Kiel: Beratungsstelle und Herberge für arbeitslose Pastoren

Beratungsstelle und Herberge für arbeitslose Pastoren“, steht in großen blauen Buchstaben auf vier weißen Holzlatten auf der grauen Villa in der Rendsburger Straße 376 in Kiel. Nicht nur in Russee fragt man sich, ob es so eine Beratungsstelle je gegeben hat. Thomas Goebell ist der letzte Nachkomme einer schleswig-holsteinischen Pastoren-Dynastie und Sohn des Theologieprofessors Walter Goebell, der an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel lehrte. Es war für ihn ein Schock, dass ausgerechnet ihm nach Abschluss seines Studiums in Kiel die Ordination verweigert wird. Auch mehr als 30 Jahre später hegt Goebell noch Groll auf Ulrich Wilckens – jener Bischof, der ihn damals nicht zum Dienst als Pastor zuließ. „Wilckens hat ausgesiebt und geschaut, wen er rauskegeln konnte“, behauptet Goebell. Es sei mit komischen Tricks gearbeitet worden. Der heute 92 Jahre alte Altbischof Wilckens, der wegen seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS und erzkonservativen Positionen zeitlebens umstritten war, kann sich über dreißig Jahre später zwar nicht mehr an Goebell erinnern, wohl aber an die Vorgaben für den Pastorendienst. „Nur wer einen wahren Glauben hat und die menschliche Eigenschaft, für Menschen da zu sein, sollte auch Pastor werden dürfen.“ Wie finanziert man 14 Häuser? Die Wut lässt Goebell, der als arbeitsloser Pastor viel Zeit hat, nach dem Rückschlag aktiv werden. Er reist durch Schleswig-Holstein und kauft alte Gebäude, am liebsten mit historischem Hintergrund. Sein Traum: In jedem Kirchenkreis soll eine Herberge für nicht ordinierte Pastoren entstehen. Am Ende werden es 14 Häuser unter anderem in Rendsburg, Schleswig, Kiel und Lübeck. Das Haus in Russee kauft Goebell 1988 kurz nach dem Tod seines Vaters mit der von seiner Mutter gegründeten „Gesellschaft für nordische Kirchen und Kirchenrechtsgeschichte“. Gemeinsam mit Thomas Bopzin und Friedrich Platzbecker habe er das „Beratungszentrum und Herberge für arbeitslose Pastoren“ gegründet und nach eigenen Angaben auch sechs bis sieben Jahre betrieben. Woher das Geld für die 14 Immobilien stammt, kann oder will der 70-Jährige nicht sagen. Hier und da habe es Finanzierungen mit den jeweiligen Sparkassen gegeben. Eine Recherche im KN-Archiv zeigt: 1997 war Goebell stark verschuldet bei Finanzämtern, Stadtkassen und Versicherungen. Als sich 2000 der Gerichtsvollzieher Zutritt zum Haus von dem damals 48-Jährigen und seiner Mutter verschafft, gibt es Streit: Goebell wird später vorgeworfen, mit dem Beil auf die Beamten losgegangen zu sein – und landet deshalb vor Gericht. Dort behauptet er, die Menschen für Einbrecher gehalten zu haben. Keine Spur von einer Herberge: Von dem Haus in Kiel trennen will sich Goebell trotz der Geldsorgen bis heute nicht. Sein Traum ist es weiterhin, dass die Häuser in Kiel, Schleswig und Eutin als Herbergen für Theologiestudenten dienen, die in den dortigen Archiven und Bibliotheken recherchieren. Wann allerdings zuletzt ein Theologiestudent in der baufälligen Bleibe in Russee Unterschlupf gefunden hat, ist mehr als unklar. Das gesamte Gelände des Hauses ist von einem hohen Eisenzaun umschlossen, Türen und Fenster teilweise vernagelt. Auch eine Telefonnummer oder Mailadresse, unter der man die Herberge mieten kann, gibt es nicht. Laut Goebell wohnt dort noch ein arbeitsloser Pastor zur Miete. Auf Briefe unserer Redaktion wurde aus dem Haus allerdings nicht reagiert. Haus war lange Zeit Stadtgespräch: Im Stadtteil Russee kursieren zahlreiche Geschichten über das Haus. Eine Schulklasse soll sich mal in das „Hotel Rucksack“, das