Boom in Kiel: So sichern Sie sich einen Schrebergarten

Einst eher als kleinkariert und spießbürgerlich verschrien, ist das Schrebergärtnern zum hippen Lifestyletrend geworden. Vor allem junge Familien mieten sich Parzellen und feiern das Leben im Grünen mit Hochbeeten, Hängematte und selbstgemachtem Heu. Corona hat den Boom noch enorm verstärkt. Alle wollen jetzt raus in die Natur. Ein Besuch im Kleingartengebiet Dubenhorst am Hasseldieksdammer Weg. Schon der sechsjährige Friedrich greift zum Rasenmäher: Erst mal Rasen mähen. Der sechsjährige Friedrich schnappt sich den Handmäher von Papa und legt los. Schwester Elise (2) eilt mit ihrem Kindermäher hinterher und hilft. Die Familie, zu der noch Papa Sebastian Göttlich (42) und Mama Bernadett Skala (34) gehören, war gerade zwei Wochen im Urlaub im Ostseebad Rerik. War schön. Aber der Schrebergarten kann da locker mithalten. Kaum sind die Koffer ausgepackt, geht’s ins kleine grüne Paradies. Mit vielen „Ahs“ und „Ohs“ werden die wuchernden Kürbispflanzen begrüßt, die Tomaten gegossen und der Spinat geerntet. Auf dem Rasen hat sich der Klee breitgemacht. Sehr zur Freude der zahlreichen Hummeln. Vor sieben Jahren wurde das Paar zu Laubenpiepern: „Die Hecke muss dringend geschnitten werden“, sagt Bernadett Skala und schaut skeptisch auf die wuchernden Feuerdorn-Zweige. Aber erst einmal wird einfach nur tief durchgeatmet. Vor sieben Jahren wurde das Paar zu Laubenpiepern. „Damals wohnten wir noch Ecke Westring auf 62 Quadratmeter“, sagt Mediengestalter Sebastian Göttlich, der hier wie alle Schrebergärtner nur mit seinem Vornamen angeredet wird. Die Lust auf Garten war immer da. Vor allem junge Familien träumen in diesem Sommer von einem Schrebergarten. Aber freie Parzelle sind derzeit Mangelware. „Der Kleingarten hat an Bedeutung gewonnen“, sagt Thomas Kleinworth, Geschäftsführer vom Landesverband der Gartenfreunde. „Während der Corona-Zeit haben die Menschen festgestellt, wie schön es ist, raus zu können und die Freiheit des Gartens zu genießen.“ Den Traum vom Grünen könne man sich zudem an 365 Tagen im Jahr für relativ kleines Geld erfüllen. „Gesund und frisch selbst ernten zu können, sei eine Riesenchance“, sagt er. Das sieht auch Christian Casadio so. Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft „Kleingärten in Kiel“ ist seit zwölf Jahren Laubenpieper und liebt es. „Vermehrt kommen jetzt tatsächlich junge Familie“, freut er sich. „Sie schätzen das Bewusstsein, mit der Natur zu leben und den Kindern zeigen zu können, woher das Obst und Gemüse kommt.“ Wie man trotz des derzeitigen Booms noch an einen Garten kommt? Auch wenn es auf der Homepage der Vereine heißt: „Es stehen keine freien Parzellen zur Verfügung“, wie derzeit beim Kleingärtnerverein Kiel von 1897, gibt es noch eine Chance. „Es lohnt, durch die Gärten zu laufen und mit anderen ins Gespräch zu kommen“, sagt er. Oft hänge auch an den Gartenpforten ein Anschlag. Zudem könne man durchaus auch bei eBay-Kleinanzeigen fündig werden. Zufällig war der Garten von Karl-Heinz und Rita frei: So drehten die beiden an den Wochenenden Runden durch Schrebergärten der Region und fingen an zu träumen. Wie wär’s, wenn wir selbst einen hätten? An einem Feiertag entdeckten sie dann diese freie Parzelle. 