Nervenarzt war Rädelsführer

Mit einer Waffe fuchtelt Sanitätsrat Jaspersen am Sonnabend, 13. März 1920, mitten in Preetz herum. „Alte Preetzer erinnern sich noch, dass er mit einer Pistole in der Hand – auf den Stufen des Hauses Möller am Markt stehend – die Menschen in Schach hielt“, berichtet Stadtarchivar Peter Pauselius, der für sein Buch „Preetz unterm Hakenkreuz“ mit Zeitzeugen gesprochen hat. Nationalversammlung durch Kapp-Putsch aufgelöst: „Die Nationalversammlung und die preußische Landesversammlung wurden aufgelöst“, können die Bürger am selben Tag noch in der Preetzer Zeitung lesen. Alle Versammlungen in geschlossenen Räumen und auf Plätzen sowie Umzüge und Ansammlungen von Menschenmengen auf den Straßen sowie die Herstellung von Flugblättern werden verboten. Geboren wird Otto Marius Christian Jaspersen 1863 als Sohn einer Kieler Kaufmanns- und Industriellenfamilie. Er studiert Medizin in Kiel, Freiburg und Paris und lässt sich als Nervenarzt in Kiel nieder. 1893 kauft er das fünfeinhalb Hektar große Gelände auf dem Mühlenberg, das damals noch zur Gemeinde Schellhorn gehört. 1895 heiratet er Elisabeth Stender, Tochter eines Besitzers einer privaten Irrenanstalt in der Nähe von Schleswig, und eröffnet ein Jahr später eine moderne Nervenheilanstalt für betuchte Patienten. Im Ersten Weltkrieg dient er als Militärarzt. Das Paar hat vier Kinder, die beiden Söhne Wolfgang und Karsten schließen sich später der NSDAP an, schreibt der Preetzer Studienrat a.D. Rainer Gehrke in einem Bericht für das Jahrbuch „Demokratische Geschichte“ von 2019, in dem er sich mit den Auswirkungen des Putsches auf die Stadt Preetz beschäftigt. Jaspersen engagiert sich in Deutschnationaler Volkspartei: Gleich nach Kriegsende schiebt Otto Jaspersen die Gründung einer Ortsgruppe der Deutschnationalen Volkspartei mit an. 1920 mischt er dann beim Kapp-Putsch mit. Und bringt die Preetzer Zeitung in die Bredouille: Während des Ersten Weltkrieges war mit dem Landratsamt in Plön und der örtlichen Ortspolizeibehörde die Vereinbarung getroffen worden, dass alle amtlichen Mitteilungen den Zeitungen zugestellt und ohne Zensur aufgenommen werden durften, schreiben der frühere Zeitungsverleger Jens Moritzen Hansen und Willi Rönnau in ihrem Buch „Preetz im Spiegel seiner Heimatzeitung“. Doch Sanitätsrat Dr. Jaspersen lehnt das als Vertrauensmann der neuen Regierung strikt ab. Alle eingehenden Meldungen müssen zur Zensur vorgelegt werden. Als die Zeitung einen Aufruf des Reichspräsidenten Ebert mit der Mahnung zu Ordnung und Ruhe abdrucken will, „dringt ein Unteroffizier mit vier bewaffneten Soldaten in das Druckereigebäude ein“, erzählt Hansen. In Preetz wird der Generalstreik ausgerufen: Noch am Sonnabend gründen die drei örtlichen Arbeiterparteien MSPD, USPD und KPD einen gemeinsamen Aktionsausschuss, der den Widerstand gegen die Putschisten in der Stadt organisieren soll, berichtet Gehrke weiter. So wird bereits am ersten Putschtag eine Arbeiterwehr aufgestellt. Am Sonntag, 14. März, wird auch in Preetz der Generalstreik ausgerufen. Lesen Sie auch: Buch von Peter Pauselius - Den Straßennamen auf der Spur Jaspersen stehen zeitweise Reichswehrsoldaten aus Eutin zur Verfügung, Schützenhilfe bekommt er außerdem von bewaffneten Seminaristen des Predigerseminars in Preetz. Landrat Max Kiepert kommt am Dienstag, 16. März, nach Preetz, wo er von den Stadtverordneten gebeten wird, das Militär sofort wieder wegzuschicken. „Sie beschwerten sich bitter über das Verhalten des Sanitätsrats Jaspersen, der mit seinen Bewaffneten die Stadt wiederholt stark beunruhigt habe“, schreibt Kiepert in seinem Bericht an das Oberpräsidium. Er verständigt sich mit den Vertretern der Stadt darauf, „dass der Sanitätsrat ersucht werden soll, den Boden von Preetz nicht mehr zu betreten.