Jana Kühl aus Kiel: Deutschlands erste Professorin für Fahrrad im Interview

Zum Fototermin an der Veloroute 10 bringt Jana Kühl ihr Lieblingsrad mit. Selbstredend hat die Fahrradprofessorin mehrere Drahtesel. Frau Kühl, es gibt einigen Medienrummel um Ihre Person und die erste Radverkehrsprofessur in Deutschland. Warum? Jana Kühl: Mich hat das überrascht. Diese Professur war definitiv überfällig angesichts des großen Bedarfs, den Radverkehr in Deutschland weiterzuentwickeln. Zeigt das Echo, dass es mehr Interesse am Radverkehr gibt als bisher abgebildet – oder mehr Befürchtungen? Die Medienwirksamkeit spricht auf jeden Fall für ein beachtliches Interesse am Radverkehr. Gleichzeitig kommen viele Kommunen und ehrenamtlich Engagierte auf mich zu. Sie erhoffen sich Unterstützung oder bitten um Beratung. Wie können wir das Thema angehen? Die meisten schaffen gerade erst Stellen für Radbeauftragte und Planende. Von anderen wird allerdings auch Angst geäußert, dass Autofahrer in ihren Rechten beschnitten werden. Wie geht man denn Radförderung richtig an? Radmobilität braucht gute Infrastruktur, aber auch eine gute Verknüpfung mit anderen nachhaltigen Verkehrsarten. Man sollte sie mit gutem ÖPNV verbinden, um gar nicht mehr ins Auto steigen zu müssen. Innerorts müssen Konflikte zwischen Rad- und Fußverkehr vermieden werden. Es erfordert viele Perspektivwechsel, um das Radfahren gegenüber dem Auto konkurrenzfähig zu machen. Ganz entscheidend sind Qualität der Wege, Durchgängigkeit und Sicherheit. Es muss im Alltag funktionieren, Rad zu fahren. Das passt auch zu Ihrem Lebenslauf. Genau, ich habe mich mit Wohnstandorten, Pendeln und täglicher Mobilität befasst, zu nachhaltiger Mobilität in ländlichen Räumen geforscht – von autonomen Bussen bis zu Fahrgemeinschaften. Dabei geht es auch um Sozialwissenschaft, wenn man fragt: Was ist für die Menschen vorstellbar und praktikabel? Jana Kühl wurde 1984 in Lübeck geboren, wuchs in Bad Schwartau auf und kam zum Studium 2004 nach Kiel, wo sie seither ihren Lebensmittelpunkt hat. An der Christian-Albrechts-Universität studierte sie bis 2009 Geographie sowie Soziologie und Öffentliches Recht, arbeitete anschließend als Wissenschaftliche Hilfskraft bzw. Mitarbeiterin in der AG Kulturgeographie am Geographischen Institut. 2010 bis 2011 war sie im Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund im Rahmen eines Projektes zu "Wohnstandortentscheidungen" tätig, wechselte dann 2012 bis 2016 an die TU Dortmund ins Fachgebiet Raumordnung und Planungstheorie, wo sie auch 2016 promovierte zum Städtischen Grün. 2016 bis 2018 ging es als Referentin Verkehrsplanung und neue Mobilitätsformen zum Nahverkehrsverbund Nah-SH zurück nach Kiel, 2017 bis 2020 war sie außerdem erneut in der AG Kulturgeographie an der CAU Kiel tätig und forschte zu autonomem ÖPNV, ehe der Ruf an die Ostfalia in Salzgitter folgte. Ihre Stelle als Professorin für Radverkehrsmanagement ist eine von sieben, die das Bundesverkehrsministerium gestiftet hat. Wo steht Deutschland denn im Radverkehr derzeit? Das ist regional sehr unterschiedlich: Es gibt Städte wie Münster, in denen fährt man Fahrrad – fast unabhängig von der Infrastruktur. In anderen Städten müssen die Menschen mit Angeboten gelockt und unterstützt werden. Da tut sich in Deutschland