Inzidenz ab 35: Stöcken schließt Geisterspiele bei THW und Holstein Kiel nicht aus

Bislang gehört Kiel zu den wenigen Regionen in Deutschland mit geringen Infektionszahlen. Wie bewerten Sie die Lage? Gerwin Stöcken: Wir haben im Moment noch kein wirklich zirkulierendes Virus in dieser Stadt. Die Fallzahlzunahme kommt im Wesentlichen durch Reiserückkehrer oder von Besuchern und den daraus folgenden Kontakten. Noch steckt ein Infizierter in Kiel zudem nicht vier weitere Menschen an. Aber ich befürchte, wir sind kurz davor. Man kann und muss davon ausgehen, dass wir die Zahlen vom Frühjahr wieder erreichen werden. Damals hatten wir bis zu 14 Neuinfektionen am Tag, am Dienstag waren es schon elf. Aber inzwischen wird auch viel mehr getestet. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Kiel noch so gut dasteht? Unsere zurückhaltende norddeutsche Art hilft uns im Moment, Ansteckungen zu vermeiden. Es ist gut, dass wir von Natur aus nicht sofort jeden umarmen müssen. Es hilft auch, dass wir relativ gut erklären, was wir von den Menschen erwarten. Wir haben nicht ständig neue Weisungslagen, sondern innerhalb der Corona-Landesverordnung bisher eine relative Klarheit und Transparenz. Trotzdem sind schon seit Wochen Hunderte Kieler in Quarantäne. Wie kooperativ sind die Menschen? Es sind derzeit rund 350 Menschen in Quarantäne. Nach wie vor sind all die, die direkt betroffen sind, relativ einsichtig und kooperativ. Es gibt Probleme, wenn Menschen allein leben und nun zusätzlich 14 Tage von ihren Außenkontakten ferngehalten werden müssen. Außerdem stellen bestimmte Bevölkerungsgruppen immer wieder die Frage: Gelten die Bestimmungen auch für mich? Ist das deutsche Recht nicht Verhandlungssache? Diese Fragen sind anstrengend. Sie selbst waren beim letzten THW-Heimspiel in der Wunderino-Arena. Holstein Kiel haben Sie sowieso im Blick. Halten Sie, trotz der steigenden Zahlen, den Besuch der Heimspiele in den kommenden Wochen unter Hygienebedingungen für verantwortbar? Für mich ist das abhängig davon, wie viele Menschen in der Bevölkerung erkrankt sind. Sobald wir eine Sieben-Tage-Inzidenz von 35 pro 100.000 Einwohner haben, würde ich sagen: Lasst uns damit aufhören. Weil dann die Gefahr besteht, dass Leute sich infizieren und das Virus in die Stadien und Hallen tragen. Dann müssten wieder Geisterspiele stattfinden. Alles andere wäre nicht zu verantworten. Lesen Sie auch: So hoch ist der 7-Tage-Inzidenzwert in den Kreisen und Städten Junge Menschen schuld am Corona-Anstieg? Das sagen junge Kieler Was sagen die Coronazahlen und der Inzidenzwert eigentlich aus? Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit dem Land? Positiv ist, dass das Land seine Verantwortung wahrnimmt und die Krise nicht nur über Allgemeinverfügungen steuert, die dann in den einzelnen Kreisen und kreisfreien Städten scharf geschaltet werden müssen. Es gibt eine Klarheit: Alles gilt im Land gleich. Die Debattenkultur mit dem Land ist auch sehr gut. Allerdings merke ich, dass die Bereitschaft, sich am Wortlaut der Verordnung festzuhalten, immer größer wird und das Ziel, das wir erreichen wollen – die Viruseindämmung –, in den Hintergrund tritt. Wir werden immer mehr zu Vorschriftenanwendern. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? Nein, das möchte ich lieber nicht. Wenn Sie einen Wunsch an die Landes- und Bundespolitik frei hätten, wie würde der lauten? Lasst uns die Dinge tun, die wir schlüssig und eindeutig durchsetzen können. Verhindert diese Kakofonie der Ministerpräsidenten und Chefs der Staatskanzleien über die Frage, wie man bestimmte Dinge machen muss. Ich glaube, das Virus ist in Deutschland überall gleich, sieht gleich aus, ist gleich ansteckend. Es macht keinen Sinn, dass wir in Bayern andere Regelungen haben als in Hamburg oder in Schleswig-Holstein. Das ist falsch und bringt die Leute durcheinander. Wir brauchen Klarheit, Eindeutigkeit und wenige, aber wirkungsvolle Vorschriften. Interview: Kristian Blasel und Jördis Früchtenicht Weitere Nachrichten aus Kiel lesen Sie hier.