Serie Spazieren in Kiel: Die Schwentine-Wanderung mit Charme und Ziel

Wellingdorf. Flüsse haben einen Anfang und ein Ende. Dazwischen haben sie einen Verlauf. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum wir Menschen uns so zu ihnen hingezogen fühlen. Auch wir haben einen Anfang und ein Ende und hoffen, dass uns bis dahin ein möglichst langer Lauf vergönnt ist. Selbst das wenig spektakuläre Dahinplätschern der Flüsse mögen wir für gewöhnlich. Womöglich, weil es genau diese Gewöhnlichkeit ist, die uns vertraut vorkommt. Hallo Schwentine! Vielleicht wäre sie ja beleidigt, wenn sie diese Worte verstehen würde. „Ich und gewöhnlich?“, würde sie ausrufen, stolz darauf verweisend, dass davon schon insofern keine Rede sein könne, als sie ganz dicht am höchsten Punkt unseres Bundeslandes entspringt: Etwa 120 Meter über dem Meeresspiegel und nur gut 40 Meter unterhalb vom Gipfel des Bungsbergs. Die Schwentine ist insgesamt 62 Kilometer lang: Mit 62 Kilometer Länge ist die Schwentine zudem einer der längsten Flüsse Schleswig-Holsteins. Und gewiss auch einer der prägendsten. Jedenfalls würde unser Fluss bestimmt von sich behaupten, dass historische Perlen wie die Schlösser in Eutin und Plön, das Kloster Preetz und nicht zuletzt so manche wassertechnischen Meisterwerke ohne ihn wohl niemals errichtet worden wären. Wir Menschen schätzen halt nicht nur die philosophische Bedeutung von Flüssen, sondern auch ihren praktischen Nutzen als Wasserspender, Transportmedium und Nahrungsspeicher. Lesen Sie auch: Eine Zeitreise durchs Vieburger Gehölz Vieles von all diesen Facetten ist auf unserem Spaziergang zu sehen und spüren. Gut 60 Kilometer vom Bungsberg entfernt beginnt er an der alten Schwentinebrücke, die im Jahr 1800 erbaut wurde, um die zuvor abgebrannte Querung aus dem 14. Jahrhundert zu ersetzen. Der Anfang ist an dieser Stelle so ziemlich das Ende der Schwentine, die unter der Brücke hindurch ihr letztes Wegstück zur Förde zurücklegt. Rechts das Terrain der Tüftler von der Fachhochschule, links die Gebäude der Meeresforscher vom Geomar, diese Nachbarschaft dürfte ganz nach dem Geschmack unseres stolzen Flusses sein. Wir aber wenden uns der Quelle zu. Und blicken gleich einmal aufs Anwesen der Schwentinetalfahrt, von wo aus sich die geneigten Naturfreunde gemütlich flussaufwärts schippern lassen – oder aber selbst im Kanu, Ruderboot und stehpaddelnd auf dem SUP aktiv werden können. Zumindest dann, wenn Saison und am besten kein Corona ist. Grafitti-Künstler und die Freiluft-Galerie: So aber geht es links gegen die Fließrichtung auf den Scharweg, der für sich schon ein Erlebnis ist. Gleich nach wenigen Schritten zeigt sich an den Stützen der neuen Schwentinebrücken die spektakulärste Freiluft-Galerie weit und breit. Graffiti-Künstler sprühen teils monumentale Werke, zu sehen gibt es stets etwas Neues. Und leider auch sehr viel Müll am Rand des Parkplatzes unter der Brücke. Weiter auf dem Weg gewährt die Schwentine zwischen Häusern und über die Gärten hinweg immer wieder Anblicke, so lieblich, als wollte sie noch immer ihre angebliche Gewöhnlichkeit widerlegen. Die Gebäude entlang der Straße halten es ähnlich. Mal sind es Häuser, mal Häuschen, verwunschen wirkende kleine Schlösschen finden sich und recht neue, gleichwohl mit einer selten gewordenen Liebe zum Detail gestaltete terrassenartige Mehrfamilienhäuser. Ehrlich gesagt zuckt ein wohlmeinender Schreiber etwas zusammen, wenn er in diesen Zeiten solche Sätze von sich gibt. Ein bisschen jedenfalls schwingt die Befürchtung mit, dass es sich um einen unfreiwilligen Beitrag handeln könnten, die ohnehin überzogenen Immobilienpreise noch weiter in die Höhe zu treiben. Noch nicht mal der Verweis auf nervige Autos kann da was retten, denn nachdem der Scharweg seit einiger Zeit durch eine Einbahnstraßenregelung