Neumünster Kirche in Corona-Zeiten, Vicelinkirche, Bugenhagenkirche

„Folgen Sie der Naschi-Spur“, lautet die Anweisung für Gottesdienst-Besucher in der Neumünsteraner Bugenhagenkirche. Vor dem Eingang in die Kirche markieren weiße Klebestreifen, wo die Gläubigen warten sollen, bis im Durchgang zwischen den Bänken genug Platz ist um einzutreten, ohne jemandem zu nahezukommen. Links am Stehtisch notiert der Küster die Namen der Gottesdienstbesucher, rechts davon gibt ein weißes Kreuz auf dem Boden die Stelle vor, an der Pastorin Maike Windhorn-Stolte steht und die Menschen begrüßt – mit Abstand. Süßigkeiten markieren die Sitzplätze in den Kirchenbänken: Mit „Naschi-Spur“ meint die Theologin die Süßigkeiten, die in den Kirchenbänken verteilt sind: Wo sie liegen, ist ein Sitzplatz, der ausreichend Abstand zu allen Nachbarn lässt. Ein gelber Umschlag für die hygienische Kollekte liegt gleich dabei. Gottesdienste werden in Corona-Zeiten anders gefeiert als sonst. Windhorn-Stolte setzt streng auf Abstand, damit sie Masken vermeiden kann: Zu ihrer Gemeinde gehören viele ältere Menschen, die unter dem Stoff schlecht atmen können. Mitsingen ist nicht erlaubt, in Bugenhagen behelfen sie sich mit Flügel, Orgel oder Band im großen Altarraum zur musikalischen Begleitung. Aber es fehlt doch etwas: „Ich freue mich darauf, wenn wir wieder singen dürfen!“, sagt Windhorn-Stolte. In der Vicelinkirche sind Mund-Nase-Masken Pflicht: In der Vicelinkirche gilt dagegen Tragepflicht für Mund-Nase-Masken. Pastorin Simone Bremer begrüßt sonntags 45 bis 50 Besucher in ihrer Kirche, ungefähr so viele wie vor Corona. Einige wenige Hochbetagte bleiben lieber zu Hause, dafür kommen ein paar neue Besucher regelmäßig, bilanziert sie. Als „großen Einschnitt“ empfindet Simone Bremer, dass sie das große musikalische Programm ihrer Gemeinde herunterfahren musste. Mozart-Requiem zu Ostern, Weihnachtsoratorium im Advent und viele Konzerte fielen und fallen aus. Andrerseits hatte sie beim Video ihres Ostergottesdienstes 1000 Zuschauer: „Mehr, als in die Kirche kommen würden.“ Noch viele offene Fragen zu Weihachten: Und Weihnachten? Für Christen zwar nicht der höchste Feiertag, aber doch das Datum, an dem die Kirchen voll sind wie sonst nicht. 2500 bis 3000 Menschen kommen in normalen Jahren zu den vier Gottesdiensten in die Vicelinkirche – unter den aktuellen Auflagen undenkbar. „Das ist wirklich noch ein Problem“, Simone Bremer hat noch keine Lösung parat. Vielleicht sechs kürzere Gottesdienste mit jeweils maximal 200 Besuchern und Lüftungs- und Desinfektionspausen dazwischen? „Das ist für alle meine Kollegen das große Fragezeichen“, Maike Windhorn-Stolte überlegt auch noch. Einen großen Baum auf dem Parkplatz vor der Kirche aufstellen? Aber im Dezember kann es sehr kalt sein. Außerdem: „Zu Weihnachten gehören doch die Lieder!“, aber auf das traditionelle Singen am vierten Advent wird die Pastorin in diesem Jahr verzichten müssen. Windhorn-Stolte legt ihre Entscheidung in höhere Hände: „Ich hoffe, dass mir der Geist Gottes die richtige Eingebung geben wird.“ Gemeindeleben kommt langsam wieder in Gang: Die großen Feste sind das eine, das Auffällige, was in den Kirchen im Moment anders ist als sonst. Aber auch der Alltag findet nur langsam wieder in gewohnte Bahnen. Pfadfinder, Spielenachmittage, Seniorenfrühstücke, Gruppentreffen – alles lag lange brach und kommt erst nach und nach wieder in Gang. Kaffee und Kuchen, das klingt nach Klischee, dahinter steckt aber gerade für manche Ältere eine wichtige Begegnung, erklärt Simone Bremer: „Gemeinsames Essen ist Ausdruck unseres Glaubens“. Die Konfirmationen, die fürs Frühjahr geplant waren, haben die Vicelin-Pastoren auf 2021 verschoben. Die Konfirmanden-Gruppe trifft sich bis dahin freiwillig weiter: „Das kann der Beginn einer Jugendgruppe sein“, hofft Bremer auf einen positiven Effekt der besonderen Umstände. Junge Leute leider unter Zwangsisolierung: Maike Windhorn-Stolte beobachtet in ihrer Bugenhagen-Gemeinde, dass viele junge Leute „aus den gewohnten Bahnen geworfen“ wurden. Patchwork-Familien und kleine Wohnungen erschweren die Zwangsisolierung: „Beim Online-Studium vereinsamen sie komplett“. Gleichzeitig erlebt die Pastorin „den Schmerz der Menschen in den Pflegeheimen, die keinen Besuch bekamen“. Beide Seelsorgerinnen müssen seit Monaten viel mehr organisieren und bedenken: Wie müssen die Tische gestellt werden, um Abstände zu wahren, wie organisiert man Telefondienst, um Gemeindeglieder anzurufen? Sie erleben, dass die kirchlich Engagierten enger zusammenrücken – jedenfalls emotional –, und gleichzeitig leiden sie unter dem Kontaktverbot. Niemandem nahe kommen dürfen: „Es ist fremd, ich bin ein sehr taktiler Mensch“, sagt Simone Bremer. Maike Windhorn-Stolte stellt für ihre „sehr herzliche Gemeinde“ fest: „Es fällt uns schwer, dass wir uns nicht umarmen dürfen.“ In der Corona-Pause haben sich Dohlen in der Kirche eingenistet: Aber als professionelle Fachfrau für Hoffnung in schweren Zeiten freut sie sich über neue Bewohner ihrer Kirche: „In der Corona-Zeit haben sich Dohlen bei uns eingenistet“, zwei erfolgreiche Bruten mit insgesamt sieben Küken absolvierten die Vögel. Und als sie über den Psalm-Vers sprach: „Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen“, begleiteten die Küken den Text mit ihrem Gezwitscher. Nachrichten aus Neumünster