Balkonparty im Wohnzimmer: Bei Marko Abend darf auch getanzt werden

Der Erzieher in der Familienhilfe verdingt sich seit 34 Jahren auch als DJ und Moderator. Hat im Joy angefangen, in Garys Tanzpalast aufgelegt und von 2000 bis 2002 sogar das „Charles Dickens“ betrieben. Ein DJ der alten Schule also, der immer auch ein wenig Entertainer ist. Diese Qualitäten kommen ihm jetzt bei seinem kostenlosen Streaming-Angebot, der „Musikwunsch Therapiesitzung“ zugute. Aber wie kam es dazu? Beeindruckt von den Italienern, die im ersten Lockdown auf den Balkonen Musik machten und tanzten, grübelte er so eines Abends auf seiner Terrasse vor sich hin. Ein Nachbar kam vorbei und sagte: „Marko, du bist doch DJ, mach das doch auch mal für uns.“ Dessen Antwort war erst einmal ernüchternd: „Du weißt schon, dass wir hier in Deutschland leben und in fünf Minuten die Polizei da wäre.“ Aber der Einwurf des Nachbarn ließ ihn nicht mehr los. Heraus kam die Deutschland-kompatible „Balkonparty im Wohnzimmer“, die kürzlich zum hundertsten Mal übertragen wurde. Schon am ersten Abend 500 Aufrufe: Als er das erste Mal im März aus Spaß bei Facebook live ging, dachte er an eine Handvoll Freunde, „die vielleicht Langeweile haben und sich zuschalten“. Die fingen an, es zu teilen, und am ersten Abend hatte er schon 500 Aufrufe. Die kleine Gemeinschaft verlangte nach einer Zugabe. Schon am nächsten Tag war Marko Abend im vierstelligen Bereich bei den Zuschauern – inzwischen erreicht er an den Wochenenden 13 000 Menschen aus der ganzen Bundesrepublik. Sogar aus Brasilien, Japan, England, den USA und der Türkei schalten sich Leute dazu. „Dass das so explodiert, hätte ich nicht gedacht.“ „Da wir ja alle zu Hause saßen und keiner am Wochenende unterwegs sein konnte, habe ich feste Tage eingerichtet.“ So nimmt er nun seit März mittwochs von 20 bis 23 Uhr sowie freitags und sonnabends von 20 bis 1 Uhr auf seinem Sofa Platz. Gegessen wird vorher oder hinterher. Was gespielt wird, bestimmen die Zuschauer im Chat, den er nebenbei verfolgt. Oft ergibt sich bei seiner „Musikwunsch Therapiesitzung“ ein wilder Mix aus Helene Fischer und Depeche Mode. Die Songwünsche zieht er schnell aus seinem Laptop, der neben ihm steht. Rund 35 000 Titel hat er mittlerweile in seinem Repertoire. Und was er nicht vorrätig hat, findet er schnell. Streaming-Plattform aus England: Die anfängliche Liveschaltung über Facebook ist aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich. Zum Glück hat er stattdessen eine englische Streaming-Plattform mit Radiolizenzen gefunden, die er selbst bezahlt. Für die Software nutzt er seinen Computer. Auf einem Monitor kann er den Chat mitverfolgen, das Handy dient ihm als Kamera. „Im Grunde quatsche ich die ganze Zeit mit mir selber.“ Anfangs sei das ein komisches Gefühl gewesen, weil er ansonsten ja mit Publikum arbeite. Dank des Chats ist es aber „nach einer Viertelstunde so, als ob die Leute bei mir auf der Couch sitzen“. Muss er mal einem gewissen Bedürfnis nachgehen und den Platz verlassen, sagt er kurz: „Oh, der Postbote hat geklingelt.“ Ansonsten sieht man ihn auch oft zur Musik mitwippen oder mitsingen. „Bewegung ist wichtig, nach fünf Stunden sitzen tut mir auch mal etwas weh.“ Patientenkarteil läuft im Hintergrund: Dennoch steht die Musik nicht im Vordergrund, sondern dient als Brücke zu den Menschen, sagt Marko Abend. Im Grunde ginge es um Konversation. Denn manche fühlten sich wirklich einsam zu Hause. „Ich weiß, dass ich da mittlerweile ein Lücke schließe.“ So steigt er oft darauf ein, was er im Chat liest. Gleichzeitig unterhalten sich auch alle untereinander. Manch einer habe hier schon seinen Partner kennengelernt. Seine Fans schicken ihm sogar Fotos. Daraus ist die sogenannte „Patientenkartei“ entstanden, die er manchmal im Hintergrund einblendet. „Irgendwie ist daraus eine richtige Familie geworden.“ Pläne für die Zeit nach Corona hat er bereits. „Ich überlege, mittwochs weiterzumachen.“ Viele sehnten sich danach, mal wieder tanzen zu gehen. Deshalb wollen alle, sobald es wieder geht, eine Megaparty zusammen feiern. Eine „super Idee“, findet auch Marko Abend. „Aber ich komme dann als Gast.“