Wildgehege am Kanal: Der weiße Hirsch aus Suchsdorf

„Er weiß natürlich nicht, dass er anders aussieht. In unserem Rudel im Suchsdorfer Wildgehege mit derzeit 13 Tieren ist der weiße Hirsch die Nummer zwei in der Rangfolge“, berichtet Ole Pöhls vom Grünflächenamt der Stadt. Mit seinen Kollegen betreut er rund 250 Tiere in den fünf Kieler Wildgehegen. Dem Suchsdorfer Schönling haben sie bisher keinen Namen gegeben. Die blonde Haarfarbe würde natürlich reizen, ihm einen Spitznamen zu verpassen. Denn in der Natur kommen weiße Damhirsche nicht oft vor: In manchen Forsten etwa im Kreis Segeberg wird die weiße Spielart des Europäischen Damwildes fast nie gesichtet, im Kreis Plön hingegen doch hin und wieder. „In Wildparks werden sie dagegen gerne gehalten, denn sie fallen unter den normalerweise rot-braunen Artgenossen sofort auf“, berichtet der Tierpfleger. Vater und Mutter waren beide weiß: Das Suchsdorfer Exemplar stammt ebenfalls aus einer Zuchtherde, die vor einigen Jahren im Gehege Uhlenkrog für Nachwuchs sorgte. Dort leben mehrere dieser auffälligen weißen Tiere, erzählt Ole Pöhls. „Sein Vater und seine Mutter sind beide weiß. Als der Halbwüchsige älter wurde, haben wir ihn nach Suchsdorf gebracht, um blutige Auseinandersetzungen mit den älteren Hirschen während der Brunftzeit zu vermeiden.“ Inzwischen hat das fünfjährige Männchen schon ein ordentliches Geweih entwickelt, mit dem es sich unter anderem gegen vorlaute Mufflons im Gehege durchsetzen kann. Wenn die Pfleger leckere Pellets als zusätzliches, kalorienarmes Futter verteilen, tun sie das auch, um zu kontrollieren, ob es den Tieren gut geht. „Wir sind hier jeden Tag unterwegs und haben ein Auge auf sie.“ Nachwuchs kündigt sich an: Auch auf den Nachwuchs, der im Sommer zur Welt kommt: „Wir gehen davon aus, dass die Hirschkühe in diesem Jahr vier Junge bekommen haben – ein weißes ist übrigens nicht darunter, auch wenn der weiße Damhirsch als eines von drei Männchen der Vater sein könnte“, berichtet Pöhls. Weil die Jungtiere meist hinter Hecken und in hohen Brennnesseln versteckt werden, bekommen die Besucher sie zunächst nicht zu sehen. Die Hirschkuh säugt ihr Junges etwa vier Monate lang. Die Schönheit der Weißlinge geht übrigens auf eine genetische Mutation zurück, die diese Fehlfarbe durch einen Mangel an farbstoffbildenden Melanocyten verursacht. „Albinotische“ Damhirsche haben normalerweise eine normale, braune Augenfarbe, Albinos mit roten Augen kommen dagegen extrem selten vor. In manchen Landstrichen Deutschlands gelten weiße Hirsche als besonders kostbar, etwa in Hessen. Dort haben sich Behörden, Naturschützer, Landwirte und Jäger dafür eingesetzt, dass sie nicht geschossen werden, weil sie etwas Besonderes seien. Zudem kursiert vor allem unter älteren Jägern der Aberglaube, dass derjenige, der einen weißen Hirsch tötet, selbst binnen eines Jahres stirbt. Viele verschonen deshalb die schönen Tiere. Mythische Kraft weißer Hirsche: Tatsächlich wird die mythische Kraft der weißen Hirsche schon seit Jahrhunderten beschworen. Im Schamanismus und in keltischen Geschichten etwa gilt er als Reittier in die „Anderswelt“, also ins Jenseits. Es geht aber auch profaner: Die edle Erscheinung des besonderen Wildes haben viele Luxushotels vom Allgäu bis in den Harz aufgegriffen, die den weißen Hirschen in ihrem Namen tragen. Dem Suchsdorfer Exemplar scheinen die menschlichen Interpretationen nicht zu jucken. Sein Hauptinteresse gilt den leckeren Gräsern, Blättern, Knospen und Früchten im Wildgehege. Den Spaziergängern und Gassi-Gehern gegenüber zeigt er sich übrigens recht selbstbewusst: Selbst von Hunden lässt er sich beim Grasen in unmittelbarer Nähe zum Wildzaun nicht aus der Ruhe bringen. Mehr aus Kiel lesen Sie hier.