"Wir erleben einen Quantensprung"

Der Kieler Jens T. Kowalski (57) habilitierte in Medizinpsychologie, begleitete Auslandseinsätze der Bundeswehr im Kosovo und in Afrika. Er forschte in den USA, leitete mal die Kieler Trauma-Ambulanz der Medizinpsychologie der CAU und ein Forschungszentrum in Berlin. Und das sind nur einige seiner beruflichen Stationen. Kieler Nachrichten: Corona hat uns 2020 vor große Herausforderungen gestellt. Welche Folgen hatte das für Sie am Ausbildungszentrum in Altenholz? Privatdozent Jens T. Kowalski: Die Pandemie begann für uns am Freitag, 13. März. Ich habe meinen Urlaub abgebrochen, kam frisch aus Amerika zurück. Wir haben am Freitag gleich die Hochschule geschlossen. Am Montag gab es ein Betretungsverbot für die ganze Liegenschaft. Alles war zu, keine Studierenden mehr da. Wir waren überhaupt nicht auf Homeoffice eingestellt. Es gab zwar eine Dienstvereinbarung mit dem Personalrat – Homeoffice hatten aber bis dahin nur sieben Mitarbeiter genutzt. Innerhalb von Stunden haben wir das ganze AZV dann auf Fernsteuerung umgestellt, hatten von heute auf morgen 180 Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice. Dank einer Riesenleistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren wir innerhalb einer Woche arbeitsfähig. Zum Glück haben wir eine eigene IT-Abteilung, die rund um die Uhr dafür gearbeitet hat. Dann konnten wir kommunizieren, die Studierenden konnten zum Beispiel die Lehrverwaltung erreichen. Wie haben Sie dann die Lehre organisiert? Wir haben eine Arbeitsgruppe Wissenstransfer aufgestellt, für die Umsetzung der Distanzlehre. Das ist von Fachbereich zu Fachbereich etwas unterschiedlich gehandhabt worden. Anfangs haben wir zunächst nur mit Dokumenten gearbeitet, die wir an die Studierenden zur Bearbeitung weitergeleitet haben. Es war aber klar, dass wir uns damit nicht langfristig über die Zeit retten können. Es drängte auch, weil unsere Abschlüsse im Juni, Juli waren. Die Fachbereiche haben dann erst die Lehrenden im Fernunterricht geschult. Gleichzeitig haben wir die erforderliche Technik aufgebaut. Haben versucht, alles zu beschaffen, zum Beispiel Laptops, Webcams und Headphones. Wobei der Markt leergefegt war, die Preise explodierten. Wir wurden aber vom Land mit einer hohen Fördersumme für die Digitalisierung unterstützt, um diese unerwarteten finanziellen Belastungen bewältigen zu können. Wie lief es unter diesen Umständen mit den Prüfungen? Die haben wir weiterhin im Präsenzbetrieb durchgeführt – was schwierig war, wegen der Hygienevoraussetzungen. Wir können nicht mit 200 Polizisten eine Klausur schreiben und dabei die notwendigen Abstände einhalten: Dafür fehlen uns die Räume. Daher haben wir die Prüfungen in der Anfangsphase weitgehend in die Dienststellen verlegt. Weil die Prüfungsordnungen gewisse Anforderungen enthalten, können wir nicht einfach statt Präsenz- Online-Prüfungen durchführen. Da haben wir unglaublich gut mit den Dienstherren zusammengearbeitet: zum Beispiel mit den Polizeidienststellen, den Finanzämtern und den Kommunen. Die haben uns großes Vertrauen entgegengebracht. So musste tatsächlich keine einzige Prüfung ausfallen, sowohl an der Hochschule als auch in der Verwaltungsakademie. Wie ist die Lage am Ausbildungszentrum aktuell? Unser Ziel war immer, so weit wie möglich in die Präsenzlehre zurückzukehren. Es ist schwierig für die Studienanfänger, wenn sie die Dozenten und die Kommilitonen gar nicht persönlich kennenlernen. Wir haben daher von Mitte August bis Mitte September die Neuen in 14-Tage-Abschnitten hierher geholt, unter strengen Hygienebedingungen. So haben sie sich zumindest mal kennengelernt. Aber seit Anfang Dezember arbeiten wir wieder als Fernhochschule. Ich persönlich erwarte, dass das Wintersemester noch komplett digital abläuft, ebenso die Ausbildung in der Verwaltungsakademie. An Unis gab es sogenannte Freischuss-Regelungen, bei denen eine nicht bestandene Prüfung einfach als nicht abgelegt gilt. Gab es das hier auch? Wir unterscheiden uns von den normalen Hochschulen, haben ein sehr enges Zeitraster. Unsere Studierenden sind in einem Dienstverhältnis. Die müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Abschluss vorweisen. Wir können nicht sagen: Du bleibst weiter an der Hochschule. Die Studierenden sind ja im Vorbereitungsdienst und müssen einem bestimmten Stichtag