Kiel sagt Obdachlosigkeit den Kampf an

Der Kieler Sozial- und Wohnungsdezernent Gerwin Stöcken nennt zwei wesentliche Gründe für die Wohnungslosigkeit in der Fördestadt: Die Zahl neuer Wohnungen hat mit dem Bevölkerungswachstum in Kiel nicht Schritt gehalten, und der Wohnraumbedarf pro Person ist gewachsen – vor allem, weil es mehr Single-Haushalte gibt. Die Folge: Die Nachfrage insbesondere nach günstigen Wohnungen übersteigt das Angebot deutlich. In so einem Wohnungsmarkt hätten Menschen mit besonderen Belastungen – zum Beispiel Schulden, Schufa-Einträgen, psychischen Erkrankungen, Suchtproblemen – geringere Chancen als andere. Differenziertes Konzept für alle: So steht es in Stöckens „Konzept zur Neugestaltung der Wohnungslosenhilfe“ in Kiel. Mit einem abgestimmten Modulsystem von der Vorbeugung bis zum Erfrierungsschutz will der Stadtrat das Problem jetzt vernetzt und zielgerichtet in Angriff nehmen. Der Sozialausschuss hat das Konzept am Donnerstagabend einstimmig gebilligt. Die Ratsversammlung wird dem Votum ihres Fachausschusses am 19. März absehbar folgen und das Konzept endgültig beschließen. Schon die Lagebeschreibung in Stöckens Vorlage hat es in sich. Danach werden ein Viertel aller Wohnungslosen „als so schwierig eingestuft, dass die Anmietung von eigenem Wohnraum als nahezu ausgeschlossen zu betrachten ist“. Dabei gehe es überwiegend um schwere psychische Erkrankungen, Sucht, medizinische und pflegerische Probleme oder extreme Verwahrlosung – und oft eine Kombination davon. Im Klartext: Die Wohnungslosigkeit ist oft eine Folge ganz anderer Probleme. Die sechs Schwerpunkte: Das Wohnungslosenhilfekonzept 2020 geht deshalb über die Unterkunftssicherung hinaus und vernetzt sie zum Beispiel mit der Eingliederungshilfe, der Psychiatrie, der Suchttherapie oder dem Jugendamt. Das Konzept setzt sechs Schwerpunkte: Vorbeugung vor Wohnungsverlust, kürzere Verweildauer im Wohnungslosenhilfesystem, intensive individuelle Begleitung von Wohnungslosen, passgenaue Unterstützung mit Fördern und Fordern, ein abgestuftes Unterbringungssystem sowie die Überleitung in vorrangige Hilfesysteme. Das Konzept sieht eine abgestufte Beratung vor: 7,5 Eingangsberatungsstunden im ersten Monat, 5,5 Beratungsstunden pro Monat in der dreimonatigen „Clearingphase“, 1,5 Beratungsstunden in der fünfmonatigen Basisberatung. Das Notunterkunftssystem enthält aufeinander abgestimmte Module unterschiedlicher Unterbringungsformen. Die bisher übliche Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ist nur eine davon. Wohnen üben: Neu sind Trainingswohnungen, in denen wohnungslose Menschen nach spätestens drei Monaten untergebracht werden sollen. Mieter ist dann für höchstens ein halbes Jahr der von der Stadt beauftragte Träger der Wohnungslosenhilfe. Das ist in Kiel meistens die diakonische Einrichtung Stadtmission-Mensch. Nach sechs Monaten soll der Mietvertrag auf die untergebrachten Personen übergehen, wenn das Wohnverhältnis bis dahin störungsfrei verlaufen ist. Andernfalls muss der Bewohner wieder raus. Neu ist auch das Concierge-Modell. Dabei sind die Bewohner von Anfang an selbst Mieter. Ein Berater sieht wöchentlich nach dem Rechten. Ähnlich funktioniert das betreute Wohnen. Dabei begleitet der Berater persönliche Entwicklungsziele des Bewohners. Beheizte Container für Härtefälle: Für härtere Fälle stehen weiter sogenannte Shelter zur Verfügung. Das sind Wohncontainer mit je vier Schlafplätzen. Sie sind von 17.30 bis 9.30 Uhr geöffnet. Für Menschen, die sich jeglicher Unterbringung entziehen, werden im Winter wenigstens beheizte Schlafcontainer angeboten. Tagesaufenthalte und Straßensozialarbeit mit den Schwerpunkten Hauptbahnhof und Gaarden runden das Konzept ab. Lesen Sie weitere Nachrichten aus Kiel.

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