Landleben-Klischees im Tatort Geschendorfer regt das nicht auf

Alkohol. Gewalt. Drogen. Tristesse. Inzest. Nein, das Bild vom Dorfleben aus dem Tatort vom vergangenen Sonntag ist keines, das ins romantische „Bauer sucht Frau“-Idyll passt oder das Lust auf Urlaub auf dem Bauernhof macht. Die Fernsehmacher vom NDR nennen dies „Überspitzung“ als Stilmittel. Landesbauernverband und Heimatbund Schleswig-Holstein empfinden die Darstellung der Charaktere des fiktiven Krimi-Dorfes Mundsforde als ehrverletzend und böses Spiel mit alten Vorurteilen. Einzelmeinungen? „Oh nein“, sagt Dirk Wacker. Der 47-Jährige ist Dorfkind, Landwirt und Jäger, seit sechs Jahren Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Geschendorf. 540 Menschen leben in dem beschaulichen Ort mit der obligatorischen Dorfstraße, die das Neubaugebiet im Westen mit den alten Höfen im Ortskern und dem Autohof nebst Tankstelle im Osten verbindet. „Ich habe mich richtig geärgert, als ich den Tatort gesehen habe“, sagt er. Klischeebehaftet sei der Krimi gewesen. „Fern unserer ländlichen Realität.“ Natürlich sei das Leben im Dorf anders als in der Stadt. Schlechter oder monotoner aber nicht. Ganz im Gegenteil, bekräftigt Wacker. „Warum sonst zieht es so viele junge Familien zu uns aufs Land?“ Stimmt, sagt Antje Möyzes und klopft auf den hölzernen Küchentisch, an dem die 35-jährige Krankenschwester gerade mit drei Freundinnen frühstückt. „Ich bin auf dem Land aufgewachsen, habe jahrelang in Berlin gelebt und bin aufs Dorf zurückgekehrt“, berichtet sie. Für ihre Herkunft mehr oder weniger herablassend stigmatisiert zu werden, „das kenne ich auch – ich war in der Schule immer eine von den Dorfis.“ Ein Klischee, das mitunter aber auch von Vorteil sein konnte: „Im Zweifelsfall konnte man sich immer herausreden und sagen: Ich komm vom Dorf, ich weiß das nicht“, sagt sie, lacht und zählt an den Fingern all die Vorteile auf, die das Landleben speziell mit Kindern so lebenswert machen. „Unsere Welt kennt weniger Mauern, wir haben Weite, wir haben Natur, wir können unsere Fantasie leben, passen aufeinander auf, kennen uns und sind widerstandsfähiger. Wenn wir Vogelgezwitscher hören wollen, dann müssen wir keine CD einlegen.“ Ein paar Häuser weiter dorfeinwärts sitzt Polizeikommissar Artur Sielas in seiner Amtsstube. Sein TV-Kollege deckte die Drogen kochenden Landwirte im fiktiven Mundsforde. Im echten Leben hat der Dorfsheriff seit 1994 schon zwei Drogenplantagen, in denen Hanf angebaut wurde, ausgehoben. Das Spiel mit Klischees im Fernsehen, darüber ärgert der 57-Jährige sich nicht. „Was da in Krimis auch an Polizeialltag präsentiert wird, das hat mit unserem Alltag nix zu tun“, sagt Sielas kopfschüttelnd. „Oder haben Sie Borowski schon mal Berichte tippen sehen? Eben!“ Berichte gibt es aber viele zu schreiben. „Erst heute Morgen hatten wir mehrere Glätteunfälle in der Region, eben waren wir bei einem Einbruch.“ Dennoch: So ganz gleichgültig ist Sielas dann doch nicht, welches Polizeibild im Sonntagskrimi vermittelt wird. „Viele Leute glauben das und sind ganz empört, wenn wir bei ihnen vor der Tür stehen. Dann fragen sie, wann denn die Spezialisten von der Kripo kommen?“ Erich Kasch kennt die Vorurteile, die manche Städter hegen, seit Jahrzehnten. Dem 78-Jährigen war und ist es aber egal. „Ich genieße das Leben upp'n Dörp – und hab es immer getan.“ Mehr noch: „Ich kann sogar darüber lachen.“ Gemeinschaft und Miteinander: Nirgends sei dies so ausgeprägt wie hier. „Ist es nicht sogar so, dass viele Städter diesen Gemeinsinn vermissen und genau deshalb zu uns aufs Land ziehen?“ Die beiden Neubaugebiete zählt er auf und die vielen Feste, die in Geschendorf stattfinden: Vogelschießen, Laternenumzüge, Go-Kart-Rallye, Hof-, Straßen- und Feuerwehrfeste, Seifenkistenrennen. „Ja, wir halten zusammen und sind fürein-ander da“, ist auch Werner Wacker, Landwirt mit 100 Hektar Ackerfläche, Rinder- und Schweinemast, überzeugt. „Eine eingeschworene Gemeinschaft“ – das sei aber auch das Einzige, was das Leben im echten Geschendorf mit dem Fernseh-Dorf gemein habe. Gerecht sei es natürlich nicht, wenn ein falsches Bild über die Landbevölkerung im Fernsehen gezeichnet werde. Aber: „Ich mache mir nicht den Stress, mich darüber zu ärgern.“

Landleben-Klischees im Tatort - Geschendorfer regt das nicht auf