Kieler in Kairo: Lehrer berichten von Corona in Ägypten

„Ich fühle mich wohl. Kairo ist eine spannende Stadt, und ich bin dankbar, hier sein zu dürfen“, berichtet Roland Harken (57) im Video-Gespräch. „Allerdings muss ich schon zugeben, dass ich Heimweh nach Kiel und Strande habe. Wenn ich Fotos von Freunden sehe, würde ich auch gern mein Boot zu Wasser lassen“, sagt der Schulleiter mit einem Schmunzeln. Harkens Frau ist wegen der Ausbreitung des Coronavirus auf Empfehlung der Botschaft bereits Mitte März zurück nach Deutschland geflogen. „Es gilt eine Reisewarnung. Zudem ist die medizinische Versorgung in den nationalen Krankenhäusern teils katastrophal“, sagt der Direktor, für den eine Ausreise dennoch nicht infrage kam. Er muss vor Ort sein, um den Heimunterricht für seine Schüler zu organisieren. Ausgangssperre von 21 bis 6 Uhr: „Wir mussten uns erst einmal sortieren, und am Anfang wurde viel gemeckert, weil Schüler, Eltern und Lehrer teilweise sehr unterschiedliche Vorstellungen von E-Learning hatten“, erklärt Harken. Inzwischen sei der Unterricht in besonderer Form allerdings klar definiert. „Ich bin guter Dinge, dass wir das hinbekommen, aber Präsenzunterricht ist deutlich schöner“, sagt Harken. 90 Prozent seiner Schüler sind Ägypter. Der Großteil stammt aus guten Verhältnissen, sodass Internetzugang oder Laptops kaum ein Problem darstellen. Viel schwieriger für die Bevölkerung sei die soziale Isolation. „Gerade in der Fastenzeit wird normalerweise von Sonnenuntergang bis spät in die Nacht zusammen gegessen und getrunken. Nun sind Restaurants, Bars und größere Geschäfte geschlossen und die Menschen müssen wegen des Lockdowns zwischen 21 und 6 Uhr zu Hause bleiben. Das ist hier viel schwerer zu vermitteln als in Deutschland.“ Zurück zur Normalität: Aus Harkens Sicht liegt das auch daran, dass die ägyptische Gesellschaft mit der Revolution und ihren Folgen schon Schlimmeres erlebt hat und von einer „So Gott will“-Mentalität geprägt ist. Eine Ansteckung gilt als Stigma, weshalb sich niemand freiwillig auf das Virus testen lassen will. „Möglicherweise gibt es mehr Infizierte als zur Zeit offiziell bestätigt. Der Staat versucht, schnellstmöglich zurück zur Normalität zu finden“, sagt Harken, der diese Vorgehensweise auch teilweise nachvollziehen kann. „Viele Ägypter leben mehr oder weniger von der Hand in den Mund. Durch den Lockdown sind viele kleine Jobs verloren gegangen. Kurzarbeitergeld gibt es nicht. Da kann es schnell zu sozialen Unruhen kommen, die der Staat um jeden Preis vermeiden will.“ Straßen inzwischen wieder voll: Der Spagat zwischen deutscher und ägyptischer Herangehensweise belastet auch die Lehrer, unter denen neben Harken noch zwei weitere Kieler sind. „In den ersten Tagen des Shut-Downs waren die Straßen tagsüber leergefegt“, erzählt Mittelstufenleiter Holger Wendlandt. „Aber das hat sich schnell geändert. Nach zwei Wochen war kaum noch ein Unterschied zu vorher zu merken.“ Wie weit sich das Virus in der Millionenstadt auf diese Weise tatsächlich verbreitet hat , ist unklar. „Wir als Schule versuchen deshalb, unser Wissen möglichst transparent zu kommunizieren und Kollegen, die lieber ausreisen wollen, dürfen selbstverständlich gehen, sagt Harken.“ Flugverkehr wurde eingestellt: Diese Möglichkeit hat auch Steffen Lindemann genutzt, der am 3. Mai mit einem Botschaftsflug zurück nach Deutschland kam und sich in Kiel in eine zweiwöchige Quarantäne begeben hat. „Anfangs gab es vor allem viele Gerüchte“, erzählt der 34-Jährige. „Wir haben seitens der Botschaft die Empfehlung bekommen, einen Notfallrucksack zu packen und genug Wasser zu lagern. Gerade mit Blick auf Deutschland hat man sich natürlich schon gefragt, ob die niedrigen Corona-Zahlen in Ägypten so stimmen können.“ Als größte Bedrohung hat der Kieler dennoch nicht die Gefahr einer Ansteckung, sondern die Einstellung des Flugverkehrs empfunden. „Man fragt sich dann schon, was passiert, wenn man jetzt in eine andere lebensbedrohliche Situation gerät und nicht zurück nach Deutschland kann, sondern festsitzt.“ Hoffen auf die Sommerferien: Roland Harken selbst will als „Kapitän“ weiter die Stellung halten, hofft aber wie viele seiner Kollegen, dass der Flugverkehr bis zum Beginn der Sommerferien Ende Juni wieder soweit hergestellt ist, dass er seine Familie besuchen kann. Bis dahin versucht er im Umgang mit dem Coronavirus eine Art Mittelweg zwischen den Welten zu finden – und sich zwar nicht konsequent in Quarantäne zu begeben, aber im Gegensatz zu vielen sorglos wirkenden Ägyptern zumindest auf soziale Distanz und Abstand zu achten.

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