Kiel: Bekommt bald jeder zum 75. Geburtstag Besuch von der Stadt?

"Bei Themen wie Pflege, Älterwerden und Sterben wartet man oft, bis nichts mehr geht, bevor man sich damit beschäftigt", erzählt Andrea Schnücker-Schulz vom Amt für Soziale Dienste. Um das zu ändern, gibt es nun eine Idee: Senioren könnten zu ihrem 75. Geburtstag einen Glückwunschbrief von der Stadt erhalten, in dem ein Hausbesuch angeboten wird. Bei einem rund einstündigen ersten Gespräch könnte dann die Lebenssituation mit Blick auf soziale Teilhabe und die Gesundheit Thema sein. „Es geht darum, was der Mensch braucht und wie wir da unterstützen können“, so Schnücker-Schulz. Der Brief und weitere Umsetzungsmöglichkeiten für die Hausbesuche werden in einer geschäftlichen Mitteilung der Verwaltung vorgestellt, die im letzten Sozialausschuss zur Kenntnis genommen wurden. Die Entscheidung, ob die Besuche eingeführt werden, liegt nun bei der Ratsversammlung. Wenn sie die Maßnahme befürworten, müssten die Fraktionen einen entsprechenden Antrag einbringen, erklärt der Leiter des Amtes für Soziale Dienste, Arne Leisner. Anfang des Jahres hatte die Ratsversammlung die Etablierung präventiver Hausbesuch bereits begrüßt. Wissen um Angebote für Senioren in Kiel soll erweitert werden: Die Besuche zielten auf eine Wissensvermittlung zu altersrelevanten Themen, Gesundheitsrisiken und die Erhöhung von Selbsthilfekompetenz bei Senioren ab, heißt es in der geschäftlichen Mitteilung. „Die meisten älteren Menschen haben den großen Wunsch, im eigenen Umfeld zu bleiben“, so Schnücker-Schulz. In Kiel gebe es einige niedrigschwellige Angebote, die dabei helfen könnten, wenn sie bekannt seien. Beschäftige man sich frühzeitig etwa mit der Frage, wie man gerne wohne möchte, könne man noch mehr Einfluss auf die Situation nehmen. „Wir werden nicht von heute auf morgen alt, das ist ein schleichender Prozess“, so Schnücker-Schulz. „Je mehr Vorsorge man betreibt, auch, indem man soziale Kontakte aufbaut, desto besser gelingt das Altwerden.“ Vereinsamung im Alter wird auch in der geschäftlichen Mitteilung berücksichtigt. Um das Risiko zu verringern, sei eine Schwerpunktsetzung auf die Förderung und den Erhalt der sozialen Teilhabe notwendig, heißt es dort. Doch wie erreicht man gerade diejenigen, die einsam sind? „Es kann sein, dass jemand nicht mehr vor die Tür kommt, allein und isoliert ist. An diese Menschen ranzukommen ist nicht leicht“, sagt Schnücker-Schulz. Als Lösung sind die Glückwunschbriefe angedacht, mit denen die Senioren kontaktiert werden könnten. Präventive Hausbesuche: Erfahrungen aus dem "WIPP"-Projekt: Dass ein solches Angebot angenommen werden könnte, zeigt das Forschungsprojekt „WIPP“ (Welfare in Primary Prevention), dessen Ergebnisse gerade vorgestellt wurden. Es konnten zeigen, wie insbesondere gesundheitlich gefährdete ältere Menschen das eigene Älterwerden aktiv gestalten können. Für das Projekt wurden Senioren in Kiel zu Hause besucht und befragt. Die Teilnehmer konnten dann bei speziell für sie entwickelten, gesundheitsfördernden Angeboten mitmachen. „Mit WIPP konnte getestet werden, was Hausbesuche bringen“, sagt Schnücker-Schulz. Die seien aber auch keine Neuerfindung und würden in anderen Städten, etwa Hamburg, schon angeboten. Lesen Sie auch: Kieler testen: So bleiben Senioren fit Kieler Seniorenbeirat begrüßt präventive Hausbesuche: Der Kieler Seniorenbeirat begrüßt das Vorhaben. „Wir haben das schon in der letzten Legislaturperiode gefordert“, sagt der Vorsitzende Karl Stanjek. Lediglich über das Alter, in dem die Senioren kontaktiert werden sollen, lasse sich diskutieren. „Einige sagen, 75 Jahre ist zu früh. Sie müssten nicht über Pflegegrade informiert werden, seien fit wie ein Turnschuh. Andere sagen, dass sie das mit 70 Jahren schon gebraucht hätten.“ Zudem sei bei der Umsetzung wichtig, genügend Mitarbeiter mit entsprechender Expertise zu haben. Lesen Sie auch: 80-jährige Kielerin klagt über Altersgrenze im Ehrenamt Die werden in der geschäftlichen Mitteilung bereits aufgeführt. Anderthalb Vollzeitstellen seien für die Hausbesuche nötig, zu besetzen etwa mit Sozialarbeitern, die idealerweise zusätzlich eine Ausbildung zum Krankheits- und Gesundheitspfleger abgeschlossen haben, oder auch mit Krankheits- und Gesundheitspflegern mit einer Zusatzqualifikation in Casemanagement. Je nach Besetzung der Stellen würden sich die Personalkosten zwischen 80.100 Euro und 104.400 Euro belaufen. Sollte die Ratsversammlung einen entsprechenden Beschluss fassen, könnten die Hausbesuche im letzten Quartal 2021 beginnen. Weitere Nachrichten aus Kiel lesen Sie hier.