Ehrenamt und Corona: In Kiel gibt es Chancen und Schwierigkeiten

Zwar ging 2020 die Zahl der registrierten Beratungsgespräche zurück, doch die Nachfragen blieben – mit einem neuen Themenschwerpunkt. Statt sich in Pflegeeinrichtungen, Tierheimen oder für die Umwelt zu engagieren, wollten die freiwilligen Menschen jenen helfen, die von der Corona-Krise betroffen waren. Ganz oben auf der Liste standen dabei das Übernehmen von Einkäufen oder das Sammeln von Spenden für bedürftige Familien, die unter der Pandemie besonders leiden. „Viele dieser Angebote haben sich in privaten Initiativen organisiert“, sagt Ehrenamtsbüro-Leiterin Alexandra Hebestreit. Dies erklärt, warum es bei den Netten Kielern weniger offizielle Beratungsgespräche gab. Denn die Vermittlungen zu den Anlaufstellen Nachbarschaft (Anna), die Hilfsanfragen von Bedürftigen annahmen, verlief unkompliziert. Der Draht zwischen Ehrenamtsbüro und den Annas war kurz und effektiv. Über 100 Tandems von Hilfesuchenden und Helfenden haben sich seit dem Frühjahr gebildet, einige bestehen weiterhin fort. „Das ist eine positive Seite dieser Krise“, sagt Hebestreit. „Es wurde deutlich, dass die Menschen bereit sind zu helfen und anzupacken.“ Bedürftige lernen, Hilfe anzunehmen: Und Bedürftige haben gelernt, Unterstützung zu akzeptieren. Zu Beginn der Pandemie gab es mehr Angebote als Nachfragen. Doch je schwierige die Situation wurde, umso mehr Menschen meldeten sich, um Hilfe in Anspruch zu nehmen. „In unserer Kultur ist es oft verankert, sich nicht helfen lassen zu wollen“, erläutert Hebestreit. „Doch es hat sich eine Bereitschaft entwickelt, die Angebote anzunehmen.“ Doch trotz dieser positiven Effekte hat das Ehrenamt mit den Corona-Auswirkungen zu kämpfen. Seit 2018 arbeitet Ursula Halbe als Beraterin für die Netten Kieler und vermittelt Ehrenamtler an Einrichtungen, die Bedarf haben. 2020 hat die 78-Jährige nicht nur gemerkt, dass weniger Ehrenamtliche zu den Gesprächen kamen, sondern auch, dass weniger Kontakte hergestellt werden konnten. „Die Nachfrage nach ehrenamtlichen Engagement war zwar da, doch es fehlten die passenden Angebote.“ Viele freiwillige Helfer wollen im sozialen Bereich unterstützen – in Altenheimen oder Pflegezentren. Aufgrund der Corona-Pandemie müssen die Einrichtungen jedoch viele Besuche untersagen. Das gilt auch für die Ehrenamtlichen. Eine weitere Schwierigkeit laut Alexandra Hebestreit ist der Verantwortungsdruck, den die Netten Kieler spüren. „Wir müssen immer abwägen, ob es vertretbar ist, wenn wir einem Ehrenamtlichen in Zeiten von Corona eine Aufgabe vorschlagen oder ob wir ihn dabei einem Risiko aussetzen, dass er sich selbst infiziert.“ Aufmerksamkeit wird Ehrenamt helfen: Dies gilt auch für die Berater im Ehrenamtsbüro selbst. Während des Shutdowns im Frühjahr war die Anlaufstelle im Neuen Rathaus geschlossen. Diese Zeit wurde genutzt, um die Räumlichkeiten coronakonform zu gestalten – etwa mit Plexiglasscheiben an den Arbeitsplätzen. So wurde gewährleistet, dass die Beratung weiter gehen konnte – und angenommen wurde. „Es macht mir Mut, dass weiterhin Menschen kamen“, sagt Alexandra Hebestreit. „Auch wenn es ein schwieriges Jahr war, bin ich überzeugt, dass die Zahl der Ehrenamtlichen steigen wird, weil es die große Aufmerksamkeit gab.“ Auch das Sozialministerium zieht eineinsgesamt positive Bilanz für das Ehrenamt. „Wir beobachten in einigen Bereichen, dass ehrenamtliches Engagement neu entstanden ist, zum Beispiel bei Nachbarschaftsinitiativen, jüngeren Helfern bei den Tafeln oder der Obdachlosenhilfe“, sagt Marius Livschütz. Der Sprecher aus dem Gesundheitsministerium berichtet aber auch, dass es einige Austritte gab. Dies betrifft ehrenamtliche Aktivitäten, die sehr kontaktintensiv sind, und in denen das Engagement coronabedingt ruhen muss. „Insgesamt ist die Einschätzung, dass das Ehrenamt in Schleswig-Holstein pragmatisch und widerstandsfähig ist und macht, was geht – mit Maske und Abstand – kontaktarm, kreativ und ideenreich.