Chöre und Orchester jubilieren

„Wir sind alle wie Fische auf dem Land und freuen uns über etwas Wasser“, beschreibt Kiels Kirchenmusikdirektor Volkmar Zehner die Gefühlslage. Die Durststrecke war aber auch außerordentlich lang. Schleswig-Holstein ist das letzte Bundesland, in dem die Amateurmusiker nun wieder proben dürfen. Kiels Generalmusikdirektor Benjamin Reiners hatte sich für die Lockerung eingesetzt und bezeichnet sie als wichtiges Signal: „Das gemeinsame Singen bedeutet wahnsinnig viel. Die meisten können nicht alleine zu Hause proben. Sie brauchen gemeinsame Übung und Anleitung.“ Reiners geht davon aus, dass alle Musiker mit der Erlaubnis sehr verantwortungsvoll umgehen werden. „Das gesellige Zusammenkommen sollte dabei erstmal vermieden werden.“ Vom Verbot betroffen sind geschätzt 50.000 Sänger und 20.000 Blasmusiker: Der Präsident des Landesmusikrats Volker Mader spricht von geschätzten 50.000 aktiven Sängern im Land und 20.000 Blasmusikern, die von dem Verbot betroffen waren. Aus seiner Sicht „besteht die große Sorge, dass ein kulturelles System mit Laienchören und Blasorchestern wegbricht“. Dazu zählten auch die vielen Kirchenchöre, Schulorchester und -chöre sowie Spielmannszüge. "Warum darf man Fußball spielen, aber nicht singen?": Während der Zwangspause hätten sich junge Leute andere Hobbys gesucht, und die Älteren würden womöglich im Anschluss nicht mehr die Energie aufbringen, erneut zu starten. „So bricht diese Tradition weg. Und gerade für die Älteren ist es mental eine ganz brutale Geschichte, weil ihnen zum Teil der emotionale Boden entzogen wird.“ Mader kritisiert auch: „Man kann keinem vermitteln, warum man Fußball spielen, aber nicht singen darf.“ In der Kieler Chorszene brodelte es zuletzt. Mehrere namhafte Chorleiter hatten sich zusammengeschlossen und Anfang der Woche der Landesregierung ein Hygienekonzept vorgelegt. Flankierend reichte der Verein Musikfreunde Kiel eine Petition ein, die in wenigen Tagen über 4600 Unterstützer fand: „Mit Abstand, Achtsamkeit und kontrolliertem Lüften sollte das gemeinsame Singen wieder erlaubt sein – wie in allen anderen Bundesländern auch“, heißt es darin. Dass die Initiative gefruchtet hat, lässt Sänger und Chorleiter nun jubilieren. „Ich freue mich sehr“, sagt Kiels Kirchenmusikdirektor Volkmar Zehner. In den letzten Wochen und Monaten habe er trotz Online-Proben gemerkt, „wie schwer es war, den Chor beieinander zu halten und auch die Qualität zu halten.“ Die Verordnung in Arbeit: Hygieneauflagen werden erst nächste festgelegt: Für ihn und die anderen Chorleiter stellt sich nun die Frage, welche Hygieneregeln künftig gelten werden. Bisher ist nur bekannt, dass Proben mit einem Mindestabstand von 2,5 Metern ohne Publikum erlaubt sein werden, alles weitere würde kommende Woche festgelegt, sagte gestern ein Regierungssprecher. Eine Obergrenze von 50 Teilnehmern, wie bei anderen Veranstaltungen in Innenräumen, ist wahrscheinlich. Für Volkmar Zehner, der den Sankt-Nikolai-Chor mit knapp 50 Sängern leitet, steht ohnehin fest: „Ich werde maximal mit 16 Leuten proben.“ Kennen Sie schon die Post aus dem Newsroom? Den kostenfreien Newsletter über die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein versenden wir Mo-Fr ab 17 Uhr. Hier können Sie sich für unser Mailing anmelden. Weiterer Newsletter: Kiel mittendrin. Über das Leben in der Landeshauptstadt. Verpassen Sie keine Neuigkeit mehr. Versand: Jeden Mittwoch. Hier geht es zur kostenfreien Anmeldung. Sie interessieren sich für Holstein Kiel? Dann melden Sie sich hier für den Newsletter " Holstein Kiel - Die Woche " kostenfrei an. Versand: jeden Freitag, 11.30 Uhr. Auch Chorleiterin Friederike Woebcken will ihren Kieler Madrigalchor in Schichten üben lassen: „Mit allen 36 können wir nicht singen, dafür ist der Raum zu klein.“ Sie hat sich schon genau überlegt, wie die Proben ablaufen: „Wir singen in Oktetten auf Abstand. Ich bereite den Raum vor, dann kommen die Sänger der Reihe nach rein, setzen sich auf ihren Platz, Masken runter und dann singen wir eine Stunde.“ Musiker suchen nach langfristigen Lösungen: Dieses neue Präsenzproben sei für ihn jedoch nur der erste Schritt, räumt Landesmusikratspräsident Mader ein. „Wir müssen uns grundsätzlich überlegen, wie wir in Zeiten von Corona unsere Kultur erhalten.“ Man werde mit Pandemie-Zuständen leben müssen und bräuchte Lösungen. Zum Beispiel: „Ein Stoffkondom für Blasinstrumente, das man überstülpt, um die Aerosole zu stoppen“, schlägt er vor. Und die Sänger könnten Kunststoffvisiere tragen. Die Klangqualität sei schlechter, die Stimme gedämpft. Hauptsache: kein weiteres Verbot. 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