Kieler Ampel-Kooperation auf der Kippe

Die Vorsitzenden der drei Fraktionen kündigen gegenüber KN-online an, den Kooperationsvertrag vom Juli 2018 im kommenden Januar auf den Prüfstand zu stellen. Vom Ergebnis hängt ab, ob sie das Bündnis fortsetzen. Klar ist, dass die Sollbruchlinie zwischen Rot-Grün einerseits und der FDP andererseits verläuft. Immer wieder Kompromisse suchen: Die ungleichen Partner hätten „sehr unterschiedliche Vorstellungen“, sagt die SPD-Fraktionschefin Gesa Langfeldt. „Da hat jeder seinen eigenen Schwerpunkt.“ Sie müsse „immer wieder Kompromisse suchen“, sagt die Erzieherin und verweist auf ihre pädagogische Qualifikation. Die sei auch im politischen Ehrenamt „ab und zu nötig“. Langfeldt räumt ein: „Es gab Situationen, in denen ich dachte, sie sind unüberbrückbar“, räumt Langfeldt ein. Dann habe sie die Diskussion abgebrochen, und jeder habe ein paar Tage Zeit und Abstand für einen neuen Anlauf bekommen. Erzieherinnen kennen das als „stille Treppe“. Langfeldt: „Manchmal löst sich dann der Knoten.“ Lesen Sie auch: So kam es zum Kooperationsvertrag Als Beispiel nennt sie die Sonntagsöffnung im Einzelhandel. Die FDP möchte mehr als die erlaubten vier verkaufsoffenen Sonntage pro Jahr und am liebsten die Bäderregelung auf ganz Kiel ausweiten. Die SPD ist strikt dagegen. Die Verständigung ist ein abgestuftes Verfahren, wonach zunächst die Händler und die Beschäftigten in Kiel umfassend befragt werden. Vor einer Auswertung werden keine neuen Ausnahmeregelungen beantragt. Regeln mussten nachgesteuert werden: Langfeldt beschreibt den Arbeitsalltag in der Kooperation als „oft anstrengend“. Die Parteien hätten die Regeln der Zusammenarbeit in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren immer wieder nachsteuern müssen. Zum Beispiel hätten sie nachträglich vereinbart, dass ein strittiges Thema nur höchstens zweimal verschoben werden darf, dann muss es entschieden werden. „Damit wir vorankommen“, sagt Langfeldt und rollt mit den Augen. Der Hinweis zielt auf die FDP. „Die kommen ja überhaupt nicht zu Potte“, sagt die frisch gewählte grüne Co-Fraktionschefin Anke Oetken überrascht. Ein anderes Beispiel: Die drei Fraktionen sind von dem Vorsatz abgerückt, öffentlich stets mit einer Stimme zu sprechen. Jetzt macht jede Fraktion im Zweifel auf eigene Faust Öffentlichkeitsarbeit. Knackpunkt Kiellinie: Geärgert hat Langfeldt sich über den Vorstoß des FDP-Kreisvorsitzenden Dennys Bornhöft, der einen Bürgerentscheid gegen eine autofreie Kiellinie in die Wege leiten wollte. Für den Alleingang habe sie „wenig Verständnis“, sagt Langfeldt. „Das hat die Kooperation sehr belastet.“ Bornhöft hatte sein Vorhaben erst verworfen, als die Stadtverwaltung auch ein Konzept mit Autos in den städtebaulichen Wettbewerb einschloss. Offener Richtungsstreit zwischen FDP und Grünen: Nein, es sei beileibe „nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen“, sagt auch die grüne Fraktionsvorsitzende Jessica Kordouni. Es sei „offenkundig, dass die Erwartungshaltungen sehr weit auseinander gehen“. In den Feldern Verkehrswende und Wirtschaft gebe es offenen Richtungsstreit. In der Wirtschaftspolitik fokussiere die FDP sich zu sehr auf die Gründerszene, findet Kordouni, während die Grünen die Wirtschaft „ganzheitlich betrachten“ wollten. In der Verkehrspolitik übersähen die Liberalen die Flächenkonkurrenz auf den Straßen, während die Grünen Verkehrsgerechtigkeit herstellen wollten: mehr Platz für ÖPNV, Fahrradfahrer, Fußgänger – nötigenfalls um den Preis von Fahrspuren und Parkplätzen. Emotionale Schwierigkeiten: Auch die Grünen nehmen der FDP den Kiellinienvorstoß übel. Außerdem haben sie noch im Ohr, wie die liberale Ratsfrau Annkathrin Hübner auf dem FDP-Kreisparteitag heftig über die Grünen hergezogen ist. „So etwas machen wir nicht“, sagt Kordouni. Die Zusammenarbeit mit solchen Leuten sei „auf emotionaler Ebene schwierig“. FDP verteidigt ihre Wirtschaftspolitik: FDP-Fraktionschef Ingmar Soll sieht in der Kooperation „drei Partner mit unterschiedlichen Sichtweisen auf dasselbe Thema“. Er verteidigt seine Wirtschaftspolitik. „Die Wirtschaft ist nun mal die Basis unseres Wohlstands“, sagt er. Die Grünen fokussierten sich in ihrem Wirtschaftsverständnis zu sehr auf „Kreativität, Kultur und Digitales“ und hätten darüber die klassischen Wirtschaftsbereiche aus den Augen verloren. Außerdem besteht Soll darauf: „Wir wollen eine der führenden Gründerstädte Norddeutschlands werden.“ Lesen Sie auch: So wurde die Kieler Ampel besiegelt Allen Unterschieden zum Trotz geht Soll fest vom Fortbestand der Kooperation aus: „Sie ist auf fünf Jahre angelegt.“ SPD-Fraktionschefin Langfeldt scheint da nicht mehr so sicher. Die Ampel-Kooperation „war zu dem Zeitpunkt das Richtige“, sagt sie – also 2018. Jetzt erkennt sie gerade noch den „Willen, das gemeinsame Ziel zu schärfen“. Rot-Grün hat eine knappe Mehrheit im Rat: Die Sozialdemokratin kokettiert mittlerweile mit einer knappen rot-grünen Mehrheit in der Ratsversammlung. SPD und Grüne haben dort 30 von 59 Sitzen – auf die drei Sitze der FDP kommt es zum Regieren rechnerisch gar nicht an. „Eine Einstimmenmehrheit diszipliniert“, sagt Langfeldt. Kordouni hebt hervor: „Mit der SPD kommen wir sehr, sehr gut zurecht.“ Kein anderer Partner in Sicht: Weder Langfeldt noch Kordouni sehen im Rat einen möglichen anderen Kooperationspartner als die FDP. Der SSW, Mitglied der Kooperation in der vorherigen Wahlperiode, scheidet schon aus persönlichen Gründen aus: Keiner „kann“ mit dessen Fraktionschef Marcel Schmidt. Auch für Rot-Rot-Grün können beide sich nicht erwärmen. Es sei jetzt nicht die Zeit für derlei Experimente, sagt Langfeldt. Kordouni stellt fest, Grüne und Linke lägen in Kiel „leider weit auseinander“. Grüne lobt die CDU: Auffällig: Gleich zweimal erwähnt die grüne Fraktionschefin im Gespräch ungefragt, dass die Grünen „ja auch mit der CDU sprechen“. Sie sei „sehr froh“ über deren neuen Fraktionsvorsitzenden Rainer Kreutz und seinen moderaten Politikstil, sagt Kordouni. Im Mobilitätskonzept der CDU entdeckt sie „viel Gutes“.