Eckernförder Waffenfirma Sig Sauer hat noch bis Mitte 2021 zu tun

Einsam sitzt Werner Budd (63) an seinem Arbeitsplatz in der Montagehalle bei Sig Sauer und arbeitet die letzten Bestellungen ab. Gerade ist er mit einer P226 X-Six Silverdust beschäftigt - ein Sondermodell mit silbrig gehämmertem Lauf, Kaliber neun Millimeter. Im Handel wird die Sportpistole später um die 4000 Euro kosten. Ein Händler hatte 60 Stück davon geordert - und bekommt sie auch noch. Das ist nicht selbstverständlich, denn neue Bauteile werden in dem Traditionsunternehmen an der Eckernförder Sauerstraße seit diesem Monat nicht mehr hergestellt. Stolz auf Qualität und Präzision der Waffen aus Eckernförde: Wo sonst acht Kollegen die Endmontage der Kurzwaffen per Hand übernahmen, ist Sportpistolenmonteur Werner Budd nun allein. Er verarbeitet nur noch das restliche, bereits gefertigte Material - setzt aus Griffstück, Lauf und Verschluss sowie einer Menge weiterer Teile Pistole für Pistole zusammen. Die Qualität und Präzision der Eckernförder Produkte hat die "Saueraner" immer stolz gemacht. Davon berichtet auch Werner Budd, als er mit feinem Werkzeug das Abzugsgewicht der "Silverdust" prüft. "Allein das ist eine Besonderheit der Sig-Sauer-Waffen, bei anderen Herstellern ist das nicht üblich", sagt er. Bei der Arbeit kommt Wehmut auf. "Ganz glücklich bin ich nicht", sagt der Owschlager zurückhaltend. Auf die Frage, wie lange er bei Sauer beschäftigt ist, hat er eine genaue Antwort: 42 Jahre und fünf Monate. "Ich hätte gern noch ein bis zwei Jahre weitergemacht", so Budd. "Ich habe gern hier gearbeitet, die Firma war immer fair zu mir. Das sehen die meisten meiner Kollegen auch so." Sig Sauer verkündete Schließung des Eckernförder Werks im Juni: Er versteht aber auch, dass es Groll gab. "Die jüngeren Kollegen gehen in eine ungewisse Zukunft. Bei Sauer wurden immer gute Löhne gezahlt. Ob das woanders auch so ist?" Als die Konzernführung den 125 Beschäftigten am Standort Eckernförde Anfang Juni mitteilte, dass der Betrieb zum Jahresende eingestellt wird, war auch Werner Budd sprachlos. "Das war erst einmal ein Schock", sagt er. "Aber wir haben uns zusammengerissen, um die Ziele des Unternehmens trotzdem noch zu erreichen. Dafür hat es dann auch eine Prämie gegeben", so Budd. "Jetzt müssen wir uns damit abfinden, dass es zu Ende ist." Budd gehört zu den nicht einmal 20 Saueranern, die das Unternehmen nun abwickeln. "Die Montage läuft noch bis in den Januar", sagt Geschäftsführer Tim Castagne beim Gang durch die gespenstisch ruhigen Hallen. Solange reichen die Teile noch. Transfergesellschaft fängt Sauer-Mitarbeiter auf: Doch darüber hinaus bleibe noch eine Menge zu tun. Das Inventar werde verkauft. Dafür wird nach und nach alles bereitgelegt - vom kleinsten Schraubendreher bis zum meterlangen Dreh- und Fräszentrum. Über vier dieser modernen Maschinen verfügt Sig Sauer. Insgesamt warten dutzende weitere Anlagen in den rund 10.000 Quadratmeter großen Betriebsgebäuden auf ihren Abbau. Um Abnehmer macht Tim Castagne sich keine Sorgen, es gebe eine große Nachfrage. Bis alles erledigt ist, dauere es noch "mindestens bis Mitte 2021", so der Geschäftsführer. Ein Jahr nach dem Beschluss zur Stilllegung werden dann die letzten Lichter gelöscht. Die Mitarbeiter sind nach und nach in eine Transfergesellschaft