Corona in Kiel: Wenn die Corona-App plötzlich Rot wird

Es ist 20.19 Uhr, als aus Grün Rot wird, als aus Null Eins wird, als aus Lockerheit Angespanntheit wird. Es ist der Moment, als meine Corona-Warn-App mir eine Push-Nachricht schickt, die ich mir gar nicht durchlese, sondern direkt anklicke. Und da ist sie, die rechteckige Kachel, die sonst immer grün gefärbt war. Jetzt ist sie rot. Ich hatte über längere Zeit Kontakt mit einem Corona-Fall. Vor sieben Tagen. Corona-Fall saß wahrscheinlich im Zug nach Hamburg: Die Nachricht trifft mich komplett unerwartet an diesem Montagabend. Symptome hatte ich bis dahin keine, eigentlich wollte ich entspannt eine Serie schauen. Doch plötzlich kreisen zig Fragen in meinem Kopf herum. Was soll ich jetzt machen? Wo kam es zu dem Kontakt? Auf letztere Frage finde ich schnell eine Antwort. Der in der App angegebene Zeitraum fällt genau auf einen Tag, an dem ich aus beruflichen Gründen mit dem Zug von Kiel nach Hamburg und zurück fuhr. Längere Kontakte mit anderen Menschen hatte ich nur im Zug selbst. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass in meinem Abteil ein Covid-19-Patient saß. Und jetzt? Die Corona-App hilft weiter. Hausarzt anrufen. Habe ich nicht. 116 117 anrufen. Los geht‘s. Mail ans Gesundheitsamt Kiel wird lange nicht beantwortet: Schnell meldet sich eine männliche Stimme. Ich solle eine Mail ans Gesundheitsamt Kiel schreiben. Die könnten mir weiterhelfen. Ich schildere meinen Fall in der Mail und schreibe in die Betreffzeile: „Corona-App zeigt erhöhtes Risiko“. Diese Formulierung entpuppt sich am nächsten Tag als Fehler. Aber dazu gleich mehr. 18 Stunden später, immer noch keine Antwort auf meine Mail. Ich hab mich selbst in Quarantäne gesteckt. Sicher ist sicher. Auch wenn die Chance, sich angesteckt zu haben, in einem Zug, mit Abstand und Masken, wahrscheinlich relativ gering ist. Selbst auferlegte Quarantäne gut möglich: Homeoffice ist zum Glück möglich, der letzte Großeinkauf nicht lange her. Aber langsam wächst die Ungeduld in mir. Anruf bei der 116 117. „Habt ihr eine Nummer, wo ich mich melden kann?“ Ich bekomme eine Telefonnummer von der zuständigen Stelle des Gesundheitsamts Kiel. Lesen Sie auch: Reicht eine Warnung der Corona-App für die Lohnfortzahlung? Eine Frauenstimme meldet sich. Meine Mail hat anscheinend noch keiner gelesen. Also schildere ich nochmal meinen Fall. Was soll ich machen? Quarantäne? Test? Plötzlich bricht die Verbindung ab. Meine Gesprächspartnerin hat aufgelegt. Mitten im Gespräch. Ich bin irritiert, rufe wieder an. Zum Glück geht sie wieder ans Telefon. „Ich habe wohl versehentlich aufgelegt.“ Gesundheitsamt ordnet keine Quarantäne an: Sieben Minuten telefonieren wir miteinander. „In Ihrem Fall werden wir definitiv keine Quarantäne anordnen“, sagt sie. Sie klingt irgendwie erstaunt, dass sich überhaupt jemand mit einer roten Corona-App meldet. Scheint wohl nicht so oft vorzukommen. Also keine Quarantäne – zumindest nicht offiziell angeordnet. Ich bin etwas vorsichtiger, möchte sicherheitshalber drin bleiben. Und ein Corona-Test wäre auch nicht schlecht. Den Anspruch darauf habe ich durch die rote Corona-Meldung. „Gerade will ja jeder einen Test machen“, sagt die Dame vom Gesundheitsamt. Damit es schneller geht, soll ich noch eine Mail schicken. „Ganz wichtig: Schreiben Sie in den Betreff, dass Ihre App rot ist und Sie einen Test wollen!“ Lesen Sie auch: Wo Kiel versucht, das Coronavirus einzudämmen Anmeldung für mobilen Corona-Test: Gespräch beendet. Ich schreibe fast die identische E-Mail wie am Vorabend - mit neuer Betreffzeile: „Corona-App rot, Bitte um Test!