Eckernförde: Architektin Stefanie Schulte über fehlende Wohnungen

Mit den Projekten Nooröffnung und Schiefkoppel-Süd kommt Bewegung in den Wohnungsmarkt – wird das die Situation entspannen? Stefanie Schulte: Meiner Ansicht nach ist das ein Tropfen auf den heißen Stein und kann die aktuellen Zuzüge nicht kompensieren, wie an der Warteliste der Schiefkoppel-Süd erkennbar ist. Ein weiteres Problem ist das hochpreisige Segment. Es gehen die Menschen unter, die sich weder Eigentumswohnung noch Haus leisten können. Auch die Flächen, die an leistbarem Wohnraum in Eckernförde zur Verfügung stehen, werden zum Beispiel durch Modernisierung zunehmend teurer oder fallen aus der Zweckbindung des sozialen Wohnraums. Die anstehenden Projekte entspannen die Situation nur unzureichend. Wen trifft das? Jüngere Menschen und alle die mit geringem Einkommen, etwa auch Menschen mit Behinderung. Ebenso viele Ältere, die nur über eine kleine Rente verfügen oder nie Eigentum besessen haben, das sie jetzt wandeln könnten. Insgesamt ist die Summe der Betroffenen also recht hoch. Hinzu kommt, dass diese Menschen oft auf eine Wohnraumgröße zugreifen müssen, die in absoluter Konkurrenz zur Ferienwohnungsnutzung steht. Welche? Das sind genau die Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen im Bestand, die im leistbaren Segment gebraucht würden. Wenn solche Wohnungen in Eckernförde leerstehen oder auch neu gebaut werden, entscheiden sich die Eigentümer häufig für die Vermietung an Touristen anstelle von Dauermietern. Für die Stadt ist es nicht einfach, dies zu regulieren oder gar zu verhindern. Und in gewisser Weise ist dieser Zustand auch gewollt und notwendig, da Eckernförde zu einem guten Teil vom Tourismus lebt. Ob das Maß aber noch stimmt, ist fraglich. Wenn es so weitergeht, haben Familien mit Kindern, ältere Einwohner und sogar Normalverdiener über kurz oder lang keine Möglichkeit, geeigneten Wohnraum zu finden. Was wäre die Folge? Die Stadt stirbt aus, das Leben wird anonymer. Bereits jetzt ist der Stadtkern im Winter ohne Touristen sehr ruhig. Meine Befürchtung ist, dass Angebote wie zum Beispiel Freizeitaktivitäten, ein Kino oder die Gastronomie nur auf touristische Bedürfnisse zugeschnitten sind und es sich eines Tages nicht mehr lohnt, etwas für diejenigen vorzuhalten, die die Stadt ausmachen, nämlich die Einwohner. Was fehlt in Eckernförde? Wir hätten kein Wohnraum-Problem, wenn der Bestand adäquat genutzt werden würde. Zum Beispiel werden viele Einfamilienhäuser am Stadtrand häufig nur noch von jeweils einer oder zwei Personen bewohnt. Die Kinder sind aus dem Haus, der Partner vielleicht schon gestorben. Senioren können aus ihren großen Häusern nicht ausziehen, weil sie innerhalb der Stadt keinen alternativen Wohnraum finden. Sie finden nichts Passendes in Eckernförde, weil Wohnungen fehlen oder zu Ferienzwecken genutzt werden. Einer Untersuchung zufolge leben 18 Prozent der Menschen in Deutschland auf zu viel leerstehendem Wohnraum. Wie ist das zu lösen? Andere Städte schaffen sogenannte Quartierslösungen, indem sie in Gebieten mit Einfamilienhäusern aus den 1960er- und 1970er-Jahren, in denen Senioren auf zu großer Fläche leben, Gebäude mit kleineren Wohnungen bauen. Wer seinen zu groß gewordenen Wohnraum verkauft und damit für nachziehende Familien zur Verfügung stellt, erhält den Anspruch darauf, vorrangig eine neue, kleinere Wohnung in seinem bekannten Umfeld zu beziehen. Werden die Flächen der kommenden Bauprojekte optimal genutzt? Meiner Meinung nach nicht. Die Nooröffnung zum Beispiel ist ein sehr attraktives Baugrundstück, das mitten in der Stadt liegt, nah an der Ostsee und am Noor. Anstatt jedoch den maximal möglichen Wohnraum zu errichten, wird eine weitere Wasserfläche geplant. Das Quartier wird ohne Frage sehr attraktiv sein, wohnen werden dort aber vermutlich nur diejenigen, die es sich leisten können. Die wenigen leistbaren Sozialwohnungen kompensieren nicht den Bedarf. Und Schiefkoppel-Süd? Eine gesunde gesellschaftliche Struktur haben wir dann, wenn alle Gruppen einer Bevölkerung mit- und nebeneinander leben. Arm und Reich, Jung und Alt, Menschen mit Handicap und ohne. So etwas wird nicht erreicht, wenn durch deren Bevorzugung fast ausschließlich die Gruppe der Familien, die sich einen Hausbau leisten kann, dort wohnen wird. In zehn bis 15 Jahren haben wir dann erneut ein Gebiet, in dem sogenannte „Best-Ager“ zuviel Wohnfläche zur Verfügung haben. Ohnehin steht in Frage, ob man in einer Stadt immer mehr Randgebiete ausweisen muss, also weiter in die Fläche geht. Abgesehen von ökologischen Aspekten der Versiegelung und des Neubaus an sich muss eine neue Infrastruktur mit Wegen und Leitungen, Buslinien, Nahversorgung und so weiter geschaffen werden, die innerhalb der Stadt längst vorhanden ist. Was meinen Sie damit? Ich denke es wäre sinnvoller, innerstädtisch nachzuverdichten. Also Wohngebäude statt Wasserflächen zu bauen und die knappen Flächen durch Höhe auszunutzen. Warum soll die Kieler Straße Süd zweigeschossig bleiben, während die Kieler Straße Nord schon historisch dreigeschossig sein darf? Wenn kleine alte Gebäude abgerissen werden, muss es die Möglichkeit geben, einen Neubau zu maximieren. Das schafft mehr Wohnraum und ist nachhaltiger. Mit der Entwicklung neuer Bebauungspläne kann zum Beispiel darauf geachtet werden, aus bereits versiegelten Flächen das Maximum herauszuholen. Selbstverständlich immer im Rahmen einer verträglichen Stadtgestalt. Zum Schluss: Welche Rolle spielt der Exer aus Ihrer Sicht? Für mich kommt am Exer eine touristische Nutzung zum Beispiel durch ein Tagungshotel nicht in Frage, denn dieses muss nicht in erster Lage liegen. Es könnte auch am Bahnhof sein. Am Exer ist Platz für eine Nutzung durch die Allgemeinheit und für Wohnungen in der Größe, wie wir sie für die Einwohner brauchen. Dazu müsste diese Fläche aber zum Beispiel durch ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen in städtischer Hand bleiben, denn ein Investor kann dort keine günstigen Mietwohnungen bauen, nachdem er zehn Millionen Euro für das Grundstück bezahlt hat. Vielleicht wäre dies auch über ein Pachtmodell möglich. Es gibt sicher Konstrukte, die andernorts bereits funktionieren und nicht neu erfunden werden müssen. Weitere Nachrichten aus der Region finden Sie hier

Interview - "Auf dem Exer ist Platz für Wohnungen"