Land & Sea aus Kiel: Wenn der alte Neoprenanzug zur Fitnessmatte wird

Es ist lausig kalt in der „Strandfabrik“. Aber in der großen Industriehalle in Kiel-Friedrichsort ist die Laune trotz Corona in diesem Dezember bestens. Bis zur kurzen Weihnachtspause wird geschraubt, geschweißt, getüftelt. In der Falckensteiner Straße 2, dort, wo vor 100 Jahren Panzer und später Lokomotiven hergestellt wurden, arbeiten seit Februar junge Start-ups und kleine Unternehmen an ihrer Zukunft. Ganz hinten links in der Halle kämpfen sich Dorothea Swane (25) und Mareike Springer (26) durch Kartons voller Neoprenanzüge. Die beiden Studentinnen wollen unsere Welt nachhaltiger gestalten. Um Müll zu vermeiden, wollen sie aus alten Neos Gymnastikmatten herstellen. Keine leichte Aufgabe. Die Surf-Community ist von Land & Sea begeistert: Gerade war Besuch aus Hamburg da. Ein Unternehmer, der Surfcamps überall auf der Welt betreibt, brachte 140 alte Neos vorbei. „Er wollte die alten Neoprenanzüge nicht wegschmeißen und hatte nach Lösungen gesucht“, erzählt Mareike Springer. „Durch Zufall hat er dann von unserer Idee im Internet gelesen und war sofort begeistert.“ Sogar die Surfequipment Firma O‘Neill macht mit: Gerade war Besuch aus Hamburg da. Ein Unternehmer, der Surfcamps überall auf der Welt betreibt, brachte 140 alte Neos vorbei. „Er wollte die alten Neoprenanzüge nicht wegschmeißen und hatte nach Lösungen gesucht“, erzählt Mareike Springer. „Durch Zufall hat er dann von unserer Idee im Internet gelesen und war sofort begeistert.“ Begeistert ist bisher auch die gesamte Surf-Community. „Das hat sich schnell herumgesprochen“, sagt Dorothea Swane. Knapp 400 solche gebrauchten Kälteschutzanzüge aus Kautschuk und Kunststoff trudelten bereits bei Land & Sea ein. Sogar eines der bekanntesten Unternehmen für Surfequipment, die Firma O‘Neill, schickte vor Kurzem dutzende Pakete mit Fehlware nach Kiel. Die beiden jungen Kielerinnen surfen übrigens auch selbst. Neben dem Studium jobbten sie beide früher in einem Surfgeschäft in Kiel. Sie hatten sich schon lange gefragt, was man nur mit seinem „abgerockten“ alten Surfanzug noch anstellen kann. Kurzerhand entwickelten sie nun selbst die Lösung. Lesen Sie auch: Anmeldung, Impfdosen, Reihenfolge: Das müssen Sie über die Impfungen wissen Diese Corona-Regeln gelten für Silvester in Schleswig-Holstein Diese Geschäfte bleiben im Lockdown in Schleswig-Holstein geöffnet Corona-Liveblog: So ist die aktuelle Lage in Schleswig-Holstein Weitere Informationen zum Coronavirus erhalten Sie auf unserer Themenseite. Experimente erst in der Studentenbude, dann an der Kieler Uni: Mit Schere und Kochtopf wurde anfangs noch in der Studentenbude experimentiert. Dank eines Materialwissenschaftlers im Freundeskreis ging es später an der Kieler Uni im Labor weiter. Immer auf der Suche nach dem perfekten „Kleber“, der die Neo-Schnipsel zusammenhält. „Doch das war alles gar nicht so leicht, wie gedacht“, gesteht Dorothea Swane. Ideenwettbewerb „Yooweedoo“ gewonnen: Die Idee der beiden kam allerdings so gut an, dass es bereits während der Forschungsphase Auszeichnungen gab. 2019 gewannen sie den Kieler Ideenwettbewerb „Yooweedoo“ und erhielten eine Anschubfinanzierung. Später folgte ein Gründerstipendium im Fleet 7. Da lernten sie auch, dass man manche Dinge vielleicht einfach besser den Fachleuten überlässt. Im Internet entdeckten sie ein Recyclingunternehmen bei Köln, das ähnliche Nachhaltigkeitsgedanken hat wie die beiden Kielerinnen. „Die stellen beispielsweise aus alten Möbelstoffen Sportmatten her oder aus Autoreifen Laufrennbahnen“, erzählt Dorothea Swane. „Das ist schon ziemlich krass.