etwas, aber nicht überall. Laut einer aktuellen Studie ist Radfahren in Deutschland bereits sicherer als in Dänemark und den Niederlanden. Sehen viele diese Vorteile nicht? Teilweise stimmt das. Aber Radfahren funktioniert bei uns eben nicht immer gut. Es gibt etliche Ecken, wo Autos krass bevorteilt werden, auch in Kiel. Die Veloroute 10 ist nur ein einzelnes gutes Gegenbeispiel. Mit mehr davon fiele der Anschub leichter. Schließlich hat das Rad Vorteile, die eigentlich jeder kennt: Man kann am Stau vorbeifahren und man hält sich gleich noch fit dabei. Lesen Sie auch: Das tut sich um die Veloroute 10 Muss die Verkehrswende also gar nicht immer in einen Kampf ausarten? Natürlich wird es weiter Autos geben, für längere Distanzen auf dem Land beispielsweise. Es geht nicht darum, das Autofahren pauschal zu verbieten, sondern darum, Alternativen zu stärken. Wo Raum begrenzt ist, können Geschwindigkeitsreduzierung oder Fahrradstraßen dafür sorgen, dass das Miteinander funktioniert. Aber wo es eng oder gefährlich ist, muss der bedingungslose Vorrang des Autos hinterfragt und zurückgenommen werden. Häufig ist das in Städten so: etliche Autospuren und am Rand ein kleiner kombinierter Geh- und Radweg. Da muss man ran. Die Omnipräsenz der autogerechten Stadt ist nicht mehr zeitgemäß. Ist das aus Ihrer Sicht allen Bürgern positiv vermittelbar? Wir sind am Anfang dieses Wandels, weswegen das Selbstverständnis des Autoverkehrs noch überwiegt. Aber das können wir uns nicht mehr leisten, wenn man auf den Klimawandel und die überfüllten Straßen schaut. Und häufig sind die lautesten gar nicht die meisten Stimmen. Umfragen zeigen längst, dass viel mehr Menschen umsteigen wollen. Wie entwickelt sich Kiel in dieser Hinsicht? Kiel ist interessant, hat sehr früh mit Radförderung angefangen. Das Potenzial ist groß, weil es viele breite Straßen gibt. Inzwischen sieht man, wie sich vieles verändert – ob Gerhardstraße oder südliche Projensdorfer Straße. Aber es gibt immer wieder symbolhaftes Scheitern. Wenn Radwege an Bushäuschen enden, ist der gefährliche Konflikt programmiert. Noch tragischer sind Filteranlagen auf Radwegen. Das wirft doch alles um. Lesen Sie auch: Die Absauganlagen sind da Hat die Kommunalpolitik in diesem Fall versagt? Gewissermaßen. Es zeigt die Autozentriertheit. Der Radverkehr wird beschnitten und die Ursache der Emissionen wird nicht angefasst. Wir brauchen eine Senkung der Emissionen. Radverkehr ist ein Schlüssel zu weniger Emissionen. Wenn man diesen nun aktiv blockiert, ist das mehr als kontraproduktiv. Bei so etwas beraten Sie jetzt also auch Kommunen. Ist das eigentlich Ihre Rolle? Ein echter Zwiespalt. Es fehlt eine offizielle Anlaufstelle von Bund oder Land für die Kommunen. Ich fühle mich von den Anfragen natürlich angesprochen, will helfen. Aber ich bin weder Lobbyistin noch Beraterin und würde mich gerne mehr dem Radverkehr in Forschung und Lehre widmen. Lesen Sie auch: Das sind die häufigsten Rad-Verstöße Und welcher Frage zuerst? Tatsächlich vor allem dem Konflikt. Ich finde es traurig, dass die Diskussion über die Verkehrswende immer in einen Kampf um die Vorherrschaft einzelner Verkehrsmittel mündet. Ich würde gerne herausfinden, wo das herkommt. Vielleicht ergeben sich Lösungsvorschläge, um den Konflikt zu entschärfen.