Als der rechte Putsch Kiel erreichte

Mit ihrem neuen Werk „Der Kapp-Putsch in Kiel. Reaktionäre gegen die Weimarer Republik“ erinnern die beiden Kieler Filmemacher Kay Gerdes und Klaus Kuhl an die Geschichte eines Hochverrats, der im März vor 100 Jahren das Ende der Weimarer Republik zum Ziel hatte. Zwar scheiterten die reaktionären Putschisten am organisierten Widerstand von Reichsregierung, Gewerkschaften und Republiktreuen. Doch der Kapp-Putsch zeigte die Stärke und Gesinnung rechter Kräfte, die 1933 den Untergang der Republik besiegelten. In Berlin begann der Kapp-Putsch, in Kiel dauerte er am längsten: Die Novemberrevolution, das Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie im Deutschen Reich lagen noch keine anderthalb Jahre zurück, als nationalkonservative Politiker und Teile des Militärs ihre Chance sahen, das Rad zurückzudrehen und zunächst die ihnen verhasste Reichsregierung (SPD, Zentrum, DDP) unter Kanzler Gustav Bauer (SPD) zu stürzen. „Seinen Anfang nahm der rechtsgerichtete Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin, am längsten gekämpft wurde aber in Kiel“, stellt der Kieler Historiker Dr. Martin Rackwitz fest. Am 13. März 1920, einem Sonnabend, ließen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, Ex-Vorsitzender der da schon aufgelösten Deutschen Vaterlandspartei, und Reichswehrgeneral Walter von Lüttwitz Soldaten des Freikorps Brigade Ehrhardt ins Regierungsviertel in Berlin marschieren. Reichspräsident Friedrich Ebert und die Reichsregierung flohen nach Stuttgart, riefen von dort zum Generalstreik auf, den die Gewerkschaften organisierten. Schon am Abend des 17. März gaben die Putschisten in Berlin auf. Lesen Sie auch: 100 Jahre Matrosenaufstand - und was davon übrig blieb Die Marine, auch in Kiel, stellte sich hinter die Putschisten: Nicht aber in Kiel. Vom ersten Tag an hatte sich der oberste örtliche Befehlshaber der Marinesoldaten und Chef der Marinestation Ostsee, Konteradmiral Magnus von Levetzow, hinter die Kapp-Putschisten gestellt. So wie vor ihm Vizeadmiral Adolf von Trotha, seit 1919 Chef der Admiralität und noch 1918 Urheber der Idee, die deutsche Flotte zum letzten Gefecht auslaufen zu lassen. Schon am Tag vor dem Putsch hatte von Levetzow wegen eines angeblich bevorstehenden Sturms von Kommunisten erhöhte Bereitschaft angeordnet. Nun ließ er republiktreue Beamte und den Polizeipräsidenten verhaften, drohte Rädelsführern mit Standgericht und Todesurteil, ließ bewaffnete Kräfte gegen die streikenden Arbeiter mobilisieren, darunter das Freikorps Loewenfeld und eine Art Bürgerwehr für Streikfälle: das Zeitfreiwilligen-Regiment des Ordnungsbundes. Der 18. März 1920: der "blutige Donnerstag" in Kiel: Sinnigerweise beginnt denn auch der Vorspann des Films mit einem Foto aus Kiel. Man sieht Stiefel auf Kopfsteinpflaster, hört dazu Marschtritt, dann die Worte: „Die Legienstraße in Kiel. Es ist der 18. März 1920. Ein Trupp reaktionärer Freikorpssoldaten rückt an und bahnt sich den Weg durch die dicht gedrängt stehenden Arbeiter.“ Jener Tag ging als der „blutige Donnerstag“ in die Geschichte der Stadt ein. Detailgenau und chronologisch zeichnet der Film im Folgenden die Ereignisse in Kiel nach, zeigt den wachsenden Widerstand von Arbeiter- und Beamtenschaft, von regulären Marineeinheiten und Sicherheitspolizei. Er zeigt die kurzlebige Einigkeit von MSPD, USPD und KPD, die Kämpfe um die ehemals Kaiserliche Werft, um die Schiffs- und Maschinenbau-Schule in der heutigen Legienstraße und die schwersten Kämpfe in der Bergstraße. Geschickt komponiert und geschnitten wird das überschaubare Bildmaterial aus Kiel mit Aufnahmen auch der Putschtage in Berlin, wo Freikorps-Soldaten Hakenkreuze an ihren Helmen trugen. Zwischen 1918 und 1922 ermordeten Angehörige der Freikorps 354 Menschen im Deutschen Reich: Getaktet wird die Dokumentation mit älteren Zeitzeugen-Interviews und aktuellen Erläuterungen von Prof. Oliver Auge, Regionalhistoriker an der Christian-Albrechts-Universität. Auge kommentiert im Film die umgehende Unterstützung der Putschisten durch die Admirale von Trotha und von Levetzow mit dem Satz: „Das hat der Marine – weit mehr als dem Heer – den Ruf eingebracht, eine antidemokratische Kraft zu sein. Das zog sich durch die Weimarer Republik.