Abschied vom Kieler Amtsgericht: Torsten Block blickt auf bewegte Zeiten

Torsten Block geht nach 36 Jahren als Richter und 17 Jahren an der Spitze des Kieler Amtsgerichts in den Ruhestand. Warum vor Gericht nicht nur gestritten wird, welche Herausforderungen auf die Justiz warten und welche Bedrohungslage ihm noch heute besonders präsent ist, erzählt der 65-jährige, scheidende Präsident des Amtsgerichts im Interview. Herr Block, nach 17 Jahren an der Spitze des Kieler Amtsgerichts nehmen Sie nun Abschied. Was kommt Ihnen nun in den Kopf? Torsten Block: Je nach Tagesform schwankt das zwischen Wehmut, Freude und Erwartung für das, was noch kommt, denn ich habe noch so manches vor. Aber die Wehmut ist immer wieder mal präsent. Ich bin nahezu jeden Tag gerne ins Gericht gekommen, habe die Zeit hier sehr genossen. Und ich bin mir sicher, dass ich in meinem Beruf meine Fähigkeiten umfassend zum Wohle des Gerichtes und der Justiz insgesamt einsetzen konnte. Sie sind seit 36 Jahren Richter. Warum wollten Sie diesen Beruf ausüben? Ich habe ganz bewusst als Richter angefangen, weil ich den Beruf schon vorher immer attraktiv fand. Mit Menschen zu tun zu haben, Konflikte zu schlichten – das habe ich schon in der Schule als Schülersprecher oft und gerne gemacht. Ich habe auch bis zur letzten Sitzung gerne als Richter gearbeitet, sitze gerne vor den Menschen – so schwierig es manchmal ist – und versuche, mit ihnen zusammen Lösungen für schwierige Situationen zu finden. Insbesondere im Familienrecht liegt das nahe, und die Tätigkeit als Familienrichter habe ich auch als Präsident immer gerne fortgeführt, leider mit nur noch geringeren Arbeitskraftanteilen. Sie sind auch seit vielen Jahren als Mediator tätig. Ja, das war lange ein wichtiger Teil meiner beruflichen Tätigkeit, den ich immer sehr gerne gemacht habe. Gemeinsam mit dem Landgericht Kiel waren wir vor vielen Jahren die ersten Gerichte, die mit der gerichtlichen Mediation angefangen haben. Den Bereich haben wir damals selbst aufgebaut und dann in die Fläche gebracht. Was war der Grundgedanke dahinter? Die Menschen, die sich streiten, wissen eigentlich meistens am besten, wie sie den Streit wieder beilegen können. Natürlich sind die Anwälte mit dabei und wir als Mediatoren. Wir versuchen dann zunächst oft erst mal, die Menschen wieder ins Gespräch miteinander zu bringen. Das ist mühsam und dauert oft seine Zeit. Aber hierauf aufbauend kann man gemeinsam Lösungsoptionen entwickeln, also kommunikativ mit den Problemen umgehen und nicht konfrontativ. Denn häufig sind die größten Experten für die Lösung ihrer Konflikte die Konfliktbeteiligten selbst; sie wissen es nur nicht mehr. Welche Schwierigkeiten gab es zu Beginn? Für uns Richter war das damals ein ganz neues Vorgehen. Mediation war zwar im Prinzip bekannt, dies jedoch im gerichtlichen Rahmen zu machen, war wirklich neu. Bis heute hin müssen wir Richterkollegen überzeugen, ihre Fälle an die Mediationsabteilung abzugeben. Am Anfang war es zudem sehr schwierig, die Anwälte „mitzunehmen“. Dies gelang uns aber zunehmend, weil wir von Anfang an und bis heute beeindruckende Erfolgsquoten hatten. Denn wenn wir ein Verfahren in die Mediation geben, gibt es in etwa 80 Prozent der Fälle am Ende eine Vergleichslösung. Mittlerweile ist die Mediation deshalb auch ein Modell, das im Land weit verbreitet ist. Konflikte im Familienbereich sind oft emotional stark aufgeladen. Warum sind Sie dennoch gerne Familienrichter gewesen? Einerseits erfordert die Tätigkeit als Familienrichter intensive rechtliche Arbeit, andererseits ein sehr kommunikatives Vorgehen, insbesondere bei Kindschaftssachen. In diesen Fällen an die Menschen heranzukommen, sie zu erreichen, ihnen zu helfen – das habe ich immer gerne gemacht. Der Richter als Kommunikator? Ich