Serie "Spazieren in Kiel": Die Düsternbrooker Runde

Alle Wege beginnen an der Forstbaumschule: Zumindest für mich auf dem Gang durch Düsternbrook ist das so. Aus dem winterlichen Matsch heraus geht es durch einen Stadtteil, den viele ausschließlich als Viertel der Bonzen und Villen kennen. Klar, gibt es hier. Aber noch viel mehr. Historie, Natur und Geheimwege – und so manche gute Aussicht. Daten: Gehzeit etwa 75 Minuten, Distanz rund sechs Kilometer, 150 Höhenmeter, meist Asphalt, etwas Schotter. Route: Forstbaumschule (am Forsthaus/Kleinen Spielplatz) – über den Niemannsweg in die Bismarckallee – über Lindenallee ins Düsternbrooker Gehölz und rechts halten – links in den Niemannsweg – rechts in die Moltkestraße – links in die Himmelsleiter (barrierefreie Alternative: direkt vom Niemannsweg in den Sternwartenweg und zurück) – Sternwartenweg weiter folgen – rechts in den Niemannsweg – vor dem Kieler Kaufmann ins Gehölz und rechts halten über die Krusenkoppel – links in den Karolinen- und rechts in den Luisenweg – rechts in den Düsternbrooker Weg – rechts in die Kirchenstraße (barrierefrei: Schwanenweg) – rechts in den Niemannsweg – links in die Weserfahrt – geradeaus in die Düppelstraße – rechts in den Forstweg – Forstbaumschule. Höhepunkte: Forstbaumschule, Villen in Bismarckallee und Niemannsweg, Hirschfeld-Blick, Augenklinik Bellevue, Himmelsleiter und Sternwarte, Düsternbrooker Gehölz mit Forsthaus und Marienhain, Treppen zur Kirchenstraße, Pauluskirche. Am gepflasterten Niemannsweg zwischen Forstbaumschule und Diederichsen-Park geht es los. Die Straße ist benannt nach Professor August Niemann, Leiter der Königlich-Dänischen Forstlehranstalt, Gründer der Forstbaumschule, aber auch der Gesellschaft Freiwilliger Armenfreunde. Das zeigt mir exemplarisch, wie sich in Düsternbrook gehobenes Bürgertum mit Wohltätigkeit für Kiel vereinte. Die weiten Grünanlagen sind das beste Beispiel: Sie werten jeden Spaziergang auf. Der Diederichsen-Park beispielsweise entstand auf dem Gelände der ehemaligen Villa Forsteck, in der Künstler wie Theodor Fontane, Clara Schumann oder Klaus Groth zu Gast waren. Spazieren gehen in Kiel-Düsternbrook: Heute geht es um das Land: In der Bismarckallee thronen Unternehmer-Villen aus der Zeit der Jahrhundertwende, der vorletzten versteht sich. Und an der Kehre lädt mich der atemberaubende Hirschfeld-Blick auf die Förde ein. Gartentheoretiker Professor Christian Hirschfeld ist sein Namensgeber. Doch bei diesem Spaziergang will ich den Blick nicht dem Wasser zuwenden, sondern dem Land. In der Lindenallee angekommen, empfängt mich die Augenklinik Bellevue (Nr. 21) – der pompöse neu-barocke Stil lässt kurz vergessen, welcher Skandal für das Rathaus mit Prof. Detlev Uthoffs Steuern verbunden war. Oder steht er sogar symbolisch dafür? Lesen Sie mehr zum "Kieler Steuer-Deal" Wende und durchs Düsternbrooker Gehölz. Ein paar Schritte durch die Moltkestraße, mit einem Blick auf die Villa Hecht (Nr. 88), die einst für den Gründer des Akustikunternehmens Elac entworfen wurde. Ein paar Meter weiter folgen Fachwerk-Villen. Aber heute machen wir es anders. Kurz vor den Neubauten geht es links in einen unscheinbaren kleinen Weg, der in eine Treppe mündet: die Himmelsleiter. Die dürfte zu den unbekanntesten Wegen Kiels gehören: Dutzende Stufen führen mich auf einen Hügel, den viele mittlerweile ganz global als "Sternwarte" bezeichnen. Zumindest laut Eckhard Jess: "Viele Nachbarn sagen hier inzwischen: Wir wohnen in der Sternwarte." Die Vermögensverwaltung Dahm & Jess hat das Gebäude der einstigen Uni-Sternwarte, die über allem thront, sanieren lassen. Immer wieder kommen Spaziergänger vorbei: "Es ist ein steter, wenn auch nicht üppiger Strom an Interessierten", sagt Jess, "darüber freue ich mich immer." Die Aufmachung des Gebäudes zeigt seine alte Funktion noch heute. Unter dem Hügel ebenfalls noch heute: ein Luftschutzbunker für ganz andere