Hochschultagung: Kieler empfiehlt Reform

Artenvielfalt und sauberes Grundwasser sind wichtige Güter. Weil man diese Güter aber nicht kaufen kann wie ein Schnitzel, erleiden Landwirte, die diese Güter mitunter herstellen oder erhalten, finanzielle Verluste. Für die Agrarpolitik bedeutet das eine Herausforderung, denn sie braucht praktikable Modelle, um die Bauern für Leistungen zu entschädigen, die man nicht essen und nicht trinken kann. Noch herausfordernder wird die Sache, wenn man sie durch die globale Brille betrachtet. Bilderbuchreife Bienenwiesen und dem Wasser zuliebe wenig gedüngte Äcker mögen zwar Öko-Herzen höher schlagen lassen, doch wie sieht es mit der Verantwortung für den Teil der Weltbevölkerung aus, der immer noch nicht genug zu essen hat? Die Landwirte zeigen aktuell durch Trecker-Demos, aber auch schon seit langer Zeit, ihren Unmut. Denn sie tragen oft die vermeintlichen Zielkonflikte zwischen Ernährungssicherung und Gemeinwohlleistungen aus. Tagungsthema in Kiel: Umwelt vs. Ernährung? Genau um solche Fragen geht es am 30. Januar bei der alljährlichen öffentlichen Hochschultagung der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Kiel. „Welternährung oder Gemeinwohlleistungen? Unsere Land- und Ernährungswirtschaft nach 2020“: So lautet diesmal das Leitthema, das der Agrarökonom Prof. Uwe Latacz-Lohmann in seinem Tagungsbeitrag fast wörtlich aufgreift. Der Kieler Wissenschaftler beschäftigt sich mit der Frage, ob und in welcher Art sich Gemeinwohlleistungen wie Artenvielfalt in der Agrarpolitik der EU umsetzen lassen und was das im Zweifel für die Nahrungsversorgung auf anderen Kontinenten bedeutete. Die 70. Öffentliche Hochschultagung der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Kiel dreht sich im Schwerpunkt um ethische Konflikte in der Nahrungsmittelerzeugung. Etwa um die Frage, ob es vertretbar ist, mit Rücksicht auf größere Artenvielfalt hierzulande weniger intensiv zu produzieren und damit womöglich Hunger in anderen Teilen der Welt mit zu verursachen. Antworten auf diese und viele weitere Aspekte moderner Nahrungsmittelerzeugung gibt es am Donnerstag, 30. Januar, von 9 Uhr an im Audimax der Universität. Zur Eröffnung will Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ein Grußwort sprechen. Im großen Hörsaal folgen am Vormittag mehrere Vorträge, darunter ein Beitrag des Kieler Prof. Uwe Latacz-Lohmann zur wachsenden Bedeutung von Gemeinwohlleistungen für die Gesellschaft. Am Nachmittag von 13.15 Uhr an können die Besucher unter zahlreichen Vorträgen zu Ernährung, Nutztierwissenschaften, Agrar- und Ernährungsökonomie sowie Pflanzen und Umwelt wählen. Die Tagung richtet sich nicht nur an Fachleute, sondern auch an Laien, die beispielsweise wissen wollen, wie gesund es ist, sich weitgehend von Saft und Obst zu ernähren. Das gesamte Programm gibt es hier. Die Umweltthematik rückte in dern Vordergrund: Ganz andere Anforderungen an die Bauern gab es laut Latacz-Lohmann in der Zeit, als 1957 die Europäische Gemeinschaft gegründet wurde und die Agrarpolitik noch von Lebensmittelknappheit geprägt war: „Man zahlte den Landwirten stark subventionierte Abnahmepreise, um Anreize für die Produktion zu setzen.