Wohnungsbau in Kiel: Ulf Kämpfer und Gerwin Stöcken im Interview

Oberbürgermeister Ulf Kämpfer und Sozialdezernent Gerwin Stöcken (beide SPD) empfangen im Amtszimmer des Stadtobersten – und entwerfen im Interview eine Prognose: Sie erwarten, dass sich dieses Jahr die Lage auf dem Wohnungsmarkt erstmals leicht entspannt. Herr Kämpfer, Herr Stöcken, wie hat sich im gerade vergangenen, von Corona überschatteten Jahr, der Kieler Wohnungsmarkt entwickelt? Kämpfer: Wir haben mehr als 1800 Wohnungen genehmigt, die beste Zahl seit Jahrzehnten. Zudem stehen mehr als 1000 weitere Anträge aus. Und: Weit mehr als 1000 sind im Bau. Das ist die von uns gewünschte Dynamik. Wenn wir das Tempo beibehalten, können wir bis 2030 den Bedarf decken. Lesen Sie auch: Kiel bleibt noch lange Landesbaustadt Sie haben für dieses Jahr angekündigt, dass es erstmals eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt geben wird. Bleibt es dabei? Stöcken: Man muss stark unterscheiden. Für suchende Wohnungslose bleibt es schwer. Der Markt sondert sie genauso aus wie von Gewalt betroffene Frauen. Und Vermieter nehmen nicht so gerne Geflüchtete. Für diese Menschen müssen wir uns besonders anstrengen. Wer lediglich eine bessere Wohnung sucht, für den wird es leichter. Wie sieht bei diesen 1800 Wohnungen die Sozialwohnungsquote aus? Die Stadt peilt stets 30 Prozent an. Stöcken: Wir sind bei 25 bis 28 Prozent. Kämpfer: Unser Ziel gilt dort, wo wir Zugriff haben. Also für Projekte, wo wir einen Bebauungsplan machen oder Grundstücke verkaufen. Was tun Sie sonst für die schwächeren Gruppen, die es weiterhin schwer haben? Kämpfer: Wir bauen beispielsweise ein zweites Frauenhaus und haben neue Obdachlosen-Container in der Arkonastraße ... Stöcken: ... dazu gibt es ein erweitertes Container-Angebot in der Adolf-Westphal-Straße und die Renovierung des Bodelschwingh-Hauses, unsere Obdachlosen-Notunterkunft. Aber es bleibt eine Basis-Versorgung. Wir wünschen uns mehr. In der Arkonastraße schaffen wir Wohnraum für osteuropäische Arbeitsmigranten, die derzeit nichts finden. Kämpfer: Und für Studierende gibt es eine ganze Menge Bauprojekte, frei finanziert oder öffentlich gefördert. Die IG Bau beklagt, dass etliche barrierefreie Seniorenwohnungen in Kiel fehlen. Ist das tatsächlich ein Problem? Stöcken: Jeder Neubau erhält barrierearme Wohnungen für Rollatoren-Nutzer – wie am Gisela-Hagemann- oder Anscharpark. Große Nachfrage kompletter Barrierefreiheit besteht kaum. Eine Herausforderung ist es, bestehenden Wohnraum anzupassen, zum Beispiel mit Aufzügen. Da fehlen Fördermöglichkeiten. Außerdem herrscht Frust bei jungen Familien auf der Suche nach dem Eigenheim. Kämpfer: Ja, da fehlen uns Ventile. Da müssen wir auf Arbeitsteilung mit den Umlandgemeinden vertrauen, weil wir auf unseren Flächen eher auf Geschosswohnungsbau setzen. Zum Lebenslauf passt es ja, in Kiel aufzuwachsen oder zu studieren, außerhalb im Einfamilienhaus zu wohnen und als Best Ager zurückzukommen. Aber im Kieler Süden wird Mitte des Jahrzehnts Raum für Reihen- und Einfamilienhäuser entstehen. Alte Menschen leben oft allein im großen Haus, junge in der manchmal zu engen Stadtwohnung: Gibt es kommunale Projekte für die Idee, Häuser und Wohnungen zu tauschen? Stöcken: Es gibt Entwürfe; aber noch viele Probleme, weil sich alte Menschen nach dem Abbezahlen des Hauses nicht mehr dem Mietmarkt unterwerfen wollen. Aber in der nördlichen Innenstadt locken Kultur und Versorgung längst wieder viele Menschen im Alter. Wie harmoniert das mit dem Bevölkerungswachstum, das zuletzt deutlich abflachte? Kämpfer: Unsere Zahlen ergeben, dass mindestens Kiel und die Umlandgemeinden attraktiv bleiben. In der Umlandkooperation wollen wir daher gemeinsam den Bedarf abdecken. Die Prognosen vor ein paar Jahren mit einem Wachstum um 25.000 Menschen für Kiel werden sich aber nicht bewahrheiten. Wir erwarten jetzt drei bis fünf Prozent Wachstum bis 2030. Stöcken: Derzeit stagniert die Bevölkerungszahl. Aber wir wollen wachsen. Daher müssen wir Wohnungen schaffen, weil eben auch immer mehr Leute alleine leben wollen. Einfamilienhäuser helfen kaum – es sei denn, wir bauen den Rathausplatz voll. (beide lachen) Nutzt die Stadt ihre Werkzeuge ausreichend? Bei der Kiwog zweifeln das Kritiker aus der Kommunalpolitik an. Stöcken: Die Kiwog hat drei Aufgaben: Neu bauen – wie auf Marthas Insel, in der Havemeister-, Julius-Leber- und Vaasastraße. Die zweite Aufgabe ist es, Wohnungen aus dem Immobilienkapitalmarkt wieder in geordnete Bahnen zu bringen. Derzeit gibt es Angebote für 200 Einheiten. Und drittens kann die Kiwog zur Stadtentwicklung beitragen. Aber das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht. Quoten bringen weniger als das Geld für Zukäufe. Wir werden in zwei bis drei Jahren 500 Einheiten erreichen und die angepeilten 1000 Wohnungen deutlich früher als in zehn Jahren. Stichwort Stadtteilentwicklung: Ist da etwas in Planung? Kämpfer: Die Kiwog ist derzeit in Alt-Ellerbek aktiv und überdenkt eine größere Quartiersentwicklung. Es werden treuhänderisch Verhandlungen für den Ankauf geführt. Stöcken: Auch hier behindern uns allerdings überkommene Planungsrechte, zum Beispiel im Lärmschutz. Die Lage ist extrem kompliziert. Welche Veränderungen wünschen Sie sich? Kämpfer: Eine Lärm-Experimentierklausel würden wir in der Innenstadt gerne nutzen. Perspektivisch könnten wir in Obergeschossen Gewerbe- in Wohnraum umwandeln. Bei Mietpreis- und Kappungsgrenze hat das Land uns im Regen stehen lassen – wir hoffen, dass es beim Erschweren der Umwandlung von Altmiet- in Eigentumswohnungen nicht wieder so läuft. Stöcken: Das Land muss sich deutlich positionieren, weil ein angespannter Wohnungsmarkt nicht alles regelt, insbesondere für die Schwachen. Da ist die Marktverliebtheit der schwarz-grün-gelben Regierung nicht angemessen.