Erlebnis-Reportage: Was passiert nachts mit Kiels Bussen?

Ein Falschfahrer blockiert die Straßenecke am Masurenring, ein Durchkommen ist für Michael Jentzsch, den Fahrer des Gelenkbusses, nicht möglich. Während es auf den Kieler Straßen langsam ruhiger wird, beginnt für die Mitarbeiter der KVG ein neuer Rhythmus – der Rhythmus der Nacht. Wir waren eine Nacht dabei, als Notfallhelfer Thomas Sacht ausrückte, Nachtbusfahrer Ali Ismaeil müde Fahrgäste transportierte, Joachim Detlef Busse reinigte und auf dem Elektrobus-Hof die Fahrzeuge aufgeladen wurden. Der Notfallhelfer: Sebastian Thormählen sitzt in der Leitstelle vor seinen fünf Bildschirmen und ist über Funk mit jedem einzelnen Busfahrer verbunden. Sie melden ihm Verspätungen, Probleme mit Fahrgästen, Pannen oder Unfälle. Sobald Hilfe benötigt wird, fährt sein Kollege Thomas Sacht mit dem Funkwagen raus – wie an diesem späten Abend um kurz nach Elf. Sacht saust in Richtung Neumühlen-Dietrichsdorf, um seinem Kollegen mit dem Falschparker zu helfen. Vor Ort warten schon zwei Polizisten. Sie haben einen Abschleppwagen gerufen und das Kennzeichen des Fahrzeugs notiert. Es ist fast Mitternacht, als Busfahrer Michael Jentzsch mit seinem Fahrzeug um die Kurve und in den Feierabend lenken kann. Der Nachtbusfahrer: Aus der Leitstelle hat Sebastian Thormählen unterdessen alle weiteren Busfahrer auf der Linie 11 über die Problemstelle am Masurenring informiert und umgeleitet. Ein Reservewagen muss in den Einsatz, um den Streckenausfall möglichst gering zu halten. Darum kümmert sich Ali Ismaeil, er fährt mit seinem Bus an die Endhaltestelle Wik Kanal, um für Nachschub auf der Linie 11 zu sorgen. Der studierte Biophysiker arbeitet seit zwei Jahren als Busfahrer bei der KVG, er übernimmt gern die Nachtschichten, damit er tagsüber seine Kinder zum Kindergarten bringen kann. Seine Schicht beginnt um 21 Uhr, ab 0.50 Uhr startet der Nachtbus-Verkehr. Ursprünglich waren diese neuen Linien für Partygänger gedacht, eine letzte, günstige Möglichkeit, um nach einer durchzechten Nacht nach Hause zu kommen. Doch diese Fahrgäste blieben im Zuge der Corona-Beschränkungen aber aus. Jetzt würden die Busse mit einem N hinter ihrer Nummer vor allem Menschen nutzen, die im Schichtdienst arbeiten oder früh zur Arbeit müssen, sagt Ismaeil. Er sieht, wie die Berufstätigen der Stadt in den frühen Tag starten – oder am liebsten umgehend schlafen möchten. Bis fünf Uhr säßen unter der Woche meistens nur sehr wenige Leute in seinem Bus, berichtet er. Der Reiniger: Auf dem Betriebshof der Diedrichstraße ist zu dieser Zeit das Reinigungsteam zugange, die vier Mitarbeiter der KVG sind dafür zuständig, die Busse für den Einsatz am nächsten Morgen startklar zu machen – bis zu 16 Kilometer laufen sie manchmal pro Nacht. Sie wischen den Boden, desinfizieren alle Haltestangen, Handschlaufen und den Arbeitsplatz des Fahrers. Zu Beginn der Corona-Pandemie hat die KVG neue Produkte bestellt, Desinfektionstücher aus dem medizinischen Bereich – keimabtötend, aber ohne Alkohol, damit die Kunststoffteile nicht zu sehr leiden, erzählt Teamleiter Patrick Barkholz. Joachim Detlef macht diesen Job schon seit 1998, seine Schicht beginnt um 21.30 Uhr und endet um 5.30 Uhr, sonntags hat er frei. Wenn er am frühen Morgen nach Hause kommt, geht er schlafen, seine beiden Kinder sieht er, wenn sie mittags aus der Schule kommen. Das Skurrilste, das er je beim Reinigen gefunden hat, war ein Gebiss. Andere kuriose Fundstücke, die niemand vermisst hat, schmücken inzwischen die Waschhalle, eine pinke Meerjungfrau hängt zum Beispiel an der Zapfsäule. Ozongeräte als Lösung? Joachim Detlef teilt sich die Aufgaben mit seinen Mitarbeitern, sobald der Bus einrollt und sich die Türen öffnen, steht einer schon mit dem Wischer bereit, ein anderer wischt mit den Desinfektionstüchern im Schnelldurchgang über alle Stangen. Der nächste wartet an der Zapfsäule und macht den Tank voll – 13 000 Liter Diesel fließen auf den Betriebshöfen der KVG pro Nacht. Zwischendurch wechseln sie durch, damit „wir eine gute Qualität aufrechterhalten“, sagt Schichtführer Christian Strahl. „Denn wenn man acht Stunden das Gleiche macht, schleichen sich Fehler ein“, weiß Strahl. Ein Mitarbeiter mit Busführerschein fährt zuletzt durch die Waschanlage und stellt den Bus dann an seinen Platz, von dem er am nächsten Morgen wieder ausrückt. Wenn es in den vergangenen Monaten einen Corona-Verdachtsfall in einem Bus gab, durfte das Fahrzeug nur mit Schutzanzug und Maske betreten werden. Anschließend musste der Bus vier Tage lang stehen bleiben und auslüften. Nun ist die Überlegung, Ozongeräte anzuschaffen, die an den Türen der Busse aufgestellt werden und innerhalb von 20 Minuten alle Keime abtöten. Das sei eine wesentlich schnellere Variante. „Das Thema wird uns ja noch länger begleiten“, sagt Patrick Barkholz. Der Elektrobus-Hof: Auf dem zweiten KVG-Betriebshof sind die nächtlichen Abläufe ähnlich – noch, denn bis Ende nächsten Jahres soll dieser zum reinen Elektrobus-Hof werden. Pro Monat kommen derzeit fünf neue E-Busse hinzu, bis Januar 2021 sollen es 36 sein. In der Werftstraße ist schon ein sogenannter Pantograph installiert, an den der E-Bus mit einem Aufbau auf seinem Dach an die Ladebrücke andockt. Innerhalb von 23 Minuten lädt der Akku von null auf 100 Prozent, damit schafft er ein bis zwei Umläufe, von Laboe bis Mettenhof zum Beispiel. Das Ziel sei aber, die Busse auch immer an den Endhaltestellen laden zu können, so wie derzeit schon auf der Linie 32, sagt Patrick Barkholz. In der restlichen Zeit nutzt die KVG die Busse gerade noch für Schulungszwecke ihrer Busfahrer. Mehr aus Kiel lesen Sie hier. Von Hannah Küppers