ihren Bachelor oder ihr Diplom haben. Zumal die Absolventen ja erwartet werden – Polizisten zum Beispiel. Genau, wir können nicht einfach ein Semester ausfallen lassen. Die Dienststellen warten jedes Jahr auf 250 Polizisten. Das Finanzamt wartet auf 120 Steuerbeamte. Die ersetzen die Kolleginnen und Kollegen, die in den Ruhestand gehen. Welche Folgen hat der demografische Wandel für die Verwaltungen? Die Einstellungszahlen steigen. Wir als Hochschule sind nicht die, die auswählen und über die Einstellungszahlen entscheiden. Sondern die Dienstherren, das Land, die Kommunen und die Deutsche Rentenversicherung, sagen: Wir brauchen im nächsten Jahr 200 Leute mehr, weil andere in den Ruhestand gehen. Wir haben dann die Verpflichtung, sie auszubilden. Daher haben wir in den letzten Jahren erheblich mehr Lehrpersonal eingestellt. Juristen, Ökonomen, Sozialwissenschaftler – was nicht ganz leicht ist. Der Markt für Fachleute mit Verwaltungskenntnissen ist eng. Da stehen wir in Konkurrenz mit vielen anderen Arbeitgebern. Verwaltung boomt also, obwohl dieser Bereich auch ein Imageproblem hat? Ja – ich glaube auch, dass der öffentliche Dienst durch Corona an Attraktivität gewonnen hat. Weil er Arbeitsplatz-Sicherheit bietet – das hat wieder einen höheren Stellenwert. Aber auch, weil sich der öffentliche Dienst ändert. Er muss viel wandelbarer und flexibler sein. Das Berufsbild und das Selbstverständnis ändern sich. Sodass die jungen Leute durch modernes, schnelles Verwaltungshandeln angezogen werden. Was sind wichtige neue Themen im Bereich Verwaltung? Im Moment natürlich die Digitalisierung. Wir erleben hier einen Quantensprung. Entscheidungsprozesse werden viel mehr auf Daten abgestützt. Digitalisierung heißt dabei nicht einfach Technik einsetzen, sondern dass sich Abläufe und Prozesse insgesamt verändern. Man hat es mit Daten zu tun, die bewertet werden müssen. Das erfordert ganz andere, neue Kompetenzen. Auch die Kooperation der Mitarbeiter miteinander ändert sich: Sie müssen viel schneller und viel intensiver miteinander kommunizieren können. Das müssen wir bereits in der Ausbildung vermitteln. Ich glaube, dass der Wandel in der Verwaltung über die Ausbildung und damit durch die Hochschulen vorangetrieben wird. Wir dürfen nicht nur reagieren, wir müssen mitgestalten. Müssen forschen und Entwicklung vorantreiben. Welche Neuerungen gibt es da? Der Verwaltungs-IT-Dienstleister Dataport hat zum Beispiel eine Stiftungsprofessur zur digitalen Transformation bei uns eingerichtet, die mit Dr. Stefan Raimer besetzt wurde. Es geht darum, junge Verwaltungsbeamte an die Arbeit mit Software heranzuführen, Prozessdenken zu vermitteln. Um zu lernen, wie sie Themen mit moderner Technologie lösen können. Die Bereitschaft zur Veränderung und zu einer ständigen Evaluation von Abläufen ändert sich im Moment stark. Das müssen wir in der Lehre aufnehmen. In Verwaltungen könnte sich also in absehbarer Zeit etwas ändern? Das denke ich. Es muss sich schon bei der Personalauswahl abbilden: Man muss nach anderen Kriterien fragen, schauen, welches Kompetenzprofil die Mitarbeiter einer Verwaltung künftig haben müssen. Es liegt also auch an den Verwaltungsspitzen, die Weichen entsprechend zu stellen. Genau. Wir haben einen riesigen Personalkörper lebensälterer Kollegen. Die müssen wir auch mitnehmen. In einer Geschwindigkeit, die von ihnen akzeptiert werden kann. Viele wollen das auch – sie sind neugierig und hochmotiviert. Wir als Bildungseinrichtung müssen neue, passende Angebote machen. Zum Beispiel über unser Fortbildungszentrum „Komma“. Ich denke da zum Beispiel an Micro-Learning – also kleine Elemente, die im täglichen Leben eingebaut werden. Dass wir in Deutschland so vergleichsweise gut durch die Krise gekommen sind, liegt nach meiner Einschätzung auch daran, dass wir eine sehr leistungsfähige Verwaltung haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier Leute ausbilden, die ihren Job beherrschen und flexibel auf neue und komplexe Situationen reagieren können. Ich wünsche mir auch, dass die Kollegen stolz sind auf das, was sie machen. Verwaltung ist wichtig, damit der Staat in solchen Krisen überhaupt funktionieren kann. Ein Thema in Altenholz ist auch die Raumnot der Fachhochschule. Gibt es da Lösungen? Das hat sich durch die Digitalisierung deutlich verändert. Es gibt mehr Bereitschaft