Kieler Ratsversammlung zieht wegen Corona um

Einem entsprechenden Antrag der Mehrheitsfraktionen SPD, Grüne und FDP hatten sich in letzter Minute noch die Ratsfraktionen von CDU und SSW angeschlossen. Der zentrale Satz der Antragsbegründung ist sehr lang: „Die Sicherstellung der Abstandsregeln und damit der Schutz der Gesundheit der Ratsmitglieder und der Verwaltungsmitarbeiter und die Vorbildfunktion für die städtische Gesellschaft bei der Einhaltung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie dürfen nicht aus Kostengründen oder aus organisatorischen Gründen ignoriert werden.“ Im Klartext: Abstand und Belüftung seien im Ratssaal nicht gewährleistet, und die Ratsversammlung müsse bei der Einhaltung von Corona-Regeln mit gutem Beispiel vorangehen. "Der Ratssaal ist unbedenklich": Dem widersprach Stadtpräsident Hans-Werner Tovar klar und deutlich. Der Chef der Ratsversammlung stieg selbst in die Debatte ein und sagte: „Aus epidemiologischer Sicht ist ein Umzug nicht notwendig. Der Ratssaal ist unbedenklich.“ Tovar gab wieder, was das Amt Immobilienwirtschaft und das Gesundheitsamt ihm vorgerechnet hatten: Die Lüftungsanlage tausche die Luft im Ratssaal viermal pro Stunde aus. Das Gesundheitsamt empfehle nur für medizinische Räume, also eben nicht für den Ratssaal, einen fünffachen Austausch. Selbst der sei im Ratssaal leicht zu erzielen, wenn nur für fünf Minuten pro Stunde die Fenster geöffnet würden. So tagt der Kieler Rat seit Beginn von Corona: Der Mindestabstand zwischen den Ratsleuten wird im Ratssaal seit Beginn der Pandemie eingehalten. Um die Sitzplätze weiter auseinander zu stellen, verzichten die Ratsleute seitdem auf ihre Arbeitstische und arbeiten auf Kieler-Woche-Hockern vor ihren Stühlen. Zudem sind das Rednerpult und das Podium des Präsidiums mit Plexiglasscheiben geschützt. Die Zahl der Verwaltungsmitarbeiter ist reduziert. Die Redezeit ist auf drei Minuten gekürzt, die Zahl der Redner in der Regel auf einen pro Fraktion. SPD-Fraktionschefin Gesa Langfeldt beklagt Zugluft: SPD-Fraktionschefin Gesa Langfeldt gab sich mit den Erläuterungen ihres Fraktionskollegen Tovar nicht zufrieden. Sie hatte bei geöffneten Fenstern im Ratssaal Zugluft gespürt, die sie „einen Vorgeschmack auf den Winter“ nannte. „Ich neige zur Bindehautentzündung“, ergänzte Langfeldt gegenüber den Kieler Nachrichten. Für sie sei die einzige Alternative zum Umzug, dass der Rat nur noch in halber Stärke tagt, sagte Langfeldt. Das sei aber demokratisch gewählten Ratsleuten nicht zuzumuten. Lesen Sie auch: Kommentar von Michael Kluth – Gründlich missverstanden Grüner Arne Stenger moniert schlechte Luft: Der grüne Fraktionsvize Arne Stenger bezweifelte die Lüftungsleistung im Ratssaal. „Die schlechte Luft hier kennen wir alle“, sagte er. Wenn die Fenster geöffnet werden müssten, „dann fällt die Hälfte der Ratsleute im Dezember nach der Ratsversammlung mit Erkältung aus“, prophezeite er. Von einem Umzug in einen anderen Saal profitiere auch die Veranstaltungsbranche, die die Technik herstelle. FDP-Fraktionschef Ingmar Soll bedauert die Arbeitsbedingungen: FDP-Fraktionschef Ingmar Soll bedauerte die Selbstbeschränkung der Redezeit und der Rednerzahl: „Das tut uns nicht gut.“ Wünschenswert sei auch mehr Platz für Publikum. Soll beklagte zudem die Arbeitsbedingungen: „Schauen Sie sich das an: Wir müssen mit digitalen Geräten auf dem Schoß arbeiten!“ Zu den Arbeitsbedingungen heißt es im beschlossenen Antrag: „Mehr Platz bietet neben Einhaltung der Abstandsregeln auch die Chance, die Arbeitsmöglichkeiten der Ratsmitglieder wieder zu normalisieren. Dabei ist auch ein Arbeitsplatz je Fraktion bereitzustellen.“ Auch ein Modelltisch überzeugte die Ratsleute nicht: Stadtpräsident Tovar räumte ein: „Was ich Ihnen nicht bieten kann, sind Arbeitsbedingungen wie vor Corona.“ Er bot den Ratsleuten aber stabile, 50 mal 80 Zentimeter große Tische an. Sie seien mit den Abstandsregeln zu vereinbaren. Einen solchen Tisch hatte er schon anfertigen lassen und präsentierte ihn hoffnungsfroh den Kollegen. Ohne Erfolg. Stadtpräsident Hans-Werner Tovar wurde ausgelacht: Einige Ratsmitglieder lachten Tovar sogar aus. Der reagierte verschnupft: "Sie können ja beschließen, was Sie wollen - aber die Folgen werde ich Ihnen wohl erklären dürfen", sagte er. In der Debatte sprang niemand dem Stadtpräsidenten zur Seite. Auch die Kosten schreckten nicht ab: Aber auch mit Kosten konnte Tovar die Ratsleute nicht überzeugen. „Wir haben binnen 48 Stunden 17 alternative Standorte geprüft“, berichtete er mit einem anerkennenden Blick auf seine Büroleiterin Stefanie Skuppin. „Zwei Orte davon sind verfügbar und praktikabel: der Innenraum der Wunderino-Arena und die Mensa II der Universität.“ Die Arena koste allerdings „mindestens 15 000, eher 20 000 Euro pro Ratssitzung“, die Mensa „5000 Euro plus Mehrwertsteuer“. Die Ratsleute focht das nicht an. Der Grüne Arne Stenger sagte: „Wir reden hier oft über Millionensummen, da darf eine Ratsversammlung wohl 15 000 Euro kosten, von mir aus auch 20 000.“ Kennen Sie schon die Post aus dem Newsroom? Den kostenfreien Newsletter über die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein versenden wir Mo-Fr ab 17 Uhr. Hier können Sie sich für unser Mailing anmelden. Weiterer Newsletter: Kiel mittendrin. Über das Leben in der Landeshauptstadt. Verpassen Sie keine Neuigkeit mehr. Versand: Jeden Mittwoch. Hier geht es zur kostenfreien Anmeldung. Sie interessieren sich für Holstein Kiel? Dann melden Sie sich hier für den Newsletter " Holstein Kiel - Die Woche " kostenfrei an. Versand: jeden Freitag, 11.30 Uhr. Lesen Sie auch: Dänemark verschärft Corona-Regeln Kommen CO2-Melder als Lüftungsmahner? Darum zieht Kiels Ratsversammlung um Amateurfußball: Diese Regeln gelten für Zuschauer Hygienekonzept für den SH Netz Cup im Oktober steht Kiel-Lauf 2021 als "Light-Version"? 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