Die Schatten der Vergangenheit

Bereits im Wintersemester 1926/27 etablierte sich in Kiel eine NS-Hochschulgruppe, die im folgenden Semester den Vorstand der Studentenschaft besetzen konnte. Diese NS-Studenten wurden zum eigentlichen Motor der Gleichschaltung. Kurz nachdem die Nazis die Macht 1933 erobert hatten, eskalierte ein Konflikt zwischen der Freien Kieler Studentenschaft und dem Rektorat der CAU dermaßen, dass es an der Uni zu Schlägereien kam. Rektor August Skalweit und der Senat schlossen darauf am 11. Februar die CAU für zunächst drei Tage, bis eine gemeinsame Erklärung den Streit vorerst beendete. Zeitgleich aber begann die Verfolgung von Juden, Kommunisten und generell Andersdenkenden. In Kiel startete die als „Aktion wider den undeutschen Geist“ propagierte Bücherverbrennung auf dem Wilhelmplatz mit einer Versammlung von Studenten, Dozenten und Behördenvertretern. Wie an anderen deutschen Universitäten stieß der verordnete Gleichschaltungsprozess auf keinen größeren Widerstand. Neben der Medizin erwarb sich vor allem die juristische Fakultät als „Stoßtrupp-Fakultät“ einen unrühmlichen Ruf. Junge Juristen wie Karl Larenz und Ernst Huber halfen den Nazis mit Grundsätzen, die allein den „Volksgenossen deutschen Blutes“ Bürgerrechte zugestanden. Die Gleichschaltung zog tiefe Eingriffe in die Universitätsverfassung und im Beamtenrecht nach sich – fast 60 Universitätsangehörige mussten Forschung und Lehre aufgeben, verloren dauerhaft ihre Anstellung oder wurden strafversetzt. Es sind Szenen überliefert, wonach Gelehrte ihre Kollegen mit Knüppeln aus ihren Amtszimmern trieben. Unter den Vertriebenen war auch Walther Schücking, nach dem heute das renommierte Walther-Schücking Institut für Internationales Recht benannt ist. Während der äußerliche Neubeginn der Uni mit dem Aufbau des neuen Campus am Westring nach dem Krieg bald abgeschlossen war, sorgte die braune Vergangenheit im Inneren noch lange für Unruhe. Eine konsequente Aufarbeitung blieb aus. Insbesondere die Studentengeneration der 68er forderte mit Protestaktionen, das Verschweigen endlich zu beenden und sich intensiv mit der Nazi-Vergangenheit ihrer Hochschullehrer zu beschäftigen. Konsequenzen gab es jedoch nur für wenige, wie für den Theologen Martin Redeker. Nachdem eine Vollversammlung Ende 1968 jede weitere Zusammenarbeit mit dem belasteten Professor verweigert hatte, erfolgte wenige Monate später seine Emeritierung. Ein weiterer Skandal war der Fall Werner Catel. Der Leipziger Medizin-Professor war Obergutachter während des Dritten Reiches und als solcher an Massentötungen behinderter Kinder beteiligt. Von 1954 bis 1960 arbeitete Catel als Ordinarius für die Kinderheilkunde an der Kieler Uni. Noch 1984 plante das Präsidium, Catel durch die Errichtung einer Stiftung zu ehren. Dies scheiterte am Widerstand der Studentenschaft und wegen bundesweiter Proteste. Erst 1993 kam es zu einem wichtigen Schritt hin zur Wiedergutmachung: Die damalige Rektorin, Prof. Karin Peschel, erklärte die zwischen 1936 und 1945 erfolgten, politisch motivierten Entziehungen von Doktortiteln durch die CAU für nichtig. Einen Überblick über den Lehrkörper während des Nationalsozialismus wird ab dem 4. Juni das Kieler Gelehrtenverzeichnis verschaffen: Auf Basis neuerer Studien zur Medizin und Theologie und umfassender Archivarbeiten könne der Katalog „damit einen gewichtigen Teil zur Aufarbeitung der CAU im NS-Regime gewährleisten“, versichern die Regionalhistoriker Prof. Oliver Auge und Martin Göllnitz.

350 Jahre CAU Kiel - Die Schatten der Vergangenheit