zu Homeoffice. Das bedeutet, wir müssen unseren Raumbedarf noch mal neu überdenken. Aber das erfordert auch neue Bürokonzepte – kann ich flexiblere Büroräume nutzen? Wir strukturieren es zurzeit so, dass wir teilweise im Online-Betrieb, teilweise im Präsenzbetrieb arbeiten werden. Das hilft uns – und wäre ohne Corona so schnell nicht passiert. Es ist wichtig, diese Erfahrungen auch in der Nach-Corona-Zeit sinnvoll zu nutzen. Ein Erweiterungsbau ist also nicht mehr erforderlich? Doch. Wir wollen aber gemeinsam mit Dataport Flächen nutzen und hier einen Campus aufbauen. Ein Zentrum für Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung! Schließlich haben wir hier den großen IT-Anbieter Dataport und eine Hochschule, die die Weiterentwicklungen sofort als Bildungsträger in die Köpfe der Leute bringen kann. Es gibt die Idee, gemeinsam Räume zu nutzen und Bildungsangebote zu machen. Das Areal müssen wir natürlich nachhaltig und ökologisch nutzen. Wir brauchen ein vernünftiges Verkehrskonzept und eine Parklösung – das haben wir verstanden. Da sind wir in engem Austausch mit dem Bürgermeister und der Politik. Der Platz reicht also noch nicht? Nein, nicht nur wir, auch Dataport wächst weiter. Und die Studierenden-Zahl, die wir haben, wird die nächsten Jahre noch bleiben. Wir sind und bleiben eine Präsenz-Hochschule, selbst wenn wir das sicher auch künftig durch Distanzformate unterstützen werden. Bei Ihnen lehren zu 40 Prozent Nebenamtler, zum Beispiel Praktiker aus den Verwaltungen. Für die sind die aktuellen Lehrbedingungen vermutlich nicht einfach? Für sie ist es besonders schwer. Die meisten arbeiten nur sehr punktuell in der Lehre, müssen sich jetzt noch zusätzlich auf neue didaktische Konzepte und Online-Lehre einlassen. Da haben wir auch versucht, Angebote zu machen. Haben technische Lösungen geschaffen, bieten hier zum Beispiel Übertragungsräume an. Für viele ist es auch neu, mit der Kamera zu arbeiten. Das steckt hinter dem Ausbildungszentrum für Verwaltung Unter dem Dach des Ausbildungszentrums für Verwaltung (AZV) in Altenholz befindet sich die Fachhochschule, deren Präsident Jens T. Kowalski seit 2018 ist. Die FH hat zwei Standorte. Der zweite mit dem Fachbereich Rentenversicherung liegt in Reinfeld; hier lernen Studierende aus sieben Bundesländern. In Altenholz sind Polizei, Allgemeine Verwaltung und Steuerverwaltung angesiedelt. Außerdem gehört zum AZV „Komma“, das Kompetenzzentrum für Verwaltungsmanagement. Diese Fortbildungseinrichtung gehört organisatorisch zur Hochschule. Außerdem leitet Jens T. Kowalski unter anderem die Verwaltungsakademie in Bordesholm, wo die Mitarbeiter des mittleren Dienstes ausgebildet werden; vor Ort ist ein Studienleiter für den Studienbetrieb verantwortlich. Wachsende Mitarbeiter- und Studierenden-Zahlen: Mittlerweile arbeiten in diesen drei Einrichtungen um die 180 Mitarbeiter: Als Jens T. Kowalski sein Amt im März 2018 antrat, waren es noch 130. Bei der Ausbildung sei man breit aufgestellt, biete von der Berufsausbildung für Verwaltungsfachangestellte bis hin zum Studienabschluss Bachelor oder Diplom die komplette Bandbreite, erklärt er. Aktuell gibt es knapp 1700 Studierende. Größter Fachbereich: die Polizei: Größter Fachbereich ist die Polizei, die jeweils mit 250 bis 270 Studierenden pro Jahrgang startet. In den meisten Bereichen liegt der Frauenanteil leicht vorne. 2021 werden laut Prognose etwa 600 Studierende neu anfangen. In diesem Jahr erwartet man auch den Höchststand an Studierenden. Ausbildung auch in Bordesholm: In Bordesholm werden unter anderem die Abschlussprüfungen für alle Ausbildungsberufe des öffentlichen Dienstes in Schleswig-Holstein abgenommen: zum Beispiel für die Fachangestellten für Bäderbetriebe und Vermessungstechniker. Hier erfolgt auch die dienstbegleitende Unterweisung der angehenden Verwaltungsfachangestellten und die Weiterbildung der Nachwuchskräfte im kommunalen Bereich sowie die Ausbildung von Obersekretär-Anwärtern der Kommunen, des Landes und der Justizverwaltung Schleswig-Holsteins. Das Kompetenzzentrum „Komma“ hatte in den vergangenen Jahren weit mehr als 10000 Seminarteilnehmer. Allerdings sind die Zahlen durch Corona deutlich eingebrochen. „Komma“ war damit am stärksten von den Auswirkungen der Pandemie betroffen.

Ausbildungszentrum Altenholz - "Wir erleben durch Corona Quantensprung"