gewechselt, die sie je nach Betriebszugehörigkeit für sechs bis zwölf Monate auffängt. Das gehe in vielen Fällen über die Kündigungsfristen hinaus, so Castagne. Die Ex-Saueraner erhalten dort noch 80 Prozent ihres Lohns und können sich weiterqualifizieren. Sig Sauer in Eckernförde Opfer des eigenen Erfolgs: "Manche schulen ganz um, andere haben schon eine andere Anstellung gefunden, zum Teil innerhalb des Konzerns", berichtet Castagne. Einige Techniker seien etwa nach Isny im Allgäu gezogen, wo unter dem Traditionsnamen J.P. Sauer & Sohn Jagdwaffen produziert werden. Die letzten knapp 70 Mitarbeiter hatten am 30. November ihren letzten Tag, da sei es noch einmal emotional geworden. "Es wurde viel über die guten alten Zeiten gesprochen", so Tim Castagne. Dem 55-Jährigen falle die Entscheidung der Eigentümer zur Schließung selbst nicht leicht, schließlich sei er seit 2002 mit dem Eckernförder Unternehmen verbunden. "Ich bin einmal hergekommen, um den Laden groß zu machen", sagt Castagne. Ihm gehe ähnlich wie den anderen Mitarbeitern. "Es passiert so gut wie nie, dass ein sonst gesundes Unternehmen geschlossen wird." Sig Sauer in Eckernförde sei in gewisser Hinsicht Opfer seines eigenen Erfolgs. Denn in den 1970er-Jahren habe das Unternehmen begonnen, die Waffen aus dem Ostseebad in Amerika zu vertreiben. "Später wurde dort auch produziert und das Geschäft wuchs schnell, heute gibt es vier Werke in den USA. 2500 Mitarbeiter stellen jährlich eine Million Waffen her." Reglementierung des Waffengeschäfts und juristische Risiken: Im Gegensatz dazu ist das Eckernförder Unternehmen innerhalb der Holding ein Zwerg. "Die brauchen uns nicht mehr." Dem relativ geringen Ertrag stünden zudem die in Deutschland immer stärkere Reglementierung des Waffengeschäfts und juristische Risiken gegenüber. Im Juni hatte die Kieler Staatsanwaltschaft etwa bei Sig Sauer einen Vermögensarrest über mehr als sieben Millionen Euro verhängt. Sie wollte Forderungen aus einem Urteil gegen drei Ex-Manager des Unternehmens wegen illegaler Waffenlieferungen nach Kolumbien sichern. "Die Firma wird aus politischen Gründen geschlossen und nicht, weil die Mitarbeiter etwas falsch gemacht hätten", so Castagne. Deshalb sei es ihm wichtig gewesen, das Beste für die Belegschaft herauszuholen. "Alle haben bis zum Schluss alles gegeben. Das war eine große Leistung, dafür bin ich dankbar", so der Geschäftsführer, der selbst noch nicht weiß, wie es 2021 beruflich für ihn weitergeht. Werner Budd muss sich immerhin keinen neuen Job suchen, wenn er die letzte Pistole montiert hat: "Erst wechsle ich in die Transfergesellschaft und danach abschlagsfrei in Rente." Seit fast 70 Jahren Waffenproduktion in Eckernförde: In Eckernförde werden seit 1951 Waffen hergestellt, und zwar von dem 200 Jahre zuvor im thüringischen Suhl gegründeten Unternehmen Sauer. „J.P. Sauer & Sohn“ ging kurz nach dem Umzug an die Ostsee eine Kooperation mit der Schweizerischen Industriegesellschaft (SIG) ein, daher der Name Sig Sauer. 1974 wurde der Standort Sauerstraße eröffnet. Seit dem Jahr 2000 gehört das Unternehmen zur L&O Holding aus Emsdetten. Ab 2009 schrumpfte das Unternehmen wegen fehlender Aufträge von 450 auf 100 Beschäftigte. Seither gab es bei Sig Sauer mehrere Umstrukturierungen, die Zahl der Mitarbeiter erhöhte sich jedoch nicht mehr wesentlich.