Fahnenmast-Prozess in Kiel: Lkw-Fahrer zu Geldstrafe verurteilt

21 Monate nach dem Tod von Michelle (23) auf dem Kieler Rathausplatz gibt es ein Urteil im Fahnenmast-Prozess: Der geständige Lkw-Fahrer (62), der mit seinem Wagen am 3. August 2020 auf dem Platz gegen einen Fahnenmast stieß, der daraufhin umknickte und die junge Frau erschlug, ist am Mittwoch vom Kieler Amtsgericht wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen worden. Der 62-Jährige muss eine Geldstraße in Höhe von 5400 Euro zahlen. Das Verfahren gegen seinen 75-jährigen Beifahrer wurde eingestellt. Richter Dr. Sebastian Schwarz sah eine „erhebliche Fahrlässigkeit“ des Angeklagten. Er sei mit einem großen Lkw auf einen Platz mit Aufbauten gefahren, auf den er nicht hätte fahren dürfen und auf dem sich zu dem Zeitpunkt viele Menschen befunden hätten, führte der Richter in seiner Urteilsbegründung aus. Zudem hätte er auf seinen Einweiser warten müssen und nicht eigenständig rückwärts fahren dürfen, nachdem sich sein Kollege vom Fahrzeug abgewendet hatte. Allerdings hätte es am Tag der Tragödie auch eine „Verkettung unglücklicher Umstände gegeben“. Angeklagter legte am zweiten Verhandlungstag ein Geständnis ab: Der Lkw-Fahrer hatte am Dienstag nach einem Verständigungsgespräch zwischen Richter, Verteidigung, Nebenklage und Staatsanwaltschaft ein Geständnis abgelegt. Er habe mit dem Lkw auf dem Rathausplatz ohne Einweisung eigenständig rückwärts fahren wollen und dabei den Fahnenmast nicht wahrgenommen. Unter Tränen hatte sich der 62-Jährige im Gerichtssaal an die Mutter des Opfers gewandt und für seinen Fehler entschuldigt. Auch der Beifahrer bedauerte das Unglück zutiefst. Das Geständnis mit „Zeichen ernsthafter Reue“ wertete der Richter als strafmildernd für den Angeklagten. Er habe so zur Aufklärung des Unglücks beigetragen, die sonst so wohl nicht möglich gewesen wäre, sagte Schwarz. Damit habe er auch weiteren Zeuginnen und Zeugen eine Aussage erspart, die womöglich noch immer unter dem traumatischen Erlebnis leiden würden. Richter: Materialfehler entlässt Angeklagten nicht aus der Verantwortung: Ebenso berücksichtigte Schwarz die mentalen Folgen des Unglücks für den Lkw-Fahrer. Der Richter stellte aber auch klar: „Das war für sie ein einschneidendes Erlebnis, aber das eigentliche Opfer ist Michelle.“ Dass in einem Gutachten erhebliche Mängel am Fahnenmast festgestellt wurden, ohne die dieser wohl nicht gebrochen und zu Boden gefallen wäre, sei ebenfalls strafmildernd zu werten. „Das entlässt Sie aber nicht aus der Verantwortung“, sagte der Richter in Richtung des 62-Jährigen. Mit der Geldstrafe in Höhe von 5400 Euro folgte Schwarz dem Antrag der Staatsanwältin. Mutter des Opfers sprach über die Folgen des Unglücks: Bereits vor der Urteilsverkündung hatte sich der Richter an die Mutter der Getöteten, die als Nebenklägerin im Gerichtssaal saß, gewandt. Er hoffe, dass sie etwas aus dem Prozess mitnehmen könne, „auch wenn kein Urteil der Welt ihren Schmerz lindern kann“. Auch die Mutter selbst äußerte sich am letzten Prozesstag vor Gericht. „Ich denke den ganzen Tag an meine Tochter, und kann die Entschuldigung des Angeklagten auch nicht annehmen“, sagte sie. Der 3. August 2020 habe gut angefangen. Ihre Tochter sei am ersten Ausbildungstag von zu Hause aufgebrochen, um durchzustarten. „Sie ging aus dem Haus, und ich habe sie nie wieder gesehen.“ Hinterbliebene von Michelle (23) können das Urteil akzeptieren: Dennoch sei dem Anliegen der Hinterbliebenen mit einem Schuldspruch Genüge getan, sagte Wolfgang Frese, Anwalt der Nebenklage. Es sei den Hinterbliebenen nicht um eine möglichst hohe Bestrafung der Angeklagten gegangen. „Es geht um die Schuldfeststellung, und was geschehen ist. Nach mehr als 20 Monaten wissen wir es jetzt endlich.“ Lesen Sie auch Kieler Fahnenmast-Unglück: Wer trägt Schuld am Tod von Michelle (23)? Wie die Stadt Kiel versucht, weitere Unglücke mit Fahnenmasten zu verhindern Das Verfahren gegen den 75-jährigen Beifahrer hatte das Gericht vor dem Urteilsspruch eingestellt, weil er im Moment des Zusammenstoßes von Lkw und Fahnenmast bereits den abgestellten Anhänger zum Ankoppeln bereitmachte. Nach Auffassung des Richters hätte der 75-Jährige nur bestraft werden können, wenn er seinen Kollegen in diesem Moment beim Rückwärtsfahren fahrlässig eingewiesen hätte. Die Fahrlässigkeit des Beifahrers sei als gering einzuschätzen. Daher entschied der Richter, das Verfahren gegen ihn gegen eine Auflage einzustellen. Der 75-Jährige zahlt 1200 Euro an das Hospiz Kieler Förde. Die Mutter des Opfers hatte entschieden, die Entschädigung an diese Einrichtung spenden zu wollen.