“ Vereine und Organisationen müssen sich umstellen: Während das Ehrenamt in der Corona-Pandemie im privat organisierten Bereich großen Zuwachs erhalten hat, stehen Vereine und Organisation vor Schwierigkeiten. Doch durch Kreativität und hohes Engagement der freiwilligen Helfer können Alternativen angeboten werden. Genaue Zahlen zur coronabedingten Zu- oder Abnahme von freiwilligem Engagement in Schleswig-Holstein liegen derzeit nicht vor. Erste Erkenntnisse dazu soll es auf Bundesebene erst im Laufe des Jahr geben. Keine Fortbildung bei der Freiwilligen Feuerwehr: Für den Bereich der Freiwilligen Feuerwehr Kiel berichtet Sprecher Michael Krohn, dass die Zahl der Aktiven mit rund 500 weitestgehend stabil geblieben ist. Und das ist durchaus überraschend. Schließlich wurden bei der Freiwilligen Feuerwehr in der Coronazeit – abgesehen vom Einsatzdienst – sämtliche Aktivitäten eingestellt. „Es gab keine Aus- und Fortbildungen“, berichtet Krohn. Auch gesellige Treffen mussten ausfallen – all das, was die Freiwillige Feuerwehr ausmacht. Belastend kam hinzu, dass bei den Einsätzen immer die Ungewissheit vor dem Virus mitfährt. 350 Mal rückten die ehrenamtlichen Brandbekämpfer aus Kiel im Jahr 2020 aus, drängten sich in die Feuerwehrwagen, ohne zu wissen, ob ein Kollege infiziert war. „Natürlich waren da auch Gedanken an die Gesundheit dabei“, sagt Krohn. Auch beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) hat Corona Auswirkungen auf das Ehrenamt, da viele Angebote nicht im regulären Rahmen stattfinden. Dafür wurden Alternativen entwickelt. „Das DRK ist sehr aktiv, um in der Corona-Krise zu helfen“, sagt Anette Langner, die Vorstands-Sprecherin des DRK-Landesverband Schleswig-Holstein. „Als eine der größten Sozialinstitutionen arbeiten wir intensiv daran, unsere Angebote und Dienstleistungen nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern insbesondere an die Erfordernisse der Corona-Pandemie anzupassen – zum Beispiel durch individuelle Hygiene-Konzepte und Ergänzungen oder Umstellungen auf digitale Formate.“ Oft sei dabei die Anzahl der Einsatzwilligen zurückgegangen, da eine große Zahl von ihnen selbst zur Risikogruppe gehört. Auf die weiterhin Aktiven kamen so meist zusätzliche Aufgaben hinzu. Kein Mitglieder-Rückgang beim DRK: Trotz dieser erschwerten Bedingungen ist bisher beim DRK ein Rückgang der Zahl der Ehrenamtler für ganz Schleswig-Holstein ebenso wenig erkennbar wie ein Rückgang der Fördermitglieder. Dies liege laut Langner daran, dass die Hilfsbereitschaft in der Pandemie-Zeit hoch ist. „Wir erleben in dieser Krise, dass sich die jungen Menschen wieder für ihre Nächsten interessieren. So zum Beispiel die Studenten, die sich spontan zur Einkaufshilfe melden oder die Auszubildenden einer Firma, die uns wöchentlich spannende Rätsel erstellen, um Senioren die Einsamkeit zu erleichtern.“ "Pflege des Ehrenamts kam zu kurz": In den Sportvereinen wurde ebenfalls improvisiert. Übungen können nicht angeboten werden, ehrenamtliche Trainer keine Fortbildungen machen. So werden viele Aktivitäten ins Internet verlagert. Das kann die Schwierigkeiten aber nicht komplett ausgleichen. „Die Pflege des Ehrenamts ist in dieser Zeit zu kurz gekommen“, sagt Thomas Niggemann, der beim Landessportverband für die Entwicklung des Vereins- und Breitensports verantwortlich ist. „Es gibt die Sehnsucht nach Bewegung und sozialen Kontakten, deshalb engagieren sich Ehrenamtler in den Vereinen.“ Doch auch die Sportclubs orientieren sich in der Krise um, helfen dort, wo Menschen durch Corona in Schwierigkeiten gerieten. Sie übernehmen ebenfalls Einkäufe oder kämpfen dafür, dass unter Hygienemaßnahmen Training wieder möglich ist. „Der Sport ist ein sozialer Kit, das hat sich in diesem Jahr in der Krise gezeigt“, lobt Niggemann.