Cannabis in Neumünster: So funktioniert die modernste Indoor-Plantage

Im Kern ist die Plantage ein Gewächshaus: Hier werden Pflanzen angebaut und geerntet. Aber weder draußen noch drinnen lässt irgendetwas ans Gärtnern denken. High-Tech und höchste Sicherheitsvorkehrungen bestimmen die Produktion bei der Aphria RX GmbH in Neumünster. Denn hier wird für medizinische Zwecke Cannabis angebaut - und zwar mit THC, dem Stoff, der beim Haschisch für die berauschende Wirkung sorgt. Der Neubau kurz hinterm Outlet-Center ist noch nicht endgültig bezogen, aber nach der ersten Probeernte – für den Testlauf wurde Agrar-Hanf gezogen – führen die beiden Geschäftsführer Hendrik Knopp und Thorsten Kolisch stolz durch ihr Gebäude. Anfang bis Mitte Dezember soll es mit den richtigen Pflanzen losgehen, und dann wollen sie in ihrer Anlage pro Jahr eine Tonne Cannabisblüten produzieren. Die ersten fertigen Blüten erwarten sie Ende März. Medikament für Schwerkranke: Cannabisblüten werden als Medikament für schwer kranke Menschen benutzt. Sie werden von den Patienten zu Tee oder Keksen verarbeitet oder zum Inhalieren benutzt. Je nach den Anteilen an THC und CBD wirken sie beruhigend und entspannend – zum Beispiel bei Krämpfen oder Epilepsie – oder schmerzlindernd. Aber Cannabis ist eben nicht nur eine Arznei, sondern in Deutschland eine illegale Droge. Cannabisplantagen machen normalerweise Schlagzeilen, weil die Polizei sie hochnimmt und die Betreiber sich strafbar machen. Entsprechend hoch sind auf Anordnung des Bundes die Sicherheitsvorkehrungen bei Aphria. Die Anmeldung ist durch schusssicheres Glas geschützt, Hunderte von Kameras überwachen jeden Winkel des Gebäudes, Wände, Decken und Böden sind aus 24 Zentimeter dickem Stahlbeton gebaut, Körperschallmelder registrieren Erschütterungen und alarmieren direkt die Polizei. Alle rund 40 Mitarbeiter müssen ein einwandfreies Führungszeugnis vorlegen. Hoher technischer Aufwand für Qualität: Gleichzeitig steht in Neumünster „die modernste Indoor-Anlage der Welt“, schwärmt Geschäftsführer Thorsten Kolisch. Seine Blüten sieht er „qualitativ von niemandem geschlagen“. Diesen Anspruch löst Kolisch mit technisch hohem Aufwand ein. Das einzig Organische in seinen Aufzuchtkammern sind die Pflanzen selbst und die Mitarbeiter, die täglich nach ihnen sehen und dabei in drei Schichten Schutzkleidung stecken. Alles andere geben die Techniker dem Hanf vor: Das Wasser wird gereinigt, bis es die Qualität von destilliertem Wasser aufweist. Nährstoffe werden nach einem geheimen Rezept – wie bei Coca Cola – gemischt und über Leitungen an jede einzelne Pflanze verteilt. Künstliches Licht simuliert die Jahreszeiten, die Farbgebung hat ebenso Einfluss auf das Gedeihen wie die Dauer. Die Pflanzen stehen nicht in Erde, sondern in keimfreier Steinwolle. Nachts wird jede der acht Kammern mit Ozon behandelt, um Sporen abzutöten. Wo die geernteten Blüten untersucht, bearbeitet und verpackt werden, herrschen Reinraum-Bedingungen wie bei der Produktion von Computerchips, werden Materialien wie in OP-Sälen verwendet. Viele Vorschriften - auch bei der Verpackung: Die vielen Vorschriften gipfeln in Details beim Verpacken: Aphria-Mitarbeiter werden die Blüten in Dosen zu 50 Gramm verpacken und diese Dosen verschließen. Jede Dose wird dann durch eine Maueröffnung mit Fenster in einen Nebenraum gereicht und dort von anderen Mitarbeitern in Kartons verpackt – damit die Pappe nicht in die Nähe der Blüten kommt. Hinter all dem Aufwand steht die Patientensicherheit, erläutert Co-Geschäftsführer Hendrik Knopp: Jeder Mensch reagiert auf jede Variante in der Verteilung der Wirkstoffe verschieden. Wer eine bestimmt Sorte gut verträgt, soll diese in stets gleicher Qualität immer wieder bekommen. Das erreichen die Cannabis-Gärtner mit standardisierten Methoden und viel Technik. Anbau für vier Jahre gesichert: Wo so viel Aufwand betrieben wird, sichern die Produzenten sich auch gegen alle möglichen Probleme ab. Notstromaggregate überbrücken Netzausfälle, und falls kein Wasser aus der Leitung kommt, kann per vorbereitetem Anschluss welches aus einem Tankwagen gezapft werden. Gesichert ist der Cannabis-Anbau in Neumünster zunächst für vier Jahre. So lange läuft ab Anfang 2021 die Lizenz der Firma, der Bundesrepublik pro Jahr eine Tonne Cannabisblüten zu einem festgesetzten Preis zu liefern. Für die Zeit danach wird der Anbau neu ausgeschrieben. Für manche Zaungäste vielleicht enttäuschend: Sogar die Abluft der Cannabisplantage wird mit Aktivkohlefiltern gereinigt, damit keine Gerüche nach draußen kommen. Kanadischer Hanf-Anbauer: Die Aphria RX GmbH ist eine Tochter der Aphria Deutschland GmbH. Die wiederum gehört zum kanadischen Hanf-Anbauer Aphria Inc. Aphria ist eins von drei Unternehmen, die für die Bundesrepublik Deutschland medizinisches Cannabis anbauen, zusammen produzieren die drei Firmen pro Jahr 2,6 Tonnen. Aphria investiert in Neumünster einen zweistelligen Millionenbetrag in seine Plantage. Die Geschossfläche des Gebäudes beträgt 12.000 Quadratmeter auf zwei Etagen. Der gärtnerische Bereich umfasst rund 3000 Quadratmeter. Neben dem Neubau hat Aphria noch Bauland-Reserven, um diesen Bereich zu verdoppeln. Schon im jetzigen Stadium bietet die Anlage Kapazitäten, die um ein Mehrfaches über der vertraglich gesicherten Ernte von einer Tonne pro Jahr liegen.