Ein alter Diesel wird zum Youtube-Star

Ein sechs Minuten langes Video aus Kiel sorgt weltweit für Begeisterungsstürme. In Russland, Amerika, Italien oder Brasilien werden Lobeshymnen hierzu verfasst. Von „brillant“, „wunderbar“ und „hervorragend“ ist die Rede. Von einer „wahren Meisterleistung“. Ein Sechs-Zylinder-Dieselmotor eines U-Boots von 1944: Seit Juni 2018 steht das Video im Internet. Mehr als elf Millionen Mal wurde es bisher angeklickt. Was die Menschen so fasziniert? Ein Sechs-Zylinder-Dieselmotor eines U-Boots von 1944, den der Kieler Peter Horter (76) zum Laufen bringt. Ein Besuch beim Ingenieur und dem 600-PS-Koloss. In einem alten Gebäude der ehemaligen Kieler Gaswerke in der Wik direkt an der Holtenauer Schleuse steht der „Star“ des Videos. Auf dem 5000 Quadratmeter großen Grundstück hat sich das Maschinenmuseum niedergelassen. Gründer war vor knapp 30 Jahren Peter Horter. Sein Ziel und das seiner ehrenamtlichen Mitstreiter: einen Ort der Technikgeschichte schaffen und historische Kraftmaschinen in Aktion zeigen. Das reicht von uralten Ottomotoren über zischende Dampfmaschinen bis hin zu mit Muskelkraft betriebenen Bohrmaschinen. Warum ein alter U-Boot-Dieselmotor so eine Anziehungskraft hat: Der U-Boot-Dieselmotor spielt aber eindeutig die Hauptrolle. „Er übt eine magische Anziehungskraft aus“, sagt Peter Horter zur Begrüßung und erzählt von seinen vielen Besuchern aus der ganzen Welt. Es gebe kein anderes Museum in Deutschland, das so einen Dieselmotor in Betrieb zeige, sagt er und fragt gleich hinterher: „Wer sollte das denn auch machen? Vielleicht ein Museumspädagoge?“ Der 600-PS-Koloss ist pflegeintensiv: Vermutlich keine gute Idee. Denn der Sechszylinder braucht Erfahrung, viel Liebe und Aufmerksamkeit. Das weiß Peter Horter. Auch wenn die deutsche Ingenieurleistung nur im Schnitt 20-mal im Jahr vor Besuchern ihr volles Potenzial präsentiert, so ist der Motor doch auch an allen übrigen Tagen pflegeintensiv. Regelmäßig nimmt Peter Horter eine alte Ölkanne zur Hand, damit alles wie geschmiert läuft. Er kontrolliert den Kurbeltrieb, das Kühlwasser, den Kraftstoff, die Druckluft. Er fühlt, zieht und schraubt. „Es muss ja alles funktionieren“, sagt der Ingenieur. Sein Albtraum wäre, wenn irgendwann die Maschine mitten in der Vorführung ihren Geist aufgeben würde. Da guckt er lieber einmal zu viel nach dem Rechten. Der U-Boot-Motor und Peter Horter, das ist wie Pleuelstange und Kolben. Ein Amerikaner schreibt da ganz passend in einem übersetzten Kommentar zum Video: „Hier, meine Damen und Herren, sehen Sie einen Deutschen in seinem natürlichen Lebensraum.“ Peter Horter sammelte schon als Kind Schrott: Peter Horter stammt aus Schlesien. Als Kind hortete er Schrottteile, um Neues daraus zu bauen. Später studierte er in Aachen an einer der renommiertesten Hochschulen für Technik. In Kiel gab er sein Wissen als Berufsschullehrer weiter. Der U-Boot-Motor wurde kurz vor Kriegsende gebaut: Durch Zufall hörte er Ende der 1980er-Jahre von einem unterirdischen Bunker in Kiel-Hassee, in dem der besagte U-Boot-Motor gefunden wurde. Der war kurz vor Kriegsende für den damals weltweit modernsten U-Boot-Typ XXIII gebaut worden. „Die Alliierten verschrotteten ihn zum Glück nicht“, erzählt Peter Horter. Stattdessen sollte er als Notstromdiesel fürs Fernmeldenetz herhalten. „Eine gute Idee, denn Kiel war damals zu über 80 Prozent zerbombt. Nirgendwo gab es richtig Strom“, so Peter Horter. Der Motor überlebte in einem Bunkersystem: Da die Engländer damals den anderen Alliierten nicht trauten, entstand ein unterirdisches bombensicheres Bunkersystem an der Straße Holunderbusch. „Erst nachdem der Motor drin war, wurde die Betondecke geschüttet“, so Horter. Als er den Sechszylinder zum ersten Mal in zehn Metern Tiefe sieht, sei er „elektrisiert“ gewesen. Angehende Maschinenbauer zerlegten den U-Boot-Diesel in seine Einzelteile: Doch wie soll das Monstrum wieder ans Tageslicht kommen? Während alle sagen: „Das wird nie was!