Jobcenter Kiel zieht für 2020 eine gute Bilanz und wagt schlechte Prognose

Die Wirtschaftskrise ist noch nicht bei den Jobcenter-Kunden angekommen. Es gab so wenig Arbeitslosengeld-I-Empfänger wie nie: 22000 erwerbsfähige Kielerinnen und Kieler bezogen Ende 2020 Arbeitslosengeld II, das ist der historisch niedrigste Stand seit Einführung von Hartz IV im Jahr 2005. „Dieser sehr gute Zwischenstand erklärt sich dadurch, dass uns die Krise getroffen hat, als wir einen Höchststand an sozialversicherungspflichtigen Stellen hatten. Wir haben eine gewisse Resilienz“, erklärte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer. Die Zahl der Arbeitslosengeld I-Empfänger ist stark gestiegen : Petra Eylander, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Kiel, prognostiziert, dass sich die gute Entwicklung der Jobcenter-Zahlen nicht fortsetzen lasse. Denn insgesamt stieg die Arbeitslosigkeit in Kiel 2020 deutlich an. Und wer in diesem Jahr arbeitslos wurde und noch Arbeitslosengeld I bezieht, rutsche unter Umständen schon bald in die Grundsicherung. Beim Arbeitslosengeld I verzeichnete die Kieler Arbeitsagentur im Jahresdurchschnitt einen Anstieg von 37,8 Prozent auf 3300 Arbeitslose. „Das ist richtig viel“, kommentiert Eylander knapp. Ohne Kurzarbeitergeld wäre der Anstieg sogar noch höher ausgefallen. In Kiel würden sich aktuell 26 Prozent der Beschäftigen in Kurzarbeit befinden. „Der ein oder andere wäre vielleicht im Betrieb gehalten worden, für den Großteil wäre die Alternative aber Arbeitslosigkeit gewesen“, so Eylander. Hingegen stieg die Arbeitslosigkeit unter den erwerbstätigen Hartz-IV-Beziehern nur gering um 3,9 Prozent auf 8223 Menschen. Diese Zahl wird nun stark steigen, davon gehen die Arbeitsmarktexperten fest aus. Denn durch die Fortsetzung des Lockdowns werden die Betriebe ihre Beschäftigten nicht zeitnah wieder einstellen können. Zur Klientel des Jobcenters zählen auch Selbstständige. „Wir verzeichnet einen Anstieg von 25 Prozent bei Selbstständigen, die nicht arbeitslos sind, denen wir aber Grundsicherung geben“, berichtet Karsten Böhmke. Seine Sorge sei, dass viele Selbstständige vor dem Nichts stünden und dennoch den Weg ins Jobcenter scheuten. „Wir sind für sie da. Wir zahlen unter anderem die Kosten der Unterkunft, für Krankenversicherung.“ Böhmke wirbt dafür, dass Selbstständige in Existenznöten prüfen lassen, ob sie anspruchsberechtigt sind – auch parallel zur Beantragung von Wirtschaftshilfen wie Überbrückungsgeld. Da gebe es viele Fehlinformationen, Betriebsvermögen etwa werde nicht angerechnet. „Wer nicht kommt, an dem gehen möglicherweise Ansprüche vorbei.“ Nach einem Jahr endet das Arbeitslosengeld I, weitere Hilfen werden vom Jobcenter geprüft: Problem: Nach etwa einem Jahr entfällt der Anspruch auf Arbeitslosengeld I; dann müssen die Hilfebedürftigen von der Arbeitsagentur zum Jobcenter wechseln. Erfahrungswerte des Jobcenter zeigten, dass 35 Prozent von ihnen Anspruch haben auf Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II (Arbeitslosengeld II), so Karsten Böhmke. „Der Rest hat genügend Einkommen in seiner Bedarfsgemeinschaft.“ Besonders stolz zeigt sich Böhmke beim Jahrsbilanzgespräch über die Vermittlungs- und Beratungstätigkeit seiner Mitarbeiter: „Unsere Zahlen sind besser als in Städten wie Lübeck, Neumünster, Hamburg.“ Insgesamt vermittelte das Jobcenter 4542 Menschen in den ersten Arbeits- und Ausbildungsmarkt, davon 57 Prozent Langzeitarbeitslose. Das sind zwar 16 Prozent weniger Menschen als im Vorjahr, aber zeitgleich seien auch 20 Prozent weniger Stellen gemeldet worden. Den Stellenabbau betraf Unternehmen aus den Branchen Reise, Gastronomie, Gebäudebetreuung, Call-Center, Messe, Aussteller, Handel sowie Wach- und Sicherheitsdienste. Neue Stellen gab es hingegen im Gesundheits- und Sozialwesen, in der öffentlichen Verwaltung sowie im Garten- und Landschaftsbau. Laut Böhmke hat sich die Pandemie nicht auf die Ausgaben des Jobcenters ausgewirkt. „Es gab einen Anstieg, aber der hat sich im Jahresmittel wieder angeglichen. Insgesamt haben wir 275 Millionen Euro in die Wirtschaft gegeben.“