bin in meiner Zeit hier immer für ein bestimmtes Richterbild eingetreten. Natürlich gibt es die richterliche Unabhängigkeit, die ich auch bis zuletzt aus tiefer Überzeugung verteidigen würde. Aber am Ende sind wir doch auch Dienstleister am Bürger – nicht mehr und nicht weniger. Es ist ganz wichtig, kommunikativ mit den Menschen umzugehen. Dann werden wir auch am ehesten respektiert. Neben dem Richterbild wandelt sich auch die Justiz selbst. Sie haben verschiedene Modernisierungsschritte mitgemacht. In meiner Zeit im Ministerium war ich unter anderem Leiter des Organisations- und IT-Referates. Anfang der 90er Jahre waren wir in der Justiz noch einigermaßen rückschrittlich – um es vorsichtig zu sagen. Damals ging es darum, eine ganz neue IT-Landschaft in die Gerichte zu integrieren. Das war unglaublich spannend. Und in meinen 17 Jahren hier am Amtsgericht ist dieser Prozess natürlich immer weitergegangen. Das jetzt bevorstehende Riesenprojekt ist die Einführung der elektronischen Akte. Die laufenden Verfahren werden weiter mit Papierakten geführt, aber ab Sommer 2024 werden am Amtsgericht Kiel die meisten neuen Fälle nur noch elektronisch bearbeitet werden. Die Papierakten werden also mittelfristig verschwinden. Wie sieht es mit der Digitalisierung im Gerichtssaal aus? Mittlerweile sind wir soweit, Zivil- und Familienverfahren teilweise auch in Form von Videoverfahren zu führen. Relativ neu ist zudem seit circa zwei Jahren eine Opfer-Schutz-Regelung, insbesondere in Fällen von sexuellem Missbrauch. In derartigen Verfahren versucht man, das Opfer frühzeitig in einem geschützten Rahmen zu vernehmen und dies aufzuzeichnen, um eine spätere Aussage bei der Gerichtsverhandlung zu ersparen. Diese Grundidee ist sicherlich grundsätzlich gut gedacht. Die Sorge der Kolleginnen und Kollegen ist aber, dass das später zuständige Gericht die Vernehmung des Ermittlungsrichters zu dem frühen Zeitpunkt nicht für ausreichend halten könnte und das Opfer dann doch erneut vor Gericht befragt . Und dann hat man den gegenteiligen Effekt erzielt. Da ist also noch einige Arbeit zu leisten. Eine Menge an baulicher Arbeit wird in den kommenden Jahren auch in das Kieler Amtsgericht gesteckt. Ja, es stehen umfangreiche Baumaßnahmen an. In den nächsten zwei Jahren werden etwa fünf Millionen Euro investiert und die gesamte Saalebene des Amtsgerichtes umgebaut. Eigentlich wird dabei fast vom Rohbau-Zustand ausgehend alles baulich erneuert und dann mit der aktuellen Technik ausgestattet. Stichwort Digitalisierung: Das Arbeitsumfeld wird sich auch in der Justiz weiter stark wandeln. Ich denke, es ist wichtig, auf dem Weg, den wir vor uns haben, nicht zu viele Menschen zu verlieren. Insbesondere die Umstellung auf die E-Akte ist für uns eine kleine Revolution, eine weitgehende Umstellung der Arbeitsweise und der Arbeitsmittel. Unsere Welt ist eine schnelllebige. Aber es wird sicherlich eine Aufgabe der Zukunft, diese Übergänge sensibel zu gestalten. Was wird ein weiteres Thema der Zukunft sein? Was kommen muss und wird, ist die zunehmende Spezialisierung der Richtertätigkeit. Anwälte spezialisieren sich seit Jahren. Im richterlichen Bereich ist das bislang nicht so ausgeprägt gewesen – kommt aber. Je weiter sich die Spezialisierung im Anwaltsbereich ausdifferenziert, desto mehr werden wir sicherlich folgen müssen. Ein Blick in die Vergangenheit: Welche Veränderungen im Laufe der Jahre sind Ihnen besonders präsent? Ein Thema, an das ich denke, ist die Sicherheit. Das geht ja los mit einer größer werdenden Selbstgerechtigkeit und Ungeduld vieler Menschen. Wir sind ja dann als Richter oft diejenigen, die den Menschen sagen müssen, dass sie mit ihrer Wahrnehmung nicht richtig liegen oder sie nur einen Teil der Wahrheit sehen. Vielfach entsteht durch