Wolf Mogensen aus Kiel wird 80: In der Fleischerei steht die Zeit still

„Ich bin hier geboren, und ich will hier auch rausgetragen werden“, sind seine ersten Worte, als er das ehemalige Briefmarkenzimmer betritt, um ein wenig über sein bewegtes Leben zu erzählen. Bis 2014 traf er sich hier alle zwei Wochen dienstags für zwei Stunden mit rund 15 Briefmarkenfreunden. An den Wänden hängen unzählige blaue Sammelteller, Zeitungsartikel über sein Geschäft und natürlich Fotos. Sie alle sind Beweise seiner Sammelleidenschaft. Wegschmeißen ist einfach nicht sein Ding. Genauso wenig wie untätig herumsitzen. Noch immer steht er hinten im Schlachthaus und kocht für den Mittagstisch. Klassisch-deftige Hausmannskost wie Rinderrouladen, Königsberger Klopse, Putengeschnetzeltes, Kartoffelsuppe, Rübenmus, Grünkohl oder Labskaus. „Der Rekord liegt bei 150 Kilo Labskaus, die schon mittags weg waren“, erzählt er. Schließlich käme die Kundschaft von überall her. Die Schlachterei Mogensen blickt auf eine lange Tradition zurück: 1884 wurde die Schlachterei von seinem Urgroßvater Johannes in Kiel gegründet. Kurz darauf zog das Unternehmen nach Holtenau in die Königsstraße. 1910 hat die Familie das Haus gebaut, in der sich heute noch die Schlachterei befindet. Hier wuchs der kleine Wolf überwiegend bei seinen Großeltern auf, da der Vater erst 1950 aus der Gefangenschaft zurückkam. Schon als Kind packte er gerne mit an. „Meine Kindheit in Holtenau war schön“, sagt Mogensen. Auch wenn nach dem Krieg etwa 50 Kinder in einer Klasse saßen und sein Opa Wilhelm ihm jeden Tag zwei Briketts zum Heizen mitgab. Danach wurde irgendwo gespielt. „Wenn ich um 18 Uhr nicht zu Hause war, wurde Wölfi gerufen.“ Es war die Zeit, als die Kanalstraße noch eine Einkaufsstraße war mit rund 30 Geschäften, Kino und Tanzsaal. Mogensen hat dem Wandel getrotzt. Im Hinterhof stapeln sich wie einst die Räucherspäne für die nächsten drei Monate. Die große Hauswand zieren markante Holtenauer Bauwerke wie der Leuchtturm und die Hochbrücke – ein weiteres Steckenpferd Mogensens. Das Schlachthaus im Flachbau hat noch die Fenster von 1910, und auch sonst wurde wenig verändert. Über der Eingangstür hängen zwei Hörner. „Den Bullen habe ich selbst geschlachtet“, erinnert er sich an seine dreijährige Ausbildung bei Habermann in Preetz. 1960 stieg er dann in das Geschäft seines Vaters mit ein, aber nur kurz. Bereits anderthalb Jahre später musste er zur Bundeswehr – erst in Pinneberg, dann in Schleswig. 1965 hieß es: Die Bäckermeistertochter heiratet den Schlachtermeistersohn – ein großes Ereignis in Holtenau. 1984 machte er seinen Schlachtermeister per Abendschule. Erst 1990 überschrieb sein Vater Werner ihm den Betrieb. Von morgens bis abends, manchmal bis zu 16 Stunden am Tag, arbeiteten die beiden. Sie an vorderster Front im Verkauf, er im Hintergrund in der Schlachterei. „Sie hat das alles mit mir hochgehalten“, sagt er. Bei Mogensen wird fast alles noch selbst gemacht: Im Schlachthaus steht sein älterer Sohn Jan, der seit zehn Jahren in sechster Generation den Betrieb übernommen hat, und verarbeitet die gerade angekommene Fleischlieferung. Pökeln, räuchern, kochen, einlegen – bei Mogensen wird fast alles noch selbst gemacht, alleine mehr als 100 Wurstsorten umfasst das Sortiment. „So, wie ich das gelernt habe, machen wir es heute noch“, sagt Wolf Mogensen. Den Räucherofen belegen gerade Mogensens Spezialitäten, die Schleusentampen in zahlreichen Geschmacksrichtungen wie Käse, Schafskäse, Rotwein, Whisky, Fenchel, Pfeffer oder scharfe Peperoni. Der Sohn bereichert das Knacker-Sortiment mit exotischeren Varianten wie Schokolade, Rum, Gummibären, Lakritz, Lavendel, Marzipan, Pfefferminzlikör und vieles mehr. Vor etwa 30 Jahren hat die Grüne Woche in Berlin seine Fantasie beflügelt. „Da gab es Knacker mit Backpflaumen oder Rosinen“, sagt der 55-Jährige. Wolf Mogensen kommt mit den Ideen seines Sohnes offensichtlich gut zurecht. Auch wenn Wolf Mogensen sich inzwischen ab mittags ausruht – ganz aufzuhören, das kann er sich einfach nicht vorstellen. Was er denn an seinem Geburtstag machen möchte? „Wieso, was ist denn da?“, fragt er spitzbübisch zurück. „Normalerweise hätten wir in der Waffenschmiede groß gefeiert“, sagt seine Frau leicht enttäuscht. Und wenn er sich etwas wünschen dürfte? „Ich würde genau das Gleiche wollen: meine Frau und die beiden Kinder.“