Flussseeschwalben-Ärger in Kiel-Schilksee: Kot und Lärm im Wohngebiet

Sie ist ein eleganter Flieger, wiegt so viel wie eine Tafel Schokolade und macht das Leben einiger Schilkseer gerade zu einer großen Herausforderung. Denn die Flussseeschwalbe steht auf der Roten Liste der bedrohten Vogelarten. Anwohner sind genervt von Kot, Lärm und aggressiven Flugattacken: „So geht das nicht weiter“, sagt Peter Diekert, einer der Betroffenen. Für einen Pressetermin hat er nun die Nachbarschaft zusammengetrommelt. Rund 20 Menschen sind an diesem Morgen im Seeadlerweg versammelt. Sie alle hoffen, dass es bald eine Lösung gibt. „Wir sind Naturliebhaber“, sagt Peter Diekert. „Aber aus unserer Sicht überwiegen die negativen Auswirkungen. Wir wollen sie nicht töten. Aber die Situation mit der Flussseeschwalbe muss in vernünftige Bahnen gelenkt werden.“ Und dann erzählen die Anwohner von ihren Erfahrungen. Lena Pohl schildert, wie sie kürzlich mit ihren Kindern ins Auto flüchten musste, weil eine Flussseeschwalbe mit heftigen Flugattacken wohl ihr Küken verteidigen wollte. Auch Ingrid Wenk hat solche Erfahrungen gemacht: „Zwei Mal wurde ich bereits im Garten angegriffen“, schildert sie. „Wenn so ein Vogel durch Haar streift, da kriegt man Panik.“ Peter Diekert nickt: „Und da stellen sie sich mal spielende Kinder hier auf dem Platz vor. Das ist unglaublich gefährlich.“ Die Flussseeschwalben werden in Schilksee im Seeadlerweg jährlich mehr : Erst seit rund fünf Jahren würde die Flussseeschwalbe auf den Dächern im Seeadlerweg brüten, sagen die Anwohner. „Sie vermehren sich jährlich“, klagt Hanna Springer. Jetzt seien es bestimmt 30, 40 Paare. Ab 3 Uhr morgens beginne das „Gekreische“. Dazu käme all der Kot. Auf Autos, Markisen, Terrassenstühlen, an den Scheiben und der Hauswand. „Das alles macht das Miteinander kompliziert“, so Rolf Schöttler. Immer wenn die Anwohner etwas gegen die Seevögel unternehmen wollten, wurden sie vom Umweltschutzamt der Stadt Kiel ausgebremst. Die Flussseeschwalbe wird durch das Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Rabenattrappe musste sofort wieder entfernt werden: So musste Anwohner Philipp Reinhold eine Rabenattrappe auf seinem Hausdach entfernen. Auch terminierte Dacharbeiten, wie sie Heinrich Giesler machen lassen wollte, wurden unterbunden. „Hausdächer sind keine Biotope oder Lebensstätten für Tiere“, sagt Anwohner Volker Springer. „Das wird von den zuständigen Behörden wohl nicht richtig erkannt und bedarf einer schnellen Korrektur.“ Stadt Kiel: Abwehr- oder Vergrämungsmaßnahmen sind verboten: Doch eine solche Korrektur ist nicht in Sicht. „Flussseeschwalben dürfen nicht getötet oder auch nur gestört werden, ganz besonders nicht in der Brut- und Aufzuchtzeit“, so ein Sprecher des Kieler Rathauses. Das Anbringen von Abwehr- oder Vergrämungsmaßnahmen sei ebenfalls verboten. „Dies dürfte den meisten Anliegern des Seeadlerwegs bekannt sein, denn die Behörden sind seit Jahren mit den Anliegern dazu in Kontakt.“ Landesamt verteilte Infoflyer zur Flussseeschwalbe: Das zuständige Landesamt für Landwirtschaft und ländliche Räume in Flintbek hatte aufgrund der Probleme in Schilksee im vergangenen Jahr ein Flugblatt in der Nachbarschaft verteilt. Unter dem Titel „Elegante Nachbarn“ wird darüber informiert, dass die Flussseeschwalbe „vielerorts gefährdet oder bereits ausgestorben“ sei. „Daher ist es ein großes Glück für die Tiere, dass sie auf den Dächern in Ihrem Ort ein neues und sicheres Zuhause gefunden haben.“ Schleswig-Holstein trage eine „besondere nationale Verantwortung“ : Auch das Kieler Umweltministerium begrüßt es, „dass durch die Verlagerung der Brutplätze auf Dächer von Gebäuden zumindest eine Bestandsstützung diverser Arten zu beobachten ist.