blei-Abgüsse gefertigt und in Zylinderform gebogen. Die älteste Technik des Setzens ist der Handsatz, der in der Regel 1500 Zeichen pro Stunde ermöglichte. Massiv beschleunigt wird die Arbeit der Setzer durch Ottmar Mergenthaler, der 1884 die erste brauchbare Maschine zum Setzen und Gießen von Schriftzeichen erfindet – eine Maschine, die im Prinzip in 100 Jahren nicht wesentlich verändert worden ist. Bis in die 70er-Jahre kommt auch bei den Kieler Nachrichten die berühmteste aller Setzmaschinen im Einsatz – die „Linotype“: Wie Stenotypisten vor ihrer Schreibmaschine tippten die Maschinensetzer bis zu 6000 Buchstaben in der Stunde, um die Manuskripte der Redakteure in Blei zu setzen. Die fertig gesetzte und von Hand umbrochene Seite wird „gematert“. Das heißt: Unter einer schweren Prägepresse liegt die Zeitungsseite, gesetzt aus Bleibuchstaben in Spiegelschrift. Darüber wird die Maternpappe gelegt, in die sich durch den Druck der Presse das gesetzte Schriftbild tief einprägt. Von dieser Vorlage wird schließlich die halbrunde Bleiplatte gegossen. Für Drucker und Setzer bedeutete das Arbeiten mit Blei eine latente Gesundheitsgefahr. Um einer Bleivergiftung vorzubeugen, stellten viele Betriebe ihren Mitarbeiter eine tägliche Milchration zur Verfügung. Doch um 1960 erscheint das erste Fotosetzgerät auf dem Markt – das Ende der Bleizeit ist eingeläutet. Mit der breiten Einführung des Lichtsatzes geht die Ära der Bleizeit in den 70er- und 80er-Jahren ganz zu Ende. Beim Licht- oder Fotosatz werden die Schriftzeichen mit Hilfe eines optischen (und später optoelektrischen) Verfahrens auf einen Film übertragen, von dem wiederum die Druckvorlage hergestellt wird. Bei dieser Innovation profitierten die Kieler Nachrichten von den Leistungen Rudolf Hells: Der geniale Ingenieur und Erfinder, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg den Hellschreiber – Urahn des Faxgerätes – entwickelte, hatte nach dem Krieg seinen Betrieb nach Kiel verlegt. Weil ein Großteil der elektronischen Satzherstellungsgeräte an der Förde produziert wird, gehören die Kieler Nachrichten zu den Pilotunternehmen von Hell-Siemens bei der Einführung des Lichtsatzes. Etwa zeitgleich mit dem Lichtsatz erobert der Offset- oder Flachdruck die Zeitungsproduktion und löst schließlich den traditionellen Hochdruck komplett ab. Der englische Begriff Offset beschreibt die zweimalige Übertragung der Druckfarbe: von der Druckplatte zunächst auf ein Gummituch und von dort aufs Papier. Den Einstieg ins Offset-Zeitalter markiert für die Kieler Nachrichten 1984 der Neubau des Druckhauses Fleethörn/Treppenstraße. Damals hatte die im Verlagsgebäude installierte Hochdruck-Rotation von Koenig & Bauer mit ihren acht Druckeinheiten und acht Rollenträgern schon fast 20 Jahre auf dem Buckel. Mit der Offset-Rotation Wifag OF 7 aus der Schweiz wird die Zeitung deutlich farbiger: Bot die „Koebau Courier“ bei einem 32-Seiten-Produkt lediglich auf acht Seiten Vierfarbmöglichkeit, so wurden es mit der neuen Maschine 16 Seiten – ein Quantensprung in der Drucktechnologie. Einige Jahre laufe beide Rotationen parallel, die Kieler Nachrichten selbst werden 1992 auf das Offsetverfahren umgestellt. Doch bereits nach wenigen Jahren zeigt sich, dass der nächste Modernisierungs- und Expansionsschritt relativ schnell erfolgen musste. Immer schneller, immer bunter entwickelte sich die Medienwelt. Das Schwarz-Weiß-Bild in der Zeitung wird zum Auslaufmodell. Und auch die Druckkunden setzten mit Blick auf die Unterhaltungs- und Werbewirkung ihrer Produkte immer höhere Maßstäbe. Nur allzu gerne hätte Verleger Christian Heinrich die Erweiterung am alten Standort gesehen, doch diese Variante erwies sich als zu teuer und nicht zukunftsfähig. 1999 schließlich fällt die Entscheidung zum Neubau eines Druckzentrums in Moorsee. Und die Entwicklung geht weiter: Digital- und Inkjet-Druck heißen die Trends, die auch den Zeitungsdruck verändern werden. In Sachen Geschwindigkeit jedoch kann bislang keine Technik dem Offsetdruck das Wasser reichen. Doch der wird durch Automation immer besser. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen Farben noch von Hand gemischt, Gummitücher manuell gewaschen oder Papierrollen mit Manneskraft gewuchtet werden mussten. Aus dem handwerklichen Drucker von einst ist der Medientechnologe geworden – auch bei den Kieler Nachrichten. Vom Leitstand aus wird die MAN-Druckmaschine exakt gesteuert. Hochgradig automatisiert ist auch die Plattenherstellung – lange Zeit der Engpass im Produktionsablauf. Heute werden die Zeitungsseiten per Datenleitung von der Redaktion ins Druckzentrum überspielt und dort mit CTP-Technik (Computer to Plate) auf die Druckplatten übertragen. Das macht den Zeitungsdruck nicht nur schneller und aktueller, sondern auch flexibler – zum Vorteil von Lesern und Anzeigenkunden gleichermaßen.

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