Nach Ernteverlust startet die Kieler Meeresfarm mit neuen Ideen in die Saison

Damit haben die Meeresfarmer Tim Staufenberger, Nikolai Nissen und Kristina Hartwig nicht gerechnet. Als sie im Januar dieses Jahres zur Kontrolle der Miesmuscheln aufbrechen, sind alle neun Leinen fast komplett leer. Eiderenten haben sich die leckeren Meeresfrüchte schmecken lassen. Schon Corona und Stürme sorgten zuvor bei der Meeresfarm GmbH für große Verluste. Die schwimmenden Muschelgärten liegen vor dem Förde-Westufer zwischen Tonnenhof und Plüschowhafen. Der Aufbau ist relativ einfach: An neun Muschel-Tragleinen à 100 Meter hängen in drei Metern Tiefe sogenannte Kollektoren – ähnlich einem platten Feuerwehrschlauch. Mit Bojen werden die Tragleinen an der Oberfläche gehalten. Außerdem sind sie mit Verankerungsleinen verbunden, die wiederum am Boden mit schweren Betonblöcken fixiert sind. Kieler Nachhaltigkeitspreis für bio-zertifizierte Fördemuscheln: Schon 2014 setzt Meeresbiologe Tim Staufenberger die Idee von einer Muschel- und Algenfarm in der Kieler Förde in die Tat um. 2017 gewinnt er für seine Produktion bio-zertifizierter Fördemuscheln den Kieler Nachhaltigkeitspreis. Das Geschäft wächst langsam an. „Im Maximum haben wir 3,5 bis fünf Tonnen geerntet“, sagt Tim Staufenberger. Damals schon unterstützen ihn Nikolai Nissen und Kristina Hartwig bei der Ernte. Mit ihnen gemeinsam gründet er im März 2020 die Kieler Meeresfarm, um sich auf die Miesmuschel zu fokussieren. Das Prinzip der Muschelfarm wird umgestellt und um einen Produktionsschritt erweitert. „Früher haben wir die Kollektoren einfach nur reingehängt und gewartet, dass sich die Muscheln dort ansiedeln“, erklärt Staufenberger. „Inzwischen dünnen wir die Muscheln aus, damit sie besser wachsen können und annähernd gleich groß werden.“ Als Kieler Meeresfarm beantragen sie auch alle Genehmigungen für Algen-, Muschel- und Fischzucht und bekommen sie auch. Die Muschelfarm durften sie von 0,7 auf 8,4 Hektar erweitern, um die Ernte langsam auf 50 Tonnen auszubauen. Lesen Sie auch Revolution: Salzwasser-Pflanzenkläranlage Alleskönner Alge: Enzym-Lieferant für die Diagnostik Doch es kommt alles anders. Bereits im November 2020 setzen sie den Verkauf aus. Mit dem Lockdown bleiben ihre Hauptabnehmer, Kieler Restaurants, geschlossen. „Wir kommen dann nicht mehr auf die Mengen, um die Kosten zu decken“, sagt Nikolai Nissen. Im Januar starten sie noch mal einen Spezialverkauf für private Haushalte auf Bestellung. Mit noch gut bewachsenen Kollektoren ruhen nun alle Hoffnungen auf dem Herbst. Da werden wir eine gute Ernte haben, denken alle. Doch dann die Ernüchterung. Beim Hochziehen der Kollektoren, „fielen die Muscheln vor unseren Augen ins Wasser“, sagt Kristina Hartwig. Nur die kleinen bleiben hängen. Der Rest hat sich durch Stürme und andere Faktoren gelöst. Wieder tröstet man sich mit einer vermeintlich tollen Ernte im Herbst. 2022: Ein totaler Verlust sämtlicher Muschelgenerationen: Es ist der 7. Januar 2022, als die drei nach den Stürmen erstmals wieder rausfahren können und sich dem Totalverlust sämtlicher Muschelgenerationen gegenüber sehen. Wo früher höchstens mal 60 Eiderenten auf der Farm vorbei schauten, sind es jetzt bis zu 450 – und eine alleine vertilgt schon ein bis drei Kilo Muscheln am Tag. „Unsere Kulturmuscheln zu fressen, ist für die viel einfacher als die in der freien Natur“, erklärt Tim Staufenberger. Vor allem da seine Fördemuscheln mehr Fleisch hinter dünnerer Schale haben. Das Schlimme daran: Die Eiderenten merken sich den leckeren Standort. Erst ist die Ratlosigkeit groß. „Wir saßen zusammen, haben uns gefragt, was machen wir jetzt? Wo kriegen wir Kohle her? Wie lange geben wir uns noch? Natürlich kam uns auch der Gedanke aufzuhören“, sagt Kristina Hartwig. Zumal der absolut frühestmögliche Termin für die nächste Muschelernte der Herbst 2023 ist. „Immer vorausgesetzt, wir bringen sie mit den Eiderenten durch den Winter.“ Mit der Überlegung, die Firma breiter aufzustellen, kommt die Zuversicht zurück. Kurz: „Wir sind keine Muschelzüchter mehr, sondern Meeresfarmer“, beschreibt Staufenberger die Neuorientierung. Nach einem Forschungsprojekt mit Meeresgemüse setzen die drei in dieser Saison auf den Queller. Die Restaurants haben bereits Interesse bekundet. Die erste Ernte aus dem rund 18 Quadratmeter großen Gewächshaus in der Nähe der Muschelfarm soll im Sommer eingefahren werden. Neues Ziel: Schwimmende Meeresgemüsegärten: In den zwei kleinen etwas über zwei Quadratmeter großen Gewächshäusern geht die Forschung mit Strandaster, Dreizack und Meerkohl weiter. Die sollen wenn möglich auf Flößen stehen. Dabei spielt vor allem auch der Nährstoffkreislauf eine große Rolle. Wird das Meeresgemüse mit Ostseewasser gegossen, werden überschüssige Nährstoffe aus dem Meer entnommen. Das Ziel sind schwimmende Meeresgemüsegärten. Ansonsten können sich die drei mit weiteren Forschungsprojekten über Wasser halten. Derzeit warten die Meeresfarmer noch auf den positiven Bescheid eines ganz entscheidenden Projektes. Dabei geht es um die Frage, kann man Eiderenten grundsätzlich von Farmen fern halten und wenn nicht – wie kann man die Muscheln mechanisch vor ihnen schützen? Besondern im skandinavischen Raum gebe es immer wieder Probleme mit den Vögeln. Staufenberg weiß von einem dänischen Muschelzüchter, der 60 Tonnen verloren hat. Die Gefahr ist groß, dass die Eiderente auch in Kiel wieder vermehrt im Winter auftaucht – zumal sie sich hier an den gedeckten Tisch setzen kann. „Deshalb müssen wir etwas machen“, so Nikolai Nissen. „Wir werden unabhängig vom Projekt nach Lösungen suchen, unsere Muscheln zu schützen.“