Kiels Sternekoch Mathias Apelt kocht jetzt im Foodtruck

Wer einen Blick auf die Karte des Flygge wirft, bekommt schnell Appetit: Vorweg würde man wohl die gedämpften gelbe Bete mit jungen Blattsalaten, Nussbrioche und Traubenkernöl wählen, als Hauptgang auf jeden Fall das gebackene Weidehuhn mit Gniff-Möhren, Staudensellerie, schwarzem Knoblauch und Bulgur. Und wer könnte danach dem kulinarischen Dreiklang aus gebranntem Schokoladenschaum, karamellisiertem Fenchel und Sonnenblumenkernen widerstehen? All dies bei schönstem Fördeblick und in der Gewissheit, die Künste eines erfahrenen Spitzenkochs zu genießen. Doch auch wenn Mathias Apelt alle Zutaten für ein solches Bacchanal in seinem Restaurant beisammen hätte: Ereignen wird es sich in naher Zukunft nicht. Als sich Kiels erster Sternekoch im vergangenen Herbst dazu entschloss, dem Ahlmanns im Kieler Kaufmann Lebewohl zu sagen und sich an der Kiellinie mit einem eigenen Restaurant selbstständig zu machen, hoffte er noch auf eine Eröffnung im Januar. Mittlerweile ist Apelts Flygge im Düsternbrooker Weg 46 zwar schon lange startklar. Doch wie alle seine Kollegen ist auch er vom gastronomischen Lockdown betroffen. Dessen Ende, das für ihn den Anfang am neuen Standort bedeuten würde, bleibt derzeit unabsehbar. Mit dem Truck will Mathias Apelt ein erstes kulinarisches Lebenszeichen senden: Was tun? „Vergangenes Jahr stand ich noch in der Sterneküche, jetzt stehe ich an der Fritteuse.“ Obwohl augenzwinkernd formuliert, bringt der Satz Mathias Apelts aktuelle Situation treffend auf den Punkt. Denn der Chef hat sich dazu entschlossen, seine Künste am neuen Schaffensort zeitweilig in einem ganz anderen Rahmen zu präsentieren. Ab Freitag kocht er vor dem Flygge aus einem Foodtruck heraus, den ihm seine Nachbarn von der zeitgemäßen Fischbude „Moby“ solidarisch überlassen. Mit Spezialitäten wie Pastrami- und Veggie-Sandwiches, Süppchen und den unvermeidlichen Pommes möchte er den Promenierenden künftig von Donnerstag bis Sonntag ab Mittag ein „kleines, feines Programm“ anbieten. „Auf diese Weise wollen wir trotz des Lockdowns ein erstes Lebenszeichen von uns geben und hoffentlich auch ein bisschen Geld verdienen“, bekennt Apelt nicht von ungefähr. Lesen Sie auch: Kommentar – Gaumenlust to go Als frischgebackener Selbstständiger fällt der Koch durch alle Raster der Corona-Hilfen: Denn als frischgebackener Patron ohne die Möglichkeit, sein Restaurant zu eröffnen, ist der Koch besonders stark von den Auswirkungen der Corona-Schutzmaßnahmen betroffen. „Meine Partnerin und ich haben natürlich kräftig investiert, müssen Miete zahlen und beschäftigen vier Mitarbeiter“, berichtet Apelt. Weil er erst nach April vergangenen Jahres den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt hat, werde ihm für diese nun kein Kurzarbeitergeld bewilligt. „Die Alternative wäre, dass ich sie entlasse, was den Staat letztendlich noch teurer käme. Aber wir fallen eben durch alle Raster“, sagt Apelt, der aktuell auch noch in Terrassenmöbel investieren musste, die er eigentlich später in der Saison kaufen wollte. Doch wenn es mit dem Flygge irgendwann losgehen sollte, ahnt er, dann in Form eines Open-Air-Restaurants. Mathias Apelt würde den Schritt wieder wagen - aber vielleicht mit einem anderen Timing: Auf diese Weise ist die finanzielle Reserve, die er sich angelegt hatte, rasch geschwunden. Zwar stundet ihm der Kieler Kanu-Klub, in dessen Haus sich das Flygge befindet, vorerst die Miete. Zwar trägt ihn die Hoffnung auf den Sommer, in dem an der Kiellinie schon alles anders sein könnte. „Aber einen zweiten Kredit möchte ich bis dahin nicht aufnehmen“, betont Mathias Apelt mit Nachdruck. Ob er seiner Sterneküche im Kieler Kaufmann treu geblieben wäre, wenn er gewusst hätte, wie sich die Dinge entwickeln würden? „Der Schritt war prinzipiell richtig und ich hätte ihn auf jeden Fall gewagt“, antwortet der Koch und ergänzt: „Aber vielleicht mit einem anderen Timing.“ Der Michelin verlieh dem Chef erneut den Stern, obwohl er das Ahlmanns schon lange verlassen hat: Vor diesem Hintergrund wirkte es auf ihn wie eine Ironie des Schicksals, als Anfang März sein Handy klingelte, weil ihm die Kollegen zur Verteidigung des Michelin-Sterns gratulieren wollten. Tatsächlich hatte der renommierte Guide das Ahlmanns, das seit Anfang Oktober geschlossen ist, erneut mit der begehrten Auszeichnung bedacht. Und da sich sein dortiger Nachfolger lockdownbedingt noch gar nicht präsentieren konnte, hat Mathias Apelt seinen Stern gewissermaßen trotz seines Weggangs gehalten. „Es ist schon kurios, aber bei einer solchen Ehrung wehrt man sich natürlich nicht“, lautet der Kommentar des Chefs. Wer also in den kommenden Tagen eine Portion Pommes aus seiner Hand empfängt, genießt genau genommen Sterneküche aus der Fritteuse.