Bürgerservice: Kiel legt Notfallplan wegen Termin-Problemen im Rathaus auf

Die Dauerprobleme im Kieler Bürgerservice werden jetzt Chefsache. Oberbürgermeister Ulf Kämpfer geht nunmehr selbst der Frage nach, warum die Dienstleistungen in seinem Rathaus nicht reibungslos funktionieren. Drei Stunden lang hat Kämpfer am Donnerstagvormittag in einer Krisensitzung mit Stadtrat Christian Zierau und Stadtamtsleiterin Jutta Schlemmer zusammengesessen. Das Trio sprach darüber, wo es hakt und wie Lösungen aussehen können – und vor allem, warum Menschen morgens um 4 Uhr am Rathaus anstehen und trotzdem nicht sicher sein können, dass sie mittags um 12 Uhr ihren Personalausweis in Händen halten. Mit einem „Akuthandlungsplan“ wollen Zierau und Schlemmer die Mängel endlich abstellen. Die Wortschöpfung stammt von Schlemmer. Die „Chief City Officer“ (CCO) ist am 1. Juni ein Jahr im Amt, ohne dass der Bürgerservice grundlegend besser geworden wäre. Im Gegenteil: Die Online-Terminvergabe ist derzeit dauerhaft über dem Limit, die Bürgerrufnummer 901-904 ist nach dem achten Anruf nicht mehr erreichbar, für die Spontansprechstunde ab 7.30 Uhr stehen Menschen um 4 Uhr morgens an. Der „Akuthandlungsplan“ soll am 30. Juni die Ratsversammlung passieren. Details mögen Zierau und Schlemmer noch nicht nennen. Nur soviel: Öffnungszeiten ausweiten, Telefone besetzen, elektronisches Bezahlen einrichten, Kommunikation präzisieren, digitale Dienstleistungen vermehren, Online-Termine mit den Anliegen der Menschen hinterlegen. Das macht eine genauere Kalkulation der Bearbeitungsdauer möglich. Christian Zierau: Ende 2022 soll im Kieler Rathaus wieder alles in Ordnung sein: An dem Versprechen, dass bis Ende 2022 alle Mängel abgestellt sein werden, hält Zierau fest. Auf eine schnellere Gesamtlösung lässt der Stadtrat sich nicht festlegen. „Es ist ein Prozess“, sagt er. „Das geht nicht auf Knopfdruck.“ Über die unbefriedigende Situation sagt Zierau: „Wir wissen das. Es bedrückt uns alle. Den Oberbürgermeister, uns beide, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Der Dezernent nennt das Ausstellen von Ausweisen, Pässen, Führerscheinen und Kfz-Zulassungen „Standardleistungen, die eigentlich funktionieren müssen“. Ähnlich äußert sich der Verwaltungschef. „Ich verstehe, dass Bürgerinnen und Bürger frustriert sind“, sagt Kämpfer. „Frustriert wäre ich an deren Stelle auch.“ Der Oberbürgermeister ist überzeugt: „Der Mehrheit können wir einen guten Service bieten, aber noch nicht allen.“ Über den „Akuthandlungsplan“ sagt Kämpfer: „Wir werden noch vor der Kieler Woche vorstellen, wie wir auf der Basis des neuen Stadtamtes grundlegend besser werden.“ Was haben Stadtrat Christian Zierau und Chief City Officer Jutta Schlemmer versprochen, als das neue Stadtamt im Februar 2022 an den Start ging? Was haben Sie bislang gehalten? Und was (noch) nicht? Schnelle digitale und analoge Services: nicht gehalten. Familiensprechstunde: gehalten. Unpraktische Terminvergabe verbessern: nicht gehalten. Digitalformulare für Geburts-, Ehe-, Lebenspartnerschafts- und Sterbeurkunden online: gehalten. Erreichbarkeit auf allen Kanälen spürbar erhöhen: nicht gehalten. Digitales Bezahlen: gehalten. Alle Leistungen des Stadtamtes transparent darstellen: nicht gehalten. Informationen auf kiel.de/stadtamt: gehalten Probleme im Rathaus: Corona und Krieg sind „Gründe, die keine Ausreden sind“: Zierau nennt für die Ausfälle „Gründe, die keine Ausreden sind“. Zwei Jahre Corona-Pandemie hätten den im Oktober 2019 begonnenen Modernisierungsprozess ins Stocken gebracht. Der Start des neuen Stadtamtes am 1. Februar 2022 sei aus zwei Gründen erschwert worden. Die grassierende Omikron-Variante des Coronavirus habe von Februar bis April in einzelnen Einheiten einen Krankenstand von 25 bis 30 Prozent verursacht. Und just seit Februar hätten 2350 geflüchtete Menschen aus der Ukraine registriert und mitunter umgemeldet werden müssen. „Das ist ja auch die Ema“, sagt Zierau. Ema steht für die Abteilung „Einwohnermeldeangelegenheiten“. Schlemmer berichtet von 100 Fällen pro Tag zusätzlich in der Zeit. Der Stadtrat stellt fest: „Wir sind nicht resilient aufgestellt.“ Resilient heißt robust, widerstandsfähig. Dazu gehört, dass der Personaldezernent sich nicht beliebig aus dem Reservoir der mit 6100 Leuten größten Stadtverwaltung der Kieler Nachkriegsgeschichte bedienen kann. Nur 500 bis 600 davon seien für Einwohnerangelegenheiten ausgebildet. Zum Vergleich: Das Einwohnermeldeamt hat nach Zieraus Angaben 67 Vollzeitstellen. Gleichwohl sagt der Stadtrat: „Sie können nicht Menschen beliebig von links nach rechts schieben.“ Tatsächlich hätte nur das Rechnungsprüfungsamt mal sechs Freiwillige abgestellt, die in ihrer beruflichen Laufbahn schon Meldesachen gemacht hätten. Lesen Sie auch Zierau verspricht Ende des Terminstaus in Kie Öffnungszeiten im Stadtamt Kiel Studentische Hilfskräfte sollen im Kieler Rathaus Telefon-Service besetzen: Immerhin: Zur Landtagswahl hatte Zierau als städtischer Wahlleiter zwölf studentische Hilfskräfte zur Abarbeitung der Briefwahl gewonnen. Die will er jetzt weiter beschäftigen. Sie sollen Telefone besetzen. Für Standesamt und Zuwanderungsabteilung hatte Zierau für zwei Monate alle elf Trainees zusammengezogen, die am 1. März ihre Ausbildung in der Stadtverwaltung begonnen haben. Aber jetzt greifen auch die anderen Dezernate wieder auf die begehrten jungen Leute zu. Urkunden dürfen im Standesamt ohnehin nur zertifizierte Standesbeamte ausstellen. CCO Schlemmer ist nicht bereit, die Dinge nur negativ zu sehen. „Es sind viele Prozesse besser geworden“, hebt sie hervor. Die E-Mail-Adresse amt24@kiel.de werde gut angenommen. Der Schnellschalter für den Führerscheinumtausch habe tadellos funktioniert. Die Landtagswahl sei von Verwaltungsseite her gut gelaufen. Das Ankunftszentrum für ukrainische Geflüchtete sei ein schönes Beispiel dafür, dass die Verwaltung schnell handeln könne. Im Übrigen bleibt die Unternehmerin aus Neumünster fest entschlossen, ihren Auftrag in der Kieler Verwaltung umzusetzen: „Es ist meine Aufgabe, unbequem zu sein“, sagt sie. „Sie dürfen sich darauf verlassen, dass ich das auch bin.“ Stadtrat Zierau seinerseits versichert: „Wir sind nicht zu doof. Jutta Schlemmer nicht, ich nicht, der Oberbürgermeister auch nicht.“ Sie haben schon x-mal frühmorgens angestanden und mussten unverrichteter Dinge wieder gehen? Sie warten seit Wochen auf Ihren Führerschein? Hat doch alles geklappt mit Ihrem Reisepass für den Sommerurlaub? Schildern Sie uns, was Sie mit dem Bürgerservice im Kieler Stadtamt erlebt haben und zwar entweder per E-Mail an die Adresse aktion@kieler-nachrichten.de oder per Post an Kieler Nachrichten, Lokalredaktion, Fleethörn 1-7, 24103 Kiel. Mit Ihrer Zusendung erklären Sie sich einverstanden, dass wir über Ihren Fall mit Namen berichten.