So lief die Ankunft der "Thor Heyerdahl" in Kiel

Wenn nach über sechs Monaten auf See das „Klassenzimmer unter Segeln“ wieder in seinem Heimathafen Kiel anlegt und die Eltern ihre Kinder wieder begrüßen dürfen, herrscht am Seefischmarkt normalerweise ein unübersichtliches Gewusel. Die Schüler schwanken zwischen Wiedersehensfreude und Abschiedsschmerz von ihren Klassenkameraden und den Crewmitgliedern. „Thor Heyerdahl“: Zurück in einer neuen Welt: Doch als die „Thor Heyerdahl“ am Sonntag am Kieler Ostufer anlegte, war alles anders. Die Schüler gingen nach namentlicher Aufforderung einzeln von Bord, ihre Familienangehörigen - die alle eine Schutzmaske tragen mussten - warteten derzeit in auf dem Boden eingezeichneten Feldern, um Abstand zu anderen Eltern halten zu können. Das Corona-Virus zwingt sie dazu. Kiels Stadtpräsident und „Thor-Heyerdahl“-Schiffspate Hans-Werner Tovar begrüßte die Besatzung den Umständen entsprechend: „Ihr kommt zurück in eine völlig neue Welt.“ Als der Dreimaster am 11. März in Kuba ablegte und sich auf den Heimweg nach Kiel machte, wo er am 19. Oktober zu seinem Törn aufgebrochen war, war nicht zu ahnen, dass die Corona-Krise die Rückreise zu einem „Albtraum“ würde werden lassen, wie es Kapitän Detlef Soitzek ausdrückte. Landgänge waren nicht mehr möglich: Zwar konnte der Unterricht für die 34 Schülerinnen und Schüler in den vergangenen sechs Wochen wie gewohnt weitergehen, doch gemeinsam mit ihren fünf Lehrkräften und der zehnköpfigen Crew spürten sie auf dem Weg zurück nach Kiel die weltweiten Auswirkungen der Corona-Krise. Denn Landgänge waren nicht möglich. Das hatte zur Folge, dass die „Thor Heyerdahl“ zwar in Horta auf der zu Portugal gehörenden Azoren-Insel Faial anlegen konnte, allerdings durfte niemand das Schiff verlassen, da die portugiesische Regierung ein Einreiseverbot für Häfen verhängt hatte. Kein Risiko eingehen in der Corona-Krise: Somit war es für die komplette Besatzung nicht möglich, an Land zu gehen und dort Einkäufe zu erledigen. Das übernahm ein Hafen-Agent, der eine Shopping-Liste von den Schülern, Lehrern und der Crew erhielt, und Alltagsgegenstände wie Zahnpasta besorgte. Gleichzeit wurde Proviant, Diesel und Wasser an Bord geliefert. Die Maßnahme sei aber richtig gewesen, betont Soitzek. „Es ging ja darum, dass wir geschützt werden und sich keiner an Bord infiziert.“ Die Geschehnisse rund um die Corona-Krise hat die Besatzung über Satellit verfolgt. Unter Deck wurde ein Info-Board eingerichtet, über das täglich die aktuellsten Nachrichten übermittelt wurden. „Das war schon eine seltsame Situation“, erzählt Jasper von Lewinski nach der Ankunft in Kiel. „Es ist sehr schwer vorstellbar, was uns jetzt zurück in Deutschland erwartet.“ Unrühmlicher Rekord: Eine weitere Konsequenz des ausfallenden Landgangs war, dass der Crewwechsel ausfallen musste. Drei Steuerleute und der Bordarzt hätten planmäßig abgelöst werden sollten. Nun mussten sie ihren Dienst verlängern und haben mit 47 Tagen an Deck einen neuen Rekord für die „Thor Heyerdahl“ aufgestellt. „Das ist ein Rekord, auf den wir alle gerne verzichtet hätten“, sagte der Kapitän nach dem Anlegen in Kiel. Letzte Umarmungen werden genossen: „Wir hatten auf den Azoren so viel vor“, berichtet Soitzek. Die Klassen wollte Wale beobachten und in den Bergen wandern. Stattdessen mussten sie drei Tage lang vor der Insel ankern. „Da kam schon Lagerkoller auf“, erzählt Marc Philipp Aratari. Gleichzeitig ist der Schüler aus München dankbar, dass die Reise trotz Corona weitergehen konnte. „Je mehr wir mitbekommen haben, umso mehr haben wir uns gefreut, dass wir noch in großen Gruppen gemeinsam essen konnten.“ Auch ein ordentlicher Abschied mit vielen Umarmungen war so noch möglich. Zurück in Deutschland heißt es nun für ihn und seine Klassenkameraden, die aus ganz Deutschland kamen, Abstand halten und die Kontaktregeln einhalten. Einige müssen sogar in Quarantäne. Das entscheiden die jeweiligen Gesundheitsämter. Das Projekt "Klassenzimmer unter Segeln": Die 34 Schülerinnen und Schüler aus der 10. gymnasialen Jahrgangsstufe, die seit Mitte Oktober auf der „Thor Heyerdahl“ gesegelt sind, waren Teil des Projekts „Klassenzimmer unter Segeln“, das von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angeboten wird. Hierbei arbeiten die Jugendlichen selbstverantwortlich im Schiffsbetrieb mit, müssen auch Wache schieben und erhalten an Bord Unterricht. Gleichzeitig können sie bei mehrwöchigen Landaufenthalten fremde Länder kennenlernen. Kennen Sie schon die Post aus dem Newsroom? Den kostenfreien Newsletter der Kieler Nachrichten versenden wir Mo-Fr ab 17 Uhr. Hier können Sie sich für unser Mailing anmelden. Sie interessieren sich für Holstein Kiel? 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