Stolpersteine in Kiel: Als Jörg Brüggemann zu putzen begann

Auch Jörg Brüggemann hält sie für „eine brillante Form des Gedenkens. Kein erhobener Zeigefinger, keine großen Gedenkstätten die man extra um des Gedenkens willen bereisen muss. Nur ein kleiner Stein, mitten in der Stadt, an einem ehemaligen Tatort.“ Aber das ist nicht der einzige Grund, warum der 37-Jährige gern mal in die Knie geht und sie wieder zum Glänzen bringt. Vor etwa fünf Jahren begannen zum ersten Mal seine Gedanken um Stolpersteine zu kreisen, wenn er an einem vorbeikam. Meistens blieb er kurz stehen, las die Inschrift, legte seinen Kopf in den Nacken und sah sich das Gebäude an, vor dem er lag. „Oft stellte ich dann fest, dass ich einen Kloß im Hals hatte“, beschreibt der studierte Medienproduzent sein Gefühl. Doch erst 2016 gärte es so richtig in ihm. „Die Vorstellung, dass hier Leute einfach so mitten aus dem Leben gerissen wurde. Dass ein Mensch oder die ganze Familie unschuldig aus ihrer Wohnung gezerrt wurde, um später ermordet zu werden“ ließ ihn nicht mehr los. Dazu kam die schlichte Tatsache, dass es ihm an Bewegung mangelte. Da war das Putzen der Stolpersteine genau die richtige Motivation für seine städtischen Radtouren. Doch bevor er aktiv wurde, recherchierte der „Büromensch“ erst einmal gründlich über Putztechniken und Stolpersteine in Kiel. Schließlich erstellte er sich mit Hilfe von Google maps eine eigene Karte, auf der alle Steine verzeichnet sind. Dann legte er noch einen Blog bei tumblr unter dem Titel „Glanz kein wenig“ an, wo er Infos über seine Intention und die Stolpersteine verfasste. Der erste sollte allerdings der sein, der direkt vor seiner Haustür im Sophienblatt liegt. Am Todestag der auf dem Stein vermerkten Person wollte der gebürtige Rheinländer loslegen, „ihm wieder zu altem Glanz zu verhelfen.“ Den Termin verpasste er, aber die Idee blieb. Das Projekt geht auf den Kölner Künstler Gunter Demnig zurück, dessen Intention es war, den Opfern ihre Namen zurückzugeben: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ In Kiel wurden im Oktober 2006 auf Initiative der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Abstimmung mit der Landeshauptstadt Kiel die ersten 15 Stolpersteine für jüdische Opfer verlegt. Mittlerweile sind es 225 Stück. Der letzte wurde im April 2016 verlegt. Besonderheit des Kieler Stolperstein-Projekts: Seit 2008 übernehmen Schüler verschiedener Kieler Schulen Patenschaften für einzelne Stolpersteine. „Grundsätzlich werden die beteiligten Schüler gebeten, sich um ,ihre’ Steine zu kümmern und sie einmal im Jahr zu putzen sowie die Aufgabe an nachfolgende Klassen weiterzugeben. Manche Steine werden auch von Anwohnern geputzt“, heißt es von der Stadt zur Pflege der Steine. Doch die Realität sieht anders aus, weiß Jörg Brüggemann. „Ich habe mittlerweile einige Steine in Kiel gesehen und festgestellt, das keiner so aussieht, als hätte er einen aktiven Paten. Die meisten glänzten nicht mehr, sondern waren dunkel und stumpf, oft fast schwarz.“ Am 4. August 2016 trat er dann schließlich mit seinem Rucksack voller Putzmittel vor die Tür. Mit Messingpolitur, Mikrofasertuch, einem Topfschwamm und Messingreiniger, einem dicken Pinsel für Staub und Steinchen, Geschirrhandtuch und Wurzelbürste legte er los. Später kam noch eine Knieunterlage dazu, weil er merkte, wie anstrengend es ist, auf Knien zu arbeiten. Inzwischen leuchtet es auf seiner Karte schon 27 Mal grün auf – für geputzt. Der Rest ist noch rot. „Mal sehen, wie lange es dauert, ob ich wirklich alle schaffe und ob ich am Ende vielleicht den einen oder anderen dazu motiviere, selbst ab und zu einmal einen Stein aufzupolieren“, hofft er auch, andere zu motivieren. Denn auch wenn er es schaffen sollte, alle zu putzen: „Zweimal mache ich das nicht.“ Weitere Informationen finden Sie hier.

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