“ Doch was nach dem Krieg sinnvoll gewesen sein mag, kehrte sich später um. In den 1980er-Jahren war die EU aufgrund der üppigen Zuwendungen an die Landwirte zum Nettoexporteur von Agrarprodukten geworden, statt gegen Knappheit kämpfte die Politik nun gegen Butterberge und Milchseen. „So langsam rückte dann die Umweltthematik in den Blickpunkt“, erläutert Prof. Latacz-Lohmann und kommt für die heutige Zeit zur Diagnose, dass Versorgungssicherheit so gut wie keine Rolle mehr spielt, die Landwirtschaft aber mehr denn je gesellschaftlich für Gemeinwohlleistungen in die Pflicht genommen wird. Knackpunkte können mit bisheriger Politik nicht angegangen werden: Immer weniger Insekten, Vögel, Fische und Säugetiere, seit langen Jahren zu viel Nitrat im Grundwasser, bedenklich hohe Ammoniak-Emissionen durch die Nutztierhaltung und fragwürdige Zustände in so manchem Stall, das sind aktuell zumindest aus Sicht von vielen nicht in der Landwirtschaft Tätigen die großen Knackpunkte. „Die können mit der bisherigen Förderpolitik nicht angegangen werden“, stellt Latacz-Lohmann fest. Etwa sechs EU-Milliarden fließen pro Jahr in die deutsche Landwirtschaft, und das nach Einschätzung des Experten „weitgehend konditionslos“. Will heißen: Wirkliche Bedingungen müssen die Betriebe für die Zahlungen aus Brüssel kaum erfüllen. Stattdessen werde weitgehend nach Fläche abgerechnet, sodass der durchschnittliche schleswig-holsteinische Hof bei 260 Euro pro Hektar mit jährlich um die 30000 Euro Subventionen rechnen dürfe. Jedes Land mit eigener Regelung: Ob sich dieses System grundsätzlich ändern soll, ist unter den EU-Mitgliedsstaaten hoch umstritten. Also lautet die Devise Dezentralisierung: Jedes Land darf selbst regeln, ob es seine Bauern stärker für gesellschaftlich und ökologisch erwünschte Leistungen bezahlt oder nicht. Bis Anfang 2021 müssen die nationalen Strategiepläne in Brüssel vorgelegt werden, um zu klären, ob sie ins künftig recht grobe Raster der EU passen. Agrarpolitischer Reformbedarf besteht also auch in Deutschland. Und aus Sicht von Uwe Latacz-Lohmann wäre eine stärkere Ausrichtung an den Gemeinwohlleistungen durchaus möglich. Umweltschutz und Tierwohl als bäuerliche Leistungen? Sein Vorschlag: Ziele wie Artenvielfalt, Gewässer- und Klimaschutz, Emissionsvermeidung und Tierwohl könnten als bäuerliche Leistungen betrachtet, bewertet und bezahlt werden. „Dazu wäre sicher irgendeine Art von Punktesystem nötig“, glaubt der Agrarökonom. Eine radikal neue Agrarpolitik mit kompletter Abkehr von flächenbezogenen Zahlungen hält er aber für utopisch: „Die Förderstrukturen sind über Jahrzehnte gewachsen, sodass es politisch niemals durchsetzbar wäre, auf einmal alles ganz anders zu machen.“ Weitere Nachrichten aus Kiel finden Sie hier. Das Programm der 70. Öffentlichen Hochschultagung in Kiel: Die 70. Öffentliche Hochschultagung der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Kiel dreht sich im Schwerpunkt um ethische Konflikte in der Nahrungsmittelerzeugung. Etwa um die Frage, ob es vertretbar ist, mit Rücksicht auf größere Artenvielfalt hierzulande weniger intensiv zu produzieren und damit womöglich Hunger in anderen Teilen der Welt mit zu verursachen. Antworten auf diese und viele weitere Aspekte moderner Nahrungsmittelerzeugung gibt es am Donnerstag, 30. Januar, von 9 Uhr an im Audimax der Universität. Zur Eröffnung will Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ein Grußwort sprechen. Im großen Hörsaal folgen am Vormittag mehrere Vorträge, darunter ein Beitrag des Kieler Prof. Uwe Latacz-Lohmann zur wachsenden Bedeutung von Gemeinwohlleistungen für die Gesellschaft. Am Nachmittag von 13.15 Uhr an können die Besucher unter zahlreichen Vorträgen zu Ernährung, Nutztierwissenschaften, Agrar- und Ernährungsökonomie sowie Pflanzen und Umwelt wählen. Die Tagung richtet sich nicht nur an Fachleute, sondern auch an Laien, die beispielsweise wissen wollen, wie gesund es ist, sich weitgehend von Saft und Obst zu ernähren. Das gesamte Programm gibt es hier.

Hochschultagung - Agrarförderung: Kieler empfiehlt Reform