Frustration dann auch Aggression. Ich denke, das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die wir in vielen gesellschaftlichen Bereichen, sicher auch in der Justiz, beobachten. Wir haben immer wieder auch Bedrohungslagen gehabt, in denen Richter von der Polizei geschützt werden mussten. Da wird einem schon mulmig. Lesen Sie auch Fahnenmast-Prozess in Kiel: Lkw-Fahrer zu Geldstrafe verurteilt Haben Sie entsprechende Sicherheitsmaßnahmen am Amtsgericht getroffen? Wir hatten hier etwa vor vielen Jahren den drastischen Fall, dass eine Familienrichterin in ihrem Dienstzimmer erstochen wurde. Die Erinnerung daran schockt immer noch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch durch die Rocker-Verfahren waren wir extrem belastet. Da gab es dann auch mal eine regelrechte Saalschlacht. Später mussten wir manchmal sogar Polizeikräfte in erheblichem Ausmaß anfordern, die solche Verfahren begleitet haben. Aber im Grunde ging schon nach dem tragischen Todesfall die Diskussion los, dass wir uns besser absichern müssen. Wir waren dann das erste Gericht, das die heute leider allgemein übliche Sicherheitsschleuse eingeführt hat. Und darüber sind wir bis heute froh. Wir holen immer noch monatlich bis zu 150 verbotene Gegenstände aus den Taschen der Leute – dabei sind Schlagringe, Messer oder auch mal eine Pistole. Haben Sie einen besonders bedrohlichen Fall in Erinnerung? Ja, das war ein Sorgerechtsfall. Eine Kollegin wurde damals von einem Verfahrensbeteiligten extrem bedroht. Der hatte zuvor ganz bürgerlich gelebt, hatte sich jedoch im Laufe des für ihn ungünstig verlaufenden Familienverfahrens zunehmend radikalisiert. Die Kollegin erhielt zu Hause Polizeischutz, auch hier im Gericht wurden Maßnahmen ergriffen. Später hat dieser Mann sogar eine Mitarbeiterin vom Jugendamt bedroht und bei ihr zu Hause das Carport angezündet. In dieser Zeit betrat er auch einmal unser Gericht, und wurde am Eingang wie üblich kontrolliert. Zum Glück hatte unser Sicherheitspersonal einen sechsten Sinn, kontrollierte eine mitgeführte Softdrink-Flasche, und es stellte sich heraus, dass in der Flasche Brandbeschleuniger war. Würden Sie sagen, dass sich die angesprochenen Bedrohungslagen in den vergangenen Jahren verstärkt haben? Ich würde nicht sagen, dass es sich extrem verstärkt hat, bemerke eine entsprechende Entwicklung aber an manchen Verhaltensweisen der Menschen, etwa zunehmende Respektlosigkeiten. Ich denke, jeder Richter, insbesondere im Familienrecht, kennt die Situation, wenn im Gerichtssaal nur noch der Einsatz der Wachtmeister hilft. Zurück zum Positiven: Einerseits sprechen Sie zum Abschied von Wehmut, andererseits von Freude. Worauf freuen Sie sich besonders? Auf das Reisen zum Beispiel. Nach der Verabschiedung werde ich mit meiner Frau zunächst mal lange mit dem Camper unterwegs sein. Und ich freue mich darauf, all die Sachen, die ich immer zurückgestellt habe, nun mit Zeit und Muße anzugehen. Zum Beispiel? Bildhauerei oder Musik machen. Ich freue mich auch auf wieder stärkere Kontakte im Freundes- und Familienkreis. Zudem werde ich selbstständig im Bereich Mediation tätig werden, habe in den letzten Jahren zusätzlich eine Coaching-Ausbildung gemacht und biete mittlerweile auch bereits berufliches Coaching an. Und ich möchte fast demütig mit ehrenamtlicher Arbeit auch etwas zurückgeben, weil ich schon das Gefühl habe, in meinem beruflichen Leben viel Glück gehabt zu haben. Im Kinderschutzbund etwa arbeite ich im Landesvorstand mit und erwäge, in der Kommunalpolitik tätig zu werden. Meine Interessen sind vielfältig, aber es soll auch nicht zu viel werden. Es muss immer auch die Zeit bleiben, bei schönem schleswig-holsteinischen Wetter am See oder am Strand zu sitzen und einfach mal einen ganzen Tag ein Buch zu lesen.