50 Jahre lang hatten Karl-Heinz und Rita hier Girsch und Apfelbaum in Schach gehalten. Nun sind Sebastian und Bernadett die stolzen Pächter, die ihren Vorgängern immer mal wieder frisch Geerntetes vorbeibringen. Gartenhütte mit „röhrendem Hirsch“: „Wir mussten nicht einmal eine Ablösesumme bezahlen“, erzählt Sebastian. Die Vorbesitzer waren einfach nur froh, dass ihr Garten in liebevolle Hände kommt. In der kleinen Gartenhütte haben die „Neuen“ denn auch so gut wie gar nichts verändert. Das Gemälde vom „röhrenden Hirsch“ - hier eher ein staunendes Reh - hängt noch immer an der Wand. Genau so, wie der Spruch „Das Schönste an der Gartenarbeit ist das ,Gießen’“ mit einem trinkfreudigen Gärtner im Bild. Sogar die praktische Sitzecke mit dem 70er-Jahre Stoffbezug ist heißgeliebt. „Das ist alles Kult“, sagt Bernadett und lacht. Leben mit Trenntoilette und Zwei-Platten-Herd: Die Chemietoilette wurde gerade durch eine Trenntoilette mit Sägespänen ausgetauscht. „Wenn man das große und das kleine Geschäft getrennt erledigt, dann stinkt‘s auch nicht“, sagt Sebastin mit einem Schmunzeln. Dank Klo, Außenwaschbecken und Zwei-Platten-Herd lässt es sich hier wunderbar im Grünen aushalten. Kleingärten in Kiel haben eine lange Tradition: In Stadtnähe entstand bereits 1830 die erste Anlage von Selbstversorgungsgärten. Heute gibt es in Kiel mehr als 11.000 Parzellen auf einer Fläche von rund 480 Hektar. Im Kreisverband Kiel der Kleingärtner haben sich 26 Kleingartenvereine zusammengeschlossen. Auf einem Drittel der Fläche soll der Kleingärtner Obst- und Gemüse anbauen, heißt es im Bundeskleingartengesetz. Die Anpflanzung von Wald- und Nadelbäumen sowie Gehölzen, die höher als drei Meter werden, ist nicht erlaubt, so die Gartenordnung der Landeshauptstadt Kiel. Im Garten darf eine einfache Gartenlaube errichtet werden mit höchstens 24 Quadratmeter Grundfläche. Bei den Pächtern vollzieht sich derzeit eine Verjüngung. Fast ein Drittel der Kleingärtner ist zwischen 35 bis 49 Jahre alt. Auch steigt der Bildungsstand deutschlandweit. Hatten im Jahr 2003 nur 7,2 Prozent Abitur oder Fachhochschulreife, waren es 2015 bereits 45 Prozent. Der Anteil der weiblichen Pächter ist auf weit über 50 Prozent gestiegen. Lange Tradition der Schrebergärten in Deutschland: Als mal ein Italiener zu Besuch war, staunte der nur, erzählen sie. „Das könnt ihr euch leisten?“, habe er verwundert gefragt. Ja, die Deutschen können das. Dank der langen Schrebergartentradition. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurden in Kappeln an der Schlei erste Gartenparzellen an arme Bürger verpachtet. „Knapp 250 Euro zahlen wir im Jahr“, sagt Bernadett. „Inklusive Wasser, Strom, guten Tipps und praktischer Hilfe.“ Letztere kommt unter anderem von Andrea und Tina, die die Parzelle nebenan haben. „Ohne die hätten wir das hier nicht geschafft.“ Vor allem als Elise auf die Welt kam, und der Familienalltag doch etwas hektischer wurde. Da hätten die Nachbarinnen mal die Hecke geschnitten, die Pflanzen gegossen oder den Rasen gemäht. „Dafür passen wir dann mal auf deren Hasen auf“, sagt Bernadett. Gold wert ist auch Rudi aus der Nachbarschaft. Der ist ein Meister im Reparieren. Chillen bei selbst geerntetem Pfefferminztee: Als Corona Deutschland im Griff hatte, war der Garten für die junge Familie die Rettung. Zwar wohnen sie inzwischen auf rund 90 Quadratmetern mit drei Balkonen. Aber das Gärtnern sorgt für die nötige Erdung. „So waren wir fast jeden Tag im Garten“, erzählt Bernadett, die als Bildungsreferentin beim Schleswig-Holsteinischen Heimatbund arbeitet. Zwei Gemüsebeete wurden in der Zeit neu angelegt. Von einem Hochbeet träumen sie noch. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Gleich wird erst einmal ein Pfefferminztee gekocht. Natürlich mit eigener Minze direkt aus dem Garten. Und dann braucht man ja auch einfach mal Zeit zum Nichtstun und Genießen. Kennen Sie schon die Post aus dem Newsroom? Den kostenfreien Newsletter über die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein versenden wir Mo-Fr ab 17 Uhr. Hier können Sie sich für unser Mailing anmelden. Weiterer Newsletter: Kiel mittendrin. Über das Leben in der Landeshauptstadt. 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Kleingärten boomen in Kiel - so sichern Sie sich trotzdem einen