“ Zu diesem Zeitpunkt hat sich Jaspersen schon durch den Druck der Arbeiterwehr in seiner Anstalt verschanzt. Nach dem Ende des Putsches am 17. März ziehen einen Tag später die letzten Verteidiger der Heilanstalt ab. Verhaftung von Jaspersen war ein Fehlschlag: Als einige Zeit später ein Kriminalkommissar und zwei Wachtmeister dort auftauchen, um Jaspersen festzunehmen, heißt es, er habe Schellhorn schon vor zwei Wochen verlassen. Eine Durchsuchung gibt es nicht. „Noch heute wird in der Familie Jaspersen kolportiert, dass Otto Jaspersen sich auf dem Dachboden eines der Häuser auf dem Mühlenberg versteckt gehalten habe“, so Gehrke. Nach dem Amnestiegesetz vom August 1920 ist an eine Bestrafung nicht mehr zu denken. Jaspersen kämpft in der Deutschnationalen Volkspartei für seine völkische Ideologie und den Antisemitismus. 1922 erwähnt er in einem Leitartikel des Ostholsteinischen Tageblatts „den begabten Führer Hitler in Bayern“. Später bezeichnet er die „jüdisch beherrschte Demokratie“ als Feind. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch bedrohte im März vor 100 Jahren die junge parlamentarische Demokratie in Deutschland. Rechte Kräfte versuchten am 13. März gemeinsam mit Teilen des Militärs, die Reichsregierung unter Kanzler Gustav Bauer (SPD) zu stürzen. Anführer war General Walther von Lüttwitz mit Unterstützung von Erich Ludendorff und Wolfgang Kapp mit seiner „Nationalen Vereinigung“. Generallandschaftsdirektor Kapp ernannte sich selbst zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten. Der Putsch scheiterte bereits nach 100 Stunden am 17. März am Widerstand von Regierung, Gewerkschaften, Arbeitern und republiktreuen Beamten. Einen großen Anteil daran hatte der am 14. März ausgerufene Generalstreik, der größte in der deutschen Geschichte. Letzter öffentlicher Auftritt nach Hindenburg-Wahl: Seinen letzten öffentlichen Auftritt hat er nach der Wahl von Paul von Hindenburg 1925 zum Reichspräsidenten. Aus diesem Anlass veranstalten die Preetzer Ortsgruppen von Stahlhelm und Bruderschaft des Jungdeutschen Ordens, in denen auch Jaspersen Mitglied ist, einen Fackelzug durch Preetz hinauf zur Mühle. Am 20. Dezember 1926 stirbt er. Gehrke bedauert im Jahrbuch, dass die Rolle Jaspersens im Kapp-Putsch verschwiegen wird. Stattdessen wird 1987 in der neuen Wohnsiedlung auf dem Mühlenberg auf Initiative von Jaspersens Schwiegertochter und Witwe seines Sohns Wolfgang ein Gedenkstein zu seinen Ehren errichtet. Elisabeth Jaspersen regt auch an, einen Weg im Wohngebiet nach dem Arzt zu benennen. In der Stadtvertretung im März 2000 äußert der damalige FWG-Vertreter Dieter Breitenfeld erhebliche Bedenken wegen der Mitwirkung Jaspersens am Putsch und „rechtsradikaler Tendenzen“. Kritik an der Straßenbenennung nach Jaspersen: Zwei Monate später enthüllt der damalige Bürgermeister Wolfgang Schneider trotzdem zusammen mit der Initiatorin das Schild für den Jaspersengang. „Auf die Anbringung eines Nebenschilds mit Erläuterungen war man wohl nicht gekommen“, kritisiert Gehrke.

Kapp-Putsch in Preetz - Nervenarzt Jaspersen fuchtelte mit Pistole herum