Lichtblicke für Unternehmer im Lockdown

Schluss mit dem Herumsitzen, den Sorgen und der Zukunftsangst. Das dachte sich zumindest die Kieler Fotografin Julia Petersen (46). Sie hat derzeit so gut wie keine Aufträge, weil Hochzeiten abgesagt wurden, genauso wie große Familienfeste und Firmen-Events. Aber das bedeutet ja nicht, dass sie nicht fotografieren kann. Um endlich wieder kreativ zu sein, spricht sie kurzerhand Selbstständige, Angestellte und Unternehmer an, denen es im Lockdown gerade genau so geht wie ihr. Kostenlos macht sie Fotos von ihnen. Fotos in einsamen Geschäften, Hotels und Bars: In einer kundenleeren Wohn- und Kochboutique, vor einem vereinsamten Bartresen, inmitten von Pullovern und Jacken, die derzeit niemand kauft. Unter dem Titel „Lichtblicke“ gibt die Fotografin damit denjenigen ein Gesicht, die extrem unter dem Lockdown leiden. Zu Gast bei „Philine“ in der Holtenauer Straße: Mit dicker Fototasche, drei Stativen und bunten Farbfolien für ihre Blitzgeräte ist Julia Petersen heute zu Gast im französischen Café „Philine- Boulangerie Française“ in der Holtenauer Straße. Ein trauriger Anblick. Die Stühle im Innenraum sind hochgestellt, die Kuchenvitrine verwaist, die Kaffeemaschine außer Betrieb. Sogar das kleine Olivenbäumchen im mediterranen Topf lässt seine Blätter hängen. Seit Beginn des zweiten Lockdowns im November herrscht hier im Café gähnende Leere. Die Inhaberin Philine Oldehus (39) öffnet erstmals seit Wochen wieder die Eingangstür, um Julia Petersen einzulassen. „Die Aktion ist großartig“, sagt Philine Oldehus. „Sie bringt wieder ein wenig Menschlichkeit in unser aller Leben.“ Geschäftsleute fühlen sich alleingelassen von der Politik: Seit 2015 betreibt Philine Oldehus das Café mit Leidenschaft. Bereits ein Jahr zuvor gründete sie ihre Existenz mit einem französischen mobilen Café auf den Wochenmärkten Kiel und Hamburg. „Bei allem Verständnis für die Maßnahmen fühle ich mich schon sehr alleingelassen von der Politik“, sagt die Inhaberin, die Italienisch, Ethnologie und Kunstgeschichte studiert hat. Wie geht es im Lockdown weiter? Zehn Mitarbeiter musste sie in Kurzarbeit schicken. Gelder von versprochenen Hilfen sind noch nicht angekommen, sämtliche Verbindlichkeiten jedoch müssen weiter bedient werden. Vor allem die Frage: Wie geht es weiter?, treibt die junge Unternehmerin um. „Auch wenn wir wieder öffnen dürfen“, sagt Philine Oldehus, „wissen wir nicht, wie die Menschen das annehmen werden.“ Sie könnten ihren Part liefern - das schöne Ambiente, die hohe Qualität von Torte und Gebäck, den guten Service - , aber auch die Kieler müssten dann sagen: „Ja, da gehe ich hin.“ „Wir können nicht abschätzen, wie dann die Befindlichkeiten sind.“ Für Fotografin Julia Petersen ist der gemütliche Raum gerade perfekt. Gekonnt setzt sie nicht nur Philine Oldehus mit ihrem Mann Philipp in Szene, sondern auch die antike Einrichtung, die unter anderem von Flohmärkten aus Lyon und aus Holland stammt. Ein Farbfilter auf dem Blitzgerät sorgt für zauberhaftes Licht. „Da sparen wir uns die Schminke“, sagt Philine Oldehus lachend. 30 Minuten später sind alle Bilder im Kasten. „Anfangs“, so erzählt Julia Petersen, „musste ich bei den Unternehmern anfragen. Inzwischen kommen die Leute auf mich zu.“ Sie spricht von einer „Win-Win-Situation“. Die Geschäftsinhaber bekommen wunderbare Fotos, sie hofft auf das Schneeballsystem, um ihre Bekanntheit auch im Lockdown zu steigern. Und: „In jedem Shooting vereine ich all das, was ich gerne mag und tue: beobachten, agieren und kreativ arbeiten“, sagt die Kielerin. Zufrieden verstaut sie ihre Nikon-Kamera wieder in der Fototasche. Der erste Laden sollte in Wyk auf Föhr eröffnet werden: Auch Philine und Philipp Oldehus sind inzwischen bester Dinge und voller Tatendrang. „Wir denken positiv“, sagen sie. Auch wenn die Selbstständigkeit in Coronazeiten nicht unbedingt ein Zuckerschlecken sei. Aber seit die Café-Betreiberin denken kann, wollte sie selbständig sein. „Meinen ersten Businessplan habe ich mit zehn geschrieben“, erzählt sie lachend. „Es sollte ein kreatives Geschenkverpackungsstudio in der Mittelstraße in Wyk auf Föhr sein.“ Ihr Ziel sei schon damals gewesen, dem Leben Freude und Farbe zu verleihen. „Ein Unternehmer lebt von der Unternehmung. Das hat mir schon meine Oma Magarete gesagt, die Konditorin war und mit ihrer elfjährigen Tochter aus dem brennenden Königsberg floh, um in Niedersachsen von vorne anzufangen.“ Obwohl Philine Oldehus noch viel bemängeln könnte - von der Schwierigkeit, qualifizierte Mitarbeiter zu finden, zu viel Bürokratie, Verordnungen und der nicht enden wollenden Gesetzesflut - blickt sie zuversichtlich in die Zukunft. Das sieht man auch auf den Fotos von Julia Petersen. Ausstellung nach dem Lockdown geplant: Die Fotografin hofft, dass sie nach dem Lockdown die Bilder in einer Ausstellung zeigen kann. Dann bekommen die Menschen ein Gesicht, die jetzt hinter den verschlossenen Türen ihrer Geschäfte und Unternehmen leiden. Mehr über die Aktion „Lichtblicke“ unter www.fotografie-julia-petersen.de

Kiel: Fotografin im Einsatz - Lichtblicke für Unternehmer im Lockdown