dort seinen Sitz hat, eingemietet haben und musste von der Freiwilligen Feuerwehr aufgenommen werden, weil das Haus kaum bewohnbar war. Auch polnische Leiharbeiter sollen dort mal untergekommen sein. In den 90-ern soll die Kirche selbst versucht haben, gegen die Aufschrift am Haus vorzugehen und hatte das Nachsehen. Die „Beratungsstelle für arbeitslose Pastoren“ ist kein in irgendeiner Weise geschützter Begriff. Welche von den Geschichten stimmt, ist heute kaum noch nachzuverfolgen. Goebell, so heißt es in Russee, sei in den 80er-Jahren das ein oder andere Mal negativ aufgefallen, seit mehr als 20 Jahren aber so gut wie nicht mehr am Haus gewesen. Inzwischen ist es ruhiger geworden: „Natürlich würden die Leute im Ort das Haus lieber weghaben“, sagt Ortsbeirat Wilfried Jöhnk. Aber inzwischen habe man sich im Stadtteil damit abgefunden. Die Stadt Kiel könne ja nichts machen, so lange keine Gefahr durch Einsturz bestehe. Jöhnk selbst war vor Jahren auch mal im Haus. „Damals war es schon völlig verloddert.“ Er würde sich wünschen, dass jemand was daraus macht. Ob sich eine Sanierung aber lohnen würde oder das Haus ohnehin abbruchreif ist, kann er nicht einschätzen. Unter Denkmalschutz steht es laut Landeshauptstadt jedenfalls nicht. Dass Goebell selbst noch einmal Geld in das Haust steckt, gilt als unwahrscheinlich. Aber der Schriftzug, sagt er, „der soll bald restauriert werden“. Sechs Häuser sind ihm noch geblieben: Seinen Wohnsitz hat Goebell vor vielen Jahren nach Lübeck verlegt. Dort steht das Herzstück seiner Häusersammlung: die alte Bischofsherberge, die er 1989 gekauft hatte. Auch hier driften Wunsch und Realität auseinander: In Eigenregie hat Goebell das stark baufällige Haus zum Museum umgestaltet, in dem die gesamten Erbstücke der Familie ausgestellt werden sollen und das den Namen „Goebelleum“ trägt. Immerhin gehören zur Sammlung neben seltenen Büchern auch die Möbel aus dem Studierzimmer von Papst Pius und Werke die vom bekannten Maler Tischbein stammen sollen. Aus Kaninchendraht und Holzleisten hat Goebell Schutzwände gebaut. „Es ist ganz sparsam und ärmlich, obwohl zum Teil Sachen vom nationalen Rang gezeigt werden“, sagt Goebell. Strom und Heizung gibt es in dem Haus nicht. Vor dem Einsturz hat das Gebäude nur eine Finanzspritze der Possehl-Stiftung bewahrt, die rund eine halbe Million Euro in den Erhalt des Hauses, nicht aber dessen Sanierung investiert hat. Eine Förderung der Stadt Lübeck gibt es nicht. Beide wollen nicht über Goebell sprechen. „Aufgrund eines laufenden Verfahrens in das die Stadt, der Bürgermeister und die Denkmalschutzbehörde involviert sind, können wir keine Stellungnahme geben“, heißt es von einem Sprecher der Stadt. Die Zukunft ist mehr als ungewiss: 32 Jahre später sind Goebell von 14 Häusern nur sechs geblieben: Vier in Lübeck, eins in Kiel und eins in Schleswig. Alle sind in marodem Zustand. Über die Jahrzehnte haben Goebell und seine Mutter ein undurchdringbares Geflecht aus Vereinen und Gesellschaften geschaffen, über die Schulden und Immobilien umgeschichtet wurden. Solvent ist keine von ihnen. Der letzte Strohhalm: Einer von der Mutter Hilde Goebell gegründeten, aber nicht rechtsfähigen Stiftung für die noch Vertrauensleute gesucht werden, sollen die letzten Liegenschaften übertragen werden. Selbst wenn das gelingt, fehlt es an Nachfolgern. „Ich bin 70 und meine Mutter 103. Das kann man sich ausrechnen, dass das alles wackelt und jeder guckt, wann etwas aufgelöst wird“, weiß auch Goebell. Es gebe aber viele Kaufangebote – besonders für die Bischofsherberge.

Kiel: Beratungsstelle und Herberge für arbeitslose Pastoren – Wer steckt dahinter?