So war das damals in Kiel: Wohnzimmer wurde zum Badezimmer

Kindheit in Kiel – in unserer Serie "So war das damals in Kiel" berichten Leser über ihr Leben während des Zweiten Weltkriegs, in der Nachkriegszeit oder in späteren Jahren. Heute: Susanne Brockmann. Der Lehmberg 21a war über viele Jahre das Zuhause meiner Kindheit. 1955 bezogen meine Eltern mit dem ersten Familienzuwachs auf dem Hinterhof vom Lehmberg 21 eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Im Laufe der Jahre war die Kinderschar auf vier Jungs und vier Mädchen gewachsen. Ich war nach zwei Brüdern und einer Schwester die Vierte im Bunde. Unser Wohnzimmer war gleichzeitig Elternschlafzimmer, Esszimmer und Kinderzimmer, weil für den kleinsten Nachwuchs immer ein Wäschekorb bereitstand. Die Fenster waren nur einfach verglast. So blühten im Winter oft Eisblumen an den Fenstern und auf den Fensterbänken lagen immer Handtücher. Badewanne wurde im Wohnzimmer platziert: Sonnabends wurde das Zimmer dann auch noch zum Badezimmer. Die Badewanne wurde auf einem Gummilaken im Wohnzimmer platziert, das Wasser in einem großen Topf in der Küche heiß gemacht. Es war jedes Mal ein Spaß, denn sobald mein Vater als letzter aus der Wanne stieg, wurde getobt. Das zweite Zimmer war unser Kinder- und Schlafzimmer, in dem im Laufe der Jahre drei Etagenbetten standen. Geheizt wurde nur im Wohnzimmer mit einem Kohleofen, das Kinderzimmer war unbeheizt und hatte auch noch eine Außenwand, die ständig feucht war. Für uns Kinder war es immer ein besonderes Vergnügen, wenn wir die Wand mit den ganzen Mustern eines ausrangierten Tapetenbuches tapezieren durften. Steinhänger-Flaschen wärmten im Winter: In den kalten Monaten wurden unsere Betten mit Steingutflaschen vorgewärmt. Dafür hatte mein Vater die Steinhäger-Flaschen aus der Eckkneipe Gambrinus organisiert. Die wurden mit Wasser gefüllt und auf dem Ofen warm gehalten, dann zur Schlafenszeit in ein Handtuch gewickelt und ins Bett gelegt. Lehmberg in Kiel - eine Straße mit vielen Geschäften: Am Lehmberg gab es zu der Zeit viele Einzelhandelsgeschäfte und Handwerksbetriebe. Da waren ein Obst- und Gemüseladen und ein Käsegeschäft. Beim Frisör Schneekloth konnten wir durch das Schaufenster dem Meister bei seiner Arbeit zusehen. Meine Brüder waren keine Fans, gab es hier doch nur den Einheitshaarschnitt. Herr Schramm war der Lebensmittelhändler, wo wir oft, auch mit anschreiben, eingekauft haben. Die Fußballfans unserer Familie behaupteten, dass der Besitzer aussah wie der Fußballer Helmut Haller. Für den großen Einkauf ging es zu Merkur am Dreiecksplatz. Darum haben wir uns als Kinder gerissen, ging bei Merkur der Weg zu den Lebensmitteln doch an der Theke mit den losen Bonbons vorbei. Meine großen Brüder haben behauptet, dass man die runtergefallenen Bonbons aufsammeln und behalten darf, weil die ja sonst weggeschmissen werden. Da wurde dann auch schon mal nachgeholfen. Es gab einen Pferdeschlachter und ein Fischgeschäft, das Lotto- und Zigarettengeschäft mit Romanverleih, drei Kneipen, einen Kohlenhändler, eine Tischlerei und den Glaser Petersen, der so manche Scheibe aus dem Mietshaus Lehmberg 21a ersetzen musste, wenn die Jungs auf dem Hof mal wieder zu heftig Fußball gespielt hatten. Die Lohntüte wurde sehnsüchtig erwartet: Mein Vater hat als Maurer auf dem Bau gearbeitet, und immer am Freitag wurde die Lohntüte sehnsüchtig erwartet. Dann gab es zur Feier des Tages für meinen Vater ein großes Stück Fleisch. Und groß musste das Stück auch sein, standen doch viele kleine, bettelnde Münder um ihn herum. Zu Weihnachten gab es zu der Lohntüte noch 20 D-Mark und einen neuen Zollstock. Unsere Kindheit hat sich meist draußen abgespielt. Ganz viel Zeit haben wir auf dem Spielplatz am unteren Ende des Lehmbergs verbracht. Da musste dann auch mein Bruder den Nachmittag mit gebrochenem Schlüsselbein auf der Parkbank ausharren, weil wir noch nicht fertig waren mit dem Spielen. Die Klinik Lubinus in der Brunswiker war oft ein Anlaufpunkt unserer Familie, wenn es um Knochenbrüche, Löcher im Kopf oder Gehirnerschütterungen ging. Oder wir haben auf der Baustelle mit Glaswolle gespielt, in der es sich so herrlich toben ließ. Da hatten meine Eltern abends dann alle Hände voll zu tun, die Schmerzen der juckenden Körper zu lindern. Sommerzeit war Planschbeckenzeit in Kiel: Sommerzeit war Planschbeckenzeit im Hohenzollernpark. Ein Fest war es, wenn es dann bei Eis-Weise in der Gutenbergstraße für zehn Pfennige noch eine Kugel Eis gab. Sonntags ging es oftmals zum Alten Botanischen Garten, an den Hafen oder zu Fuß zu Oma und Opa in die Lüdemannstraße. Es war immer eine große Herausforderung für meine Eltern, dass wir Kinder bis zur Ankunft bei meinen Großeltern sauber blieben. Der Weg in die Lüdemannstraße war nämlich ein zu großes Abenteuer, da ging es durch den Hohenzollernpark, vorbei an mindestens zwei Spielplätzen, durch Wohnstraßen mit Mauern zum Klettern und dann auch noch durch den Schützenpark. Kurz vor dem Ziel wurden dann Hände und Münder noch mal inspiziert, und wenn dann das Taschentuch gezückt wurde, gab es kein Zurück mehr. Ein großer Glücksfall war, dass die Eltern meines Vaters uns 1966 einen Teil ihres Grundstückes in Meimersdorf überlassen haben und mein Vater mit viel Eigenleistung und Hilfe der Familie uns ein Haus gebaut hat. So ging es 1968 für uns alle aufs Land, wo sich eine glückliche Kindheit fortsetzte. Lesen Sie auch: So war das damals in Kiel: Elisabeth Hellriegel über eine Kindheit voller Entbehrungen KN-Aktion: Leser erzählen aus Ihrer Jugend in Kiel Weitere aktuelle Nachrichten aus Kiel finden Sie hier. Von Susanne Brockmann

So war das damals in Kiel - Das Wohnzimmer wurde zum Badezimmer