“ Die Freikorps, so erfährt der Zuschauer, ermordeten zwischen 1918 und 1922 im Deutschen Reich 354 Menschen. Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) hatte die Freikorps als Elitetruppen in die Reichswehr aufgenommen. Er sah diese und sich als militärische Verteidiger der parlamentarischen Demokratie. „Letztlich ging der Schuss nach hinten los“, kommentiert Oliver Auge, „weil sich die Freikorps gegen das Weimarer System stellten.“ Die Loewenfelder Freikorpssoldaten entkommen über die Holtenauer Hochbrücke: Konteradmiral von Levetzow drohte Noske und auch Reichspräsident Ebert mit Haft für den Fall, dass sie nach Kiel kämen. Am 17. März wurde er von der Reichsregierung abgesetzt, was weder er noch die Freikorps-Männer akzeptierten. Deren letzte Bastionen sind die Kasernen in der Wik. Levetzow entkommt nach Lütjenburg und wird dort verhaftet, die Freikorps-Männer und Zeitfreiwillige fliehen über die Holtenauer Hochbrücke. Die Friedrichsorter Arbeiterwehr kann die Schwerbewaffneten nicht aufhalten. Unter den historischen Zeitzeugen-Dokumenten hinterlässt ein NDR-Interview mit Axel Eggebrecht (1899-1991) Eindruck. Eggebrecht, damals Zeitfreiwilliger, schildert, wie nach dem Rückzug aus Kiel antisemitische Loewenfelder in Nortorf ein jüdisches Geschäft überfallen: „In diesem Moment, mit 21 Jahren, war ich zum ersten Mal ein politischer Mensch und fragte mich: Unter was für Leute bist du geraten?“ Während der gut einjährigen Arbeit am Film hat Kay Gerdes eines erfahren: „Auch unter mittelmäßig gebildeten Leuten wissen viele nicht, was der Kapp-Putsch ist.“ Man sollte es wissen, um zu erkennen, welche Gefahren von rechts einer schwächelnden Demokratie drohen können. Beim Kapp-Putsch in Kiel verloren 47 Zivilisten und 29 Militärs ihre Leben, der Großteil am blutigen Donnerstag. Viele Putschisten kamen ungeschoren davon. Von Levetzow wurde in Leipzig vor Gericht gestellt und nicht verurteilt. Die Freikorps wurden nicht entwaffnet. Gustav Noske musste zurücktreten: Er habe den Freikorps zu viel Raum gegeben und damit reaktionäre Kräfte gestärkt. Bürgermeister Fritz Gradenwitz: Engagierter Widerstand gegen die Putschisten "zu wenig gewürdigt": Auf einen Mann, der maßgeblich dazu beitrug, dass sich die Kapp-Putschisten in Kiel nicht durchsetzen konnnten, indem er die Stadtverwaltung ganz klar gegen die Putschisten positionierte, macht der Historiker Dr. Martin Rackwitz aufmerksam: Dr. Fritz Gradenwitz, damals parteiloser Bürgermeister. "Dieses große Verdienst von Gradenwitz wird meines Erachtens bis heute zu wenig gewürdigt. Sein Amtsvorgänger Paul Lindemann hingegen, der sich als Oberbürgermeister während des Ersten Weltkrieges ohne Zweifel Verdienste um Kiel erworben hatte, stellte sich den Putschisten als Oberpräsident und Marionette zur Verfügung. Fritz Gradenwitz wurde auch nach seinem Ausscheiden als Bürgermeister 1925 wegen seiner jüdischen Herkunft massiv benachteiligt und zwischen 1933 und 1945 verfolgt." Leutnant zur See Carl von Seydlitz: "Zielscheibe einer reaktionären Kampagne": Historiker Klaus Kuhl erinnert an eine weitere Persönlichkeit, die fast vergessen wurde: Leutnant zur See Carl von Seydlitz. Dieser rückte nach dem Kapp-Putsch an die Spitze der Marinestation der Ostsee in Kiel, "weil er sich mit Umsicht und Energie den Putschisten entgegengestellt und damit das Vertrauen der Mannschaften gewonnen hatte", so Kuhl. "Doch nur wenige Wochen später wurde er zur Zielscheibe einer deutschlandweiten reaktionären Kampagne, die von den abgesetzten oder den Dienst boykottierenden Seeoffizieren initiiert worden war." Seydlitz habe schließlich entnervt aufgegeben und 1923 die Marine verlassen. Klaus Kuhl sucht weitere Informationen zu Carl von Seydlitz, den er eine "interessante Persönlichkeit" nennt. Wer noch weiteres Material oder Fotos hat, möge sich per Mail an ihn wenden: klaus.kuhl@kurkuhl.de Weitere Nachrichten aus Kiel lesen Sie hier.

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