Kieler Staatsanwältin soll Recht gebeugt haben

In Sachen Tierschutz machte eine Kieler Staatsanwältin auch vor exotischen Tieren nicht halt. Mit großem Polizeiaufgebot beschlagnahmte sie die Zirkuselefantin "Gitana" ebenso wie Tiger- und Löwinnen. Auch Hunderte Rinder, Pferde, Schafe, Hunde und Katzen bis hin zum Huhn wurden aufgeladen und abtransportiert. Dabei soll die Tierschutzdezernentin laut Anklage jedes Maß verloren und beschlagnahmte Tiere an deren Besitzern vorbei notveräußert haben. Seit Oktober sitzt die promovierte Juristin wegen Rechtsbeugung im Kieler Landgericht auf der Anklagebank. Jetzt neigt sich der Prozess dem Ende zu. Diese Woche könnte die zuständige 7. große Strafkammer die Beweisaufnahme schließen. Dann wären Anklage und Verteidigung mit ihren Plädoyers am Zug. Das Urteil könnte nach Gerichtsangaben Mitte Juli folgen. Zur Verfahrenssicherung wurden aber vorsorglich noch Termine bis in den August reserviert. Mehr als 70 Zeugen befragt: Rund 40 Verhandlungstage hat sich das Gericht unter dem Vorsitzenden Stefan Worpenberg bisher Zeit genommen um Akten zu sichten und über 70 Zeugen zu befragen. Unter ihnen betroffene Tierhalter, Amtsveterinäre, Polizisten, Vorgesetzte und Kollegen der vorläufig des Dienstes enthobenen Beamtin, deren Bezüge um 25 Prozent gekürzt wurden. Ihre Einsprüche dagegen blieben erfolglos. Die Anklage wirft der 44-Jährigen von 2011 bis 2014 mindestens zehn Fälle vor, in denen sie Tierhaltern das im Rechtsstaat gebotene Gehör nicht gewährt haben soll. Sie habe "ihre Stelle nutzen wollen, das Tierschutzrecht mit Nachdruck durchzusetzen", sagt der Itzehoer Staatsanwalt Joachim Reinhold und resümiert: "Sie entfernte sich dabei bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz." Das wäre die Voraussetzung für eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung. Angeklagte räumt Fehler ein: Gemeinsam mit Kollegin Janina Seyfahrt vertritt Reinhold die Anklage in dem für die schleswig-holsteinische Staatsanwaltschaft bislang wohl einmaligen Verfahren. Rechtsbeugung ist ein Verbrechen, das mit mindestens einem bis höchstens fünf Jahren Gefängnis bedroht ist. Für die Staatsanwältin geht es auch um ihr Amt: Eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr hätte zwingend den Amtsverlust zur Folge, es sei denn, es gäbe eine Strafrahmenverschiebung nach unten. Die 44-Jährige selbst nimmt im Prozess immer wieder Stellung, um die Vorwürfe zu entkräften. Gleich zu Beginn steckt sie ihre Verteidigungslinie ab: Sie räumt zwar Fehler ein, den Vorwurf der Rechtsbeugung aber bestreitet sie nachdrücklich. Erinnerungslücken bei angeklagter Staatsanwältin: In vielen Fällen, in denen Worpenberg immer wieder akribisch nachfragt, beruft sich die Angeklagte auf Erinnerungslücken. Und sie richtet Vorwürfe gegen ihre Vorgesetzten: Diese hätten sie schließlich trotz Beschwerden von Tierhaltern gewähren lassen. Als Zeuge allerdings lässt der frühere Behördenchef Peter Schwab kein gutes Haar an der damaligen Kollegin. Auch seine Nachfolgerin Birgit Heß kritisiert, die Beamtin sei weit über das Ziel hinausgeschossen. Lesen Sie auch: Ex-Behördenchef fällt vernichtendes Urteil über Staatsanwältin Doch erst die geballten Proteste betroffener Tierhalter und Medienberichte bringen den Fall ins Rollen. Sie schrecken das Justizministerium auf und rufen den Generalstaatsanwalt auf den Plan. Die Ermittlungen münden 2016 und 2017 in mehrere Anklagen. Ausgang völlig offen: Der Ausgang des Verfahrens ist offen: Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Verteidiger Klaus-Ulrich Ventzke lassen sich nicht in die Karten blicken. Ankläger Reinhold sagt lediglich: Die Vorwürfe der Anklage würden während der Beweisaufnahme "ständig neu bewertet". Verteidiger Ventzke meint stoisch: "Selbst bei Folter, ich sage nichts." Rechtsanwälte wagen nur zurückhaltend Prognosen. Sie sind skeptisch, dass es zu einer Verurteilung kommen könnte. Der Kieler Strafverteidiger Philipp Marquort etwa, der sich zu Prozesseröffnung aus beruflicher Neugier in den Gerichtssaal setzte, meint, dass "es Richtung Verbotsirrtum gehen könnte" (§ 17 Strafgesetzbuch STGB). Dann hätte "der Staatsanwältin bei den vorgeworfenen Taten das Bewusstsein gefehlt, Unrecht zu begehen und sie wäre freizusprechen." Anwalt: Angeklagte habe "Macht ausgenutzt": Auch Rechtsanwalt Frank Knuth, der eine Hundebesitzerin und einen Rinderhalter aus den angeklagten Fällen vertritt, sagt: "Ich erwarte, dass es mit dem Nachweis der Rechtsbeugung relativ schwierig wird". Die Rechtssprechung sei "sehr restriktiv und der Paragraph vom Gesetzgeber sehr zurückhaltend formuliert". Er schütze immer noch die Leute, "die eigentlich damit zur Räson gebracht werden sollten". Lesen Sie auch: Zeugen schildern Kieler Staatsanwältin als bedrohlich und aggressiv Einen Grund zur Verurteilung sieht Knuth dennoch. Das wäre der auch angeklagte Diebstahl von Tieren, den die Staatsanwältin begangen haben soll, als sie auf einem Hof Rinder beschlagnahmte und notverkaufte. Aus seiner eigenen Erfahrung mit der 44-Jährigen wirft der Anwalt ihr vor, "die Macht, die ihr vom Gesetzgeber gegeben worden ist, schlicht und einfach ausgenutzt und das Recht wissentlich gebeugt" zu haben. Weitere Ermittlungen: Das von Zeugen als forsch und rücksichtslos beschriebene Vorgehen der Angeklagten, die ihren Vorgesetzten zufolge auch in anderen Verfahren aneckte, beschäftigt die Justiz auch über den laufenden Prozess hinaus. So sind unter anderem Verfahren um Herausgabe von Tieren und Schadenersatz anhängig. Auch die Itzehoer Staatsanwaltschaft ermittelt noch im Fall der Zirkuselefantin "Gitana". Ob auch in diesem Fall eine weitere Anklage erhoben wird, ist nach deren Angaben noch nicht entschieden. Von RND/dpa

Kieler Staatsanwältin soll Recht gebeugt haben – Urteil noch im Juli?