“ Es war ein guter Tipp. Nur vier Minuten später werde ich angerufen. Ein Mann. Er fragt, ob ich ein Auto habe. „Nein“. Das Problem: Das nächste Testzentrum ist vier Kilometer von meiner Wohnung entfernt. Ich werde für einen mobilen Test angemeldet. Könne aber zwei bis drei Tage dauern. Ich soll deswegen nochmal die 116 117 anrufen. „Vielleicht können die Ihnen ja einen Arzt vermitteln, der das schneller macht.“ Harter Lockdown: Das kommt auf Schleswig-Holstein zu Lockdown: Das steht in der neuen Landesverordnung von Schleswig-Holstein Kiel denkt über Ausgangssperre nach Weihnachten in Schleswig-Holstein: Was erlaubt ist Diese Regeln gelten für Silvester in Schleswig-Holstein Diese Geschäfte bleiben im Lockdown in Schleswig-Holstein geöffnet Notbetreuung an Schulen und Kitas: Wer hat einen Anspruch? Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein Weitere Informationen zum Coronavirus erhalten Sie auf unserer Themenseite. Können sie nicht. Der einzige Rat: Ich könne ja mit dem Fahrrad zum Testzentrum fahren. Ich lehne dankend ab und nehme lieber den mobilen Test – auch wenn ich dadurch etwas länger zu Hause in der mir selbst auferlegten Quarantäne sitzen muss. Corona in Kiel: Müll von Corona-Test muss von Getestetem selbst entsorgt werden: Donnerstag, 13.34 Uhr. Ein Anruf von einer unbekannten Handynummer. Ein Mann meldet sich. Er ist vom mobilen Testfahrzeug der Johanniter. Ich soll meine Winterjacke anziehen, meine Krankenkassenkarten einstecken und mich vor die Haustür stellen. Ein Mann und eine Frau laufen die Straße hoch. Sie tragen Maske, die Frau außerdem einen blauen Schutzkittel und eine Schutzbrille. Kurze Begrüßung, der Mann liest nur schnell meine Krankenkarte ein und geht wieder. Die Frau macht den klassischen PCR-Corona-Test bei mir, mitten auf dem Gehweg. Nach dem Test drückt sie mir den abgebrochenen Rest des Test-Stäbchens und ihren Kittel in die Hand. „Den Müll müssen Sie selbst entsorgen“. Test kann auch in Corona-App registriert werden: Da stehe ich also, vor meiner Haustür, am helllichten Tag, mit einem blauen Kittel in der rechten Hand. Ich muss noch kurz warten, die beiden kommen nochmal wieder. Sie bringen zwei Zettel vorbei: Ein Dokument vom Labor Krause in Kiel, bei dem ich später online mein Testergebnis abrufen kann und einen Zettel mit QR-Code, mit dem ich den Test auch in meiner Corona-App registrieren kann. Keine 20 Minuten später. Mein Handy klingelt. „Wir sollen bei Ihnen einen Corona-Test machen.“ Es ist die Frau, die mich gerade eben erst getestet hat. Erstaunlich. Aber nur ein Missverständnis. Sie habe die falsche Nummer gewählt. Vielleicht ein blöder Zufall, vielleicht aber auch Zeichen der enormen Belastung des medizinischen Personals in diesen Zeiten. Sie sind nicht zu beneiden. Erleichterung: Der Corona-Test ist negativ: Der Abend nach dem Test. In der ganzen Woche war ich ziemlich entspannt, war mir fast sicher, kein Corona zu haben. Doch jetzt setzt das Kopfkino ein. Was, wenn das Testergebnis doch positiv ausfällt? Isolation, bis kurz vor Weihnachten, vielleicht sogar an Weihnachten? Und dann alleine in der Wohnung? Keine schöne Vorstellung. Freitagmorgen, kurz nach neun Uhr. Die Corona-Warn-App hat sich zwar nicht gemeldet, trotzdem schaue ich rein. Das Testergebnis ist schon da, 19 Stunden nach dem Test. Negativ. Erleichterung. Eine spannende Woche ist vorbei – und ich kann endlich draußen wieder frische Luft einatmen.