“ Schnell war man sich handelseinig. Die Neos kommen aus Kiel, in der Nähe von Köln werden sie kleingeschreddert und mit einem Verbundstoff gemischt. Aus einem riesigen Neoprenblock werden anschließend die einzelnen Matten herausgeschnitten. Allein in Europa, so hat das Start-up „Land & Sea“ ermittelt, gibt es 4,5 Millionen Surfer. Jeder davon hat im Schnitt zwei bis drei alte Neoprenanzüge zu Hause herumliegen. Das ergibt zwischen neun und 13 Millionen Neos nur in Europa. Ein massives globales Problem. Denn diese Anzüge sind biologisch nicht abbaubar. Mit dem Herstellen von Sportmatten will das Kieler Start-up nun das Problem lösen. Ein bis zwei Anzüge werden benötigt, um eine Matte herzustellen. Spenden kann man seine alten Neoprenanzüge bei verschiedenen Kooperationspartnern in Schleswig-Holstein und Hamburg. So gibt es in Kiel Sammelboxen bei „Kosmos“ in der Holstenstraße und bei „Secret Spot“ in der Küterstraße. Dort können nach dem Lockdown gebrauchte Surfanzüge (trocken und sandfrei) abgeben werden. Weitere Annahme-Stellen finden sich im Internet unter: www.landandsea-yogamats.com. Anfang 2021 sollen die ersten Matten in den Handel kommen. Vorbestellungen sind schon jetzt möglich. Sportmatte ist später zu 100 Prozent übers Start-up recyclebar: Ein erster Prototyp der Sportmatte wurde dort bereits produziert. „Die Matte ist klasse“, sagen die beiden und rollen mal eben ihr Vorzeigeobjekt aus. Mitten in der Kälte, mitten zwischen all den gebrauchen Neoprenanzügen. „Am Ende ihres Lebens ist die Matte zu 100 Prozent über uns recyclebar.“ Auch wenn die Recyclingfirma viel Arbeit abnimmt, zu tun gibt es dennoch genug. „Aus allen Anzügen müssen wir die Reißverschlüsse und Klettverschlüsse rausschnibbeln“, sagt Mareike Springer. Anfangs hatten sie das noch mit einer Schere per Hand gemacht. „Aber nach etlichen Blasen war klar: So geht das nicht weiter.“ Im Internet kauften sie sich eine Schneidemaschine. Seitdem läuft's rund. Nur anfangs riechen die Matten nach Neopren: Wenn nur die Kälte in der Industriehalle nicht wäre. Aber mit dicker Jacke und Schal klappt auch das. Richtig appetitlich sind allerdings nicht alle gespendeten Neos. „Ein Karton war mal voller schimmeliger Anzüge“, erzählen sie. Andere waren eine Zumutung für die Nase. Gut, dass es Waschsalons gibt. Die eine oder andere Trommel wurde schon gefüllt. „Die Matten selbst riechen später nur anfangs nach Neopren“, sagt Dorothea Swane. „Der Geruch verflüchtigt sich aber schnell.“ Noch läuft ihre Unternehmens-Idee unter dem Label „Land &Sea“ neben dem Studium. Dorothea Swane studiert Englisch und Wirtschaft/Politik auf Lehramt. Mareike Springer hat nach ihrem Bachelor in Geografie auf „Sustainability“ – also Nachhaltigkeit – umgesattelt. Irgendwann, so hoffen sie, wollen sie von ihrer Firma leben.