“ Diese Arten wie Möwen, Flussseeschwalben oder Austernfischer gehörten mit ihren charakteristischen Rufen zur Küste Norddeutschlands. Für den Erhalt der Flussseeschwalbe trage Schleswig-Holstein dabei noch „eine besondere nationale Verantwortung“, da mehr als ein Drittel der Brutpaare in Deutschland in unserem Bundesland vorkomme. Newsletter der Kieler Nachrichten Kennen Sie schon die Post aus dem Newsroom? 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Empfinde aber mehr das große Glück, die selten gewordene Flussseeschwalbe hier direkt vor seiner Haustür beobachten zu können. „95 Prozent des Kots stammt von Möwen“: Der Naturliebhaber sieht aber auch, dass viele Nachbarn einiges durcheinanderbringen. „Wir wohnen hier in einer beschissenen Gegend“, sagt der ehemalige Versuchsingenieur und ehrenamtliche Wattführer lachend. „Aber 95 Prozent der Bekleckerungen sind von den Sturmmöwen.“ Das sei ganz einfach zu erkennen: Die Hinterlassenschaften der Flussseeschwalbe seien weiß. Die Attacken würden gefährlich wirken, gibt er zu. „Aber selbst wenn ich noch nicht flugfähigen Küken zu nahe komme, werde ich nicht attackiert“, sagt er. Es gebe nur Lärm von den aufgebrachten Eltern. „Aber im Vergleich zur Sturmmöwe ist das ein Krächzen.“ Eine Lösung hat Kurt Kawohl auch parat: Zudem sei das ganze Problem zeitlich begrenzt. „Die Flussseeschwalben kommen die letzte Woche im April zum Brüten und sind Ende Juli, Anfang August fertig.“ Eine Lösung hat er aber doch parat: „Die Flussseeschwalbe brütet zwischen Kieseln“, sagt er. „Wer sein Dach nur mit Teerpappe neu deckt, hat Ruhe.“ Er aber freue sich, dass dieser seltene Seevogel hier sei. „So können wir etwas zur Arterhaltung beitragen.“ Wenn Brutplätze im Meer versinken...: Die Flussseeschwalbe ist Opfer des Klimawandels: Die Flussseeschwalbe gilt laut Roter Liste der Brutvögel Deutschlands als „stark gefährdet“. Ihr Bestand wird derzeit auf 9.000-10.500 Brutpaare geschätzt. „Auch in unseren Seevogel-Schutzgebieten an Nord- und Ostsee bemerken wir einen langfristigen Rückgang“, sagt Mathias Vaagt. Er ist Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Vereins Jordsand mit Sitz in Ahrensburg, der sich für den Schutz von Seevögeln einsetzt. Einst war die Flussseeschwalbe auch entlang der Flüsse heimisch. Doch aufgrund massiver Uferbefestigungen findet sie dort keine natürlichen Kies- und Sandbänke. „Auf der Insel Scharhörn in der Elbmündung hatten wir Anfang der 80er-Jahre noch bis zu 3200 Brutpaare“, so Vaagt. „Doch seit 2008 brütet dort keine einzige Seeschwalbe mehr. Der Rückzug an die Küsten macht das Leben für die am Boden brütende Flussseeschwalbe nicht leichter. Neben Beutegreifern wie Füchsen und Mardern bedroht der Anstieg des Meerespiegels die Art. Der Verein Jordsand hat die Flussseeschwalbe deshalb zum „Seevogel des Jahres 2020“ gewählt. „Die elegante Küstenbewohnerin steht hierzulande exemplarisch für die beiden globalen Umweltkatastrophen unserer Zeit: den Klimawandel und den dramatischen Verlust der biologischen Vielfalt“, so Mathias Vaagt. Die Flussseeschwalbe ist ein Langstreckenzieher und kommt immer nur in den wärmeren Monaten in unsere Breiten. Ihr Winterquartier sucht sie sich vorwiegend an der Westküste Afrikas. Die Seevögel brüten von Mai bis August an Küsten und auf spärlich bewachsenen Felsen- und Sandinselns. Das Weibchen legt ein bis vier Eier, die von beiden Elternteilen abwechselnd gewärmt werden. Nach drei Wochen schlüpfen die Küken. Um ihren Nachwuchs zu verteidigen, stürzen sich die Eltern auch auf nähernde Menschen. Nach drei bis vier Wochen werden die Jungvögel flügge. Die Flussseeschwalbe ernährt sich hauptsächlich von kleinen Fischen wie Hering, Sprotte und Stint. Weitere Nachrichten aus Kiel lesen Sie hier.