“, wird Peter Horter kreativ. Er begeistert den damaligen Personalchef von HDW und ruft mit ihm ein Ausbildungsprogramm für Maschinenbauer ins Leben. Die Aufgabe: Einen alten, acht Tonnen schweren U-Boot-Diesel vollständig in Einzelteile zerlegen und anschließend wieder aufbauen. Während der Motor nach und nach durch einen Lüftungsschacht wieder an die Oberfläche kommt, erreicht Peter Horter die nächste Hiobsbotschaft: Der Motor hat einen umfangreichen Lagerschaden. „Die Reparatur hätten wir als ehrenamtlicher Verein nie und nimmer bezahlen können“, so Peter Horter. Doch wieder helfen seine guten Kontakte. Ungeduldig darf man als Museumsleiter allerdings nicht sein. Erst nach sieben Jahren steht die Anlage schließlich fertig in der Wik. Ursprünglich für die Schlachtschiffe „Bismarck“ und „Tirpitz“ entwickelt: Der Sechs-Zylinder-Viertakt-Dieselmotor RS 34 S wurde von den Motorenwerken Mannheim AG gebaut. Ursprünglich wurde der Motor 1938 als Generatordiesel für die Schlachtschiffe „Bismarck“ und „Tirpitz“ entwickelt und dann auch als Generatordiesel bei den U-Booten des Typs IX D2 benutzt. Für die modernste U-Bootklasse XXIII kam er in nicht aufgeladener und nicht umsteuerbarer Ausführung zum Einbau. Bei insgesamt 108 Litern Hubraum (18 Liter pro Zylinder) leistet der Motor 576 PS bei 850 Umdrehungen pro Minute. Die Wasserkühlung erfolgt über elektrisch betriebene Kreiselpumpen. Der Motor hat für jeden Zylinder eine Einspritzpumpe sowie je zwei Einlass- und Auslassventile. Motoren dieser Generation gibt es inzwischen nicht mehr. Im Verhältnis zur Leistung ist der Motor einfach zu groß. Heute werden U-Boote mit Brennstoffzellen angetrieben. Mehr als elf Millionen Menschen sahen den Motor schon auf Youtube: Seitdem begeistert der Motor die Besucher und die Millionen Menschen, die das Video anklicken. Dabei ist der Film für Laien eher unspektakulär. Die Kenner aber schwärmen von der deutschen Ingenieurleistung, von den damaligen Fähigkeiten, der Qualität und der Technik. Sie loben den Sound des Diesels, der wie Musik in den Ohren klinge. Sie schreiben, dass der Motor „schnurrt wie ein Tiger“ und „läuft wie ein Uhrwerk“. Erinnerungen an den Film "Das Boot": Viele fühlen sich an die Szene aus dem Film „Das Boot“ erinnert, als ein U-Boot-Maschinist den Motor wieder zum Laufen bringt und begeistert „Er läuft“ ausruft. Bei Peter Horter läuft er auch. Und das ist ihm und seinen Mitstreitern zu verdanken. Auch Frauen sind mehr und mehr begeistert. „Wenn sie mitbekommen, dass es bei uns keine technischen Fakten gibt, sondern Geschichten, stehen sie in der ersten Reihe“, sagt Peter Horter. Die gerade geplante Ausstellung über Hugo Junkers, die am 17. Oktober eröffnet wird, wäre so eine Geschichte. Der Pionier der zivilen Luftfahrt und Erfinder der „Tante Ju“ ist „hochinteressant“, sagt Horter lachend. „Der hatte unter anderem elf Kinder, die ihm kräftig auf der Nase herumtanzten.“ Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Weitere Nachrichten aus Kiel lesen Sie hier.

Kiel: Faszination U-Boot - Ein alter Dieselmotor wird zum Youtube-Star