Krisenzeiten. Villen über Villen im Niemannsweg: Zurück im Niemannsweg an der Jugendstilvilla des Konteradmirals Fischel (Nr. 127) vorbei – und dann entweder weiter den Niemannsweg entlang, wo hinter dem Nobelhotel Kieler Kaufmann Zweckvillen, in die einst die Wilhelm Jacobsen AG (Nr. 90) oder heute die Hermann-Ehlers-Stiftung (Nr. 78) einladen – oder rund um den Kaufmann ins Düsternbrooker Gehölz. Hier hat die Kultur Spuren hinterlassen: Ein Gedenkstein erinnert an Husums Sohn Theodor Storm, der in Kiel wilde Studentenjahre verlebte. Meist geht es im Wald aber ruhiger zu, sagt mir Stadtförster Stefan Bronnmann, dessen Dienstsitz auf einem Plateau im Gehölz liegt. "Ganz aktuell spazieren mehr Menschen als noch vor Corona durch die Wälder", sagt Bronnmann. "Aber es sind noch nicht so viele wie im Frühjahr. Gerade Familien haben da die Wälder bevölkert, wie wir es noch nie gekannt haben." Bronnmann ruft zum behutsamen Umgang mit dem Wald auf. "Die oft gebauten Tipis sind waldökologisch nicht sinnvoll. Lassen Sie das Totholz einfach liegen – und erfreuen sich so an der Natur." Aber der Stadtförster freut sich auch, dass der Wald geteilt wird: "Es ist schön, dass so viele dort spazieren: Wir haben einen Bürgerwald, und das ist eine Ausnahmesituation." Lesen Sie auch: Unterwegs im Kieler Stadtwald Übergang über den Marienhain: Hier pries einst ein Tempel Marie Sophie, die Frau des dänischen Kronprinzen Friedrich – vor mehr als zwei Jahrhunderten in Kiel. Vom Gebäude steht nichts mehr, aber der Ausblick von der Krusenkoppel lässt mich erahnen, wie wichtig diese Lage einst war. Dann gehe ich kurz Richtung Wasser und Düsternbrooker Weg. Hier sorgten die mittlerweile fertigen Martiusterrassen für einigen juristischen Zwist. Die namensgebende Villa und der Park sind nicht öffentlich zugänglich. Ein Stichweg in Kiel-Düsternbrook entpuppt sich als Geheimnis: Unverhofft ist es aber ein kleiner Stichweg wenige Meter den Düsternbrooker Weg hinunter: Wer möchte, kann sich zuvor aber noch das Literaturhaus im Alten Botanischen Garten anschauen, wo eine Gedenktafel an die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf ("Nils Holgersson") und ihre Ehrendoktorwürde an der CAU erinnert. Im Schwanenweg weist ein Gedenkstein auf den Ex-Wohnort des niederdeutschen Autors schlechthin, Klaus Groth. Zurück zum Stichweg: Spektakulär lassen die Geheimtreppen hoch zur Kirchenstraße mich gefühlt verbotenes Terrain betreten. Zwischendurch lohnt sich nach den Stufen ein kurzer Blick zurück, über die Häuser auf den HDW-Kran. Noch ein paar Meter weiter beeindruckt mich der Blick auf die Pauluskirche. Die steht trotzig auch im Winter-Lockdown dienstags bis sonntags von 9 bis 16 Uhr jedem offen, der Trost oder Zerstreuung sucht. Und das nutzen derzeit viele: "Wir haben in der Kirche einen Leuchter im Sandbett", berichtet Küster Bernhard Nieth, "und der Kerzenverbrauch ist seit Weihnachten deutlich gestiegen." Spaziergang in Kiel-Düsternbrook: Mahnende Gedanken an düstere Zeiten: Trost suchten in der einstigen Garnisonkirche auch Marinesoldaten, wenn sie der Gefallenen gedachten. Unter ihnen ist seit dem 22. September 1897 der Seeoffizier Friedrich Wilhelm, Herzog zu Mecklenburg. Ein Ehrenmal an den Treppen zum Niemannsweg erinnert an den Untergang seines Torpedobootes und zeigt einen gigantischen Anker. Die Gestaltung mahnt mich, an andere schwere Zeiten zu denken, uns und unseren Anker im Leben nicht zu vergessen. Ähnlich der Rückweg: Über den Niemannsweg und die nächste wunderschön gestaltete Allee namens Weserfahrt passieren wir das ehemalige Gestapo-Hauptquartier Kiels, heute 1. Polizeirevier in der Düppelstraße 23. Aus der Erinnerung an die düstersten Zeiten führt mich der Forstweg wieder zurück zur wunderbaren Forstbaumschule. Ein Jammer, dass in den heutigen Zeiten kein heißer Tee dort auf mich wartet.

Serie Spazieren gehen in Kiel – Düsternbrook: Villen, Wälder, Wunderwege