Heizkraftwerk in Kiel: So wird der Schornstein abgesägt

Sägen, herunterstoßen, umbauen – und das in schwindelerregender Höhe. So sieht der Arbeitsalltag von Jörg Johnke und seinem Team aus. Seit Ende September steigt er jeden Tag auf den Schornstein des Heizkraftwerks in der Humboldtstraße. Jeden Tag rückt das Ende des Schornsteins dem Erdboden dadurch ein wenig näher. Angefangen haben die Arbeiter in 85 Metern Höhe, inzwischen ist der Schornstein auf 70 Meter geschrumpft. „Pro Woche rechnen wir zehn Meter“, sagt Bastian Kremin, Projektleiter der Stadtwerke Kiel. Nach dieser Rechnung wollen sie den Schornstein bis Mitte Dezember dem Erdboden gleichmachen. Trotz der täglichen Sägearbeiten zwingt der Blick nach oben die Passanten noch immer, den Kopf in den Nacken zu legen, um bei den Arbeiten zuzusehen. Im Zuge der Wolken sieht es aus, als würde der Schlot hin- und her schwanken. Johnke macht das aber nichts aus. „Wenn ich da hoch gehe, dann schalte ich ab“, sagt er. Der Kieler Schornstein: Höchste Baustelle, beste Aussicht: Seit 23 Jahren ist er Bohrsägefacharbeiter, wie sich sein Beruf nennt. Eine so hoch gelegene Baustelle ist trotz seiner langjährigen Erfahrung etwas Neues für Johnke. Die Lage in der Innenstadt und der Ausblick auch. Genießen konnte er ihn in der ersten Woche noch nicht, er habe sich erst einmal in dieser Höhe einarbeiten müssen. Dann hat er aber den Blick gern einmal schweifen lassen: „Schiffe beim Ein- und Auslaufen sehen, das hatte ich noch nicht auf einer Baustelle.“ Den Weg bis zum Schutzgerüst – einem Netz rund um den Schornstein, das etwa zehn Meter unter den Arbeitern schwere Stürze verhindern soll – kann Johnke mit einem elektrisch betriebenen Wagen zurücklegen, der außen am Schlot hinauffährt. Die letzten zehn Meter muss er aber selbst die Leiter hochklettern. Inzwischen ist der Facharbeiter 50 Jahre alt – geht da der Aufstieg noch so leicht wie früher? „Man merkt es schon“, sagt er. „Ich lasse mir lieber Zeit.“ Ein großes Sägeblatt rückt dem Schornstein des Heikraftwerks zu Leibe: Insgesamt 60 Minuten pro Tag ist Johnke damit beschäftigt, den Stahlbeton in 1,50 Meter große Stücke zu zersägen. Die restliche Arbeitszeit nimmt das Herunterstoßen der Betonstücke auf ein Fallbett im Schornsteininneren und das Umsetzen der Säge in Anspruch. Als sein Kollege Dieter Harport, der Vorarbeiter dieser ungewöhnlichen Baustelle, eines der Sägeblätter zeigt, wird klar, dass das kein leichtes Unterfangen ist: Es reicht ihm bis kurz über die Hüfte. Fünf Männer arbeiten gleichzeitig am Rückbau des fast 50 Jahre alten Bauwerks – Harport ist der Einzige, der auf dem Boden bleibt. „Ich bin der wichtigste Mann hier unten.“ Einer müsse schließlich zur Stelle sein, „falls etwas benötigt wird oder es Verletzte gibt“, sagt er. Auf dem Schornstein gibt's einen Müsliriegel: Die anderen vier Männer balancieren also gleichzeitig auf dem schmalen Gerüst aus Holzbrettern um den Schornstein herum, mit einem Gurt sichern sie sich an Seilen, die sie vor dem Beginn der eigentlichen Arbeiten angebracht haben. Johnke ist der derjenige, der dem Beton mit der Diamant-Säge den Garaus macht. Die anderen gehen ihm zur Hand, zeichnen an oder setzen mit ihm gemeinsam die Säge um. „Da oben steht keiner rum“, sagt er. Und wie steht es mit Pausen? Dort oben eine Auszeit einzulegen, erscheint schwierig, herunter und wieder hochzusteigen lästig. Das sieht auch Johnke so. Zwischendurch hinuntersteigen kommt für ihn nicht infrage, seine Mahlzeiten während der Schichten fallen spärlich aus. „Wenn ich oben bin, esse ich einen Bananenmüsliriegel“, sagt er. Auch die Abstiege, um auf Toilette zu gehen, reduziert Johnke auf ein Minimum – nämlich auf null. „Ich gehe morgens und abends auf Toilette, das reicht.“ Mehr Nachrichten aus Kiel lesen Sie hier.