keinen Durchgangsverkehr mehr zulässt, ist es so angenehm ruhig geworden, dass man fast die Paddelschläge der auch in dieser Jahreszeit vereinzelt zu erblickenden Wassersportler zu hören glaubt. Hier geht es lang: Tour führt über die Kieler Grenze hinaus: Die Kanusportler der Ellerbeker Turnvereinigung haben an diesem Weg ihren Sitz, und auch der Anglerverein „An de Waterkant“. Los ist wegen der Jahreszeit und der leidigen Corona-Sache hier wie dort nichts. Egal. Weiter führt die kleine Tour knapp über die Grenze nach Schönkirchen, wo aus dem Scharweg der Kätnersredder wird. Gleich am Ortsschild wundert sich der Wanderer ein bisschen, wie steil es rechts die Treppen hinauf zum Oppendorfer Fußweg geht. In der Tat beträgt der höchste Punkt dieser Route immerhin 24 Meter, sagt die unvermeidliche App, während wir den Treppen folgen und den Fluss etwas aus dem Blick verlieren. Ein kleines Wäldchen zeigt sich nun, später Kleingärten und die Sportanlage der Concordia Schönkirchen, ehe nun wieder dicht am Ufer eine Eisenbahnbrücke zum Vorschein kommt. Die gewährt allerdings nur Schienenfahrzeugen einen Übergang, während auf Fußgänger wenige hundert Meter weiter flussaufwärts eine schmale Holzbrücke wartet und auf beiden Seiten reichlich Sicht auf die Schwentine bietet. Nun wechselt der Spaziergänger die Richtung und strebt wie der Fluss der Mündung zu. Wobei es das Wasser leichter hat. Es bleibt in seinem Bett, wohingegen wir dem Weg folgen müssen und nach oben streben. Teils durchaus steil und nicht durchweg barrierefrei, dafür entlang der reizvoll bewaldeten Flusslandschaft braust forschen Tritts ein Mountainbiker vorbei, während wir eher mit einer kleinen Verschnaufpause auf einer der gottlob reichlich vorhandenen Sitzbänke liebäugeln. Der Vossenpott war nach dem Krieg äußerst beliebt : Schritt für Schritt abwärts rückt nun bald das Ziel, das zugleich der Start unserer Tour war, in Sichtweite. Die Schwentine ist erstmal aber noch recht weit entfernt, dafür plätschert direkt rechts am Weg ein anderes Gewässer: der Vossenpott, ein kleiner See, der noch etliche Jahre nach dem Krieg eine beliebte Stätte allgemeiner Badefreuden war und inzwischen sich selbst genug ist. Reichlich anzutreffen sind unterwegs neben vielen sehenswerten Dingen auch Hunde. Und weil die wegen schlecht erzogener Herrchen oder Frauchen nicht immer angeleint sind, ist unser Spaziergang für Menschen mit entsprechenden Berührungsängsten nicht unbedingt zu empfehlen. Außerdem ist die Route zwar keineswegs überlaufen, aber stellenweise geht es einfach ziemlich eng her. Also beizeiten zur Seite und abwarten und nicht unbedingt sonntags um 14 Uhr starten. Erstmals jedoch heißt es ankommen. Bergab schmiegt sich der Weg wieder an die Schwentine, wo sich bald Kunst am Fluss in Form dekorativer Liegestühle zeigt – und endlich die Brücke, an der unser Spaziergang seinen Lauf nahm. Gern hätte der Verfasser als Freund der lokalen Gastronomie nun eine abschließende Einkehr im Restaurant Alte Mühle oder wenigstens einen Erfrischungstrunk am Domizil der Schwentinetalfahrt empfohlen. Ein Abstecher zum Café Luna lohnt sich: Beides ist gerade nicht drin, wohl aber ein Abstecher zum Café Luna auf die Wellingdorfer Seite der Schwentinebrücke. Jeden Tag außer Montag machen dort Inhaberin Simone Karpen und ihr kleines Team Außer-Haus-Verkauf mit Rübenmus und anderen rustikalen Spezialitäten. Absolute Luna-Hits sind die selbstgebackenen Kuchen, die bestimmt sogar besser schmecken als mancherorts bei Muddern. Die Schwentine schiebt sich unterdessen weiter ihrem Ziel entgegen. Die Förde, die Ostsee – letztlich ist das große Meer ihre Bestimmung. Und auch wenn sie darin völlig aufzugehen scheint, bleibt doch immer etwas von ihr. Das ist es, was wir Menschen den Flüssen neiden. Ihnen ist gewiss, was wir uns nur erhoffen.