Schönkirchen: Schrille Misstöne bei Einweihung der Orgel in Marienkirche

Wenn man die Orgel in der Marienkirche zum ersten Mal sieht, könnte man sich über eine Art „Stilbruch“ wundern: Irgendwie scheint das Instrument oben auf der Empore mit seinem geometrisch-strengen wie schmucklos gestalteten Prospekt nicht recht zu passen in eine der kreisweit ältesten mittelalterlichen Feldsteinkirchen (errichtet 1295). Dafür lässt das 1968 eingebaute Instrument aus der Werkstatt des renommierten Orgelbaumeisters Detlef Kleuker (Brackwede/Westfalen) klanglich keine Wünsche offen. Sogar internationale Stars gaben und geben sich hier die Orgelschlüssel in die Hand. Bei der Orgeleinweihung gab es allerdings schrille Misstöne: Es drohten sogar handfeste Proteste. Feuchtigkeit nach Bombenangriff setzte alter Orgel stark zu: Die erste in den Kirchenchronk aufgeführte Orgel wird der Kirchengemeinde von der Gräfin Catharina Rantzau auf Oppendorf gestiftet und am 28. November 1790 geweiht. 1861 baut Carl Friedrich Christian Trese aus Kiel eine neue Orgel in die Marienkirche ein. Doch Kriegsfolgen setzen der Orgel stark zu. Ein Bombenangriff in der Nacht auf den 24. Juli 1944 reißt fast alle Ziegel vom teilweise zerstörten Kirchendach. Die übrig gebliebenen Dachziegel werden beschlagnahmt und verschärfen damit das Feuchtigkeitsproblem der Orgel, wie aus der Kirchenchronik hervorgeht. Auch eine Renovierung (1952) ändert nichts an ihrem beklagenswerten Zustand. Hammond-Orgel diente als billiges Provisorium: 1963 empfiehlt der Orgelsachverständige der Landeskirche, Alfred Dressel, einen Orgelneubau. Doch die dafür veranschlagte Mindestsumme von 60"000 Euro ist dem Kirchenvorstand angesichts anderer Bauprojekte zu hoch, er setzt stattdessen auf eine preiswertere Alternative: am 17. April 1964 wird eine Hammond-Orgel angeschafft – für Dressel ein Frevel: „Eine Hammond-Orgel hat ohne Zweifel ihre Existenzberechtigung in der Tanz- und Unterhaltungsmusik, für gottesdienstlich-liturgische Zwecke ist sie jedoch denkbar ungeeignet“, schreibt er wütend an das Landeskirchenamt. Lesen Sie auch: Dreister Bücherdieb räumt Tauschbörse-Regale leer Der Druck von oben zeigt Wirkung: Am 20. Januar 1966 beschließt der Kirchenvorstand den Bau einer neuen Orgel. Am 22. Dezember 1968 wird die Kleuker-Orgel zwar feierlich eingeweiht – allerdings begleitet von äußerst schrillen Misstönen. Pastor Dieter Müller gründet in Schönkirchen den „Kreis junger antiautoritärer Christen“, der sich gegen den Einbau der Orgel wendet. Sogar der NDR berichtet im Dezember 1968: „Während die Leitung der evangelischen Landeskirche beschlossen hat, für die Hungernden in Biafra 50.000 DM zu spenden, wird in Schönkirchen für 105.000 DM eine neue Pfeifenorgel gebaut, obwohl die alte elektronische Orgel liturgisch völlig einwandfrei ist“, tönt es aus den Radios. Sogar ein Rollkommando sollte anrücken: Gerüchte machen die Runde: Zur Orgelübergabe wollten Schüler des Wellingdorfer Gymnasiums mit Transparenten, Plakaten und Handzetteln vor der Kirche demonstrieren. Sogar mit Rollkommandos des Sozialistischen deutschen Studentenbundes aus Braunschweig sei zu rechnen. Doch es blieb alles friedlich im Einweihungsgottesdienst. Nur fünf Jugendliche des „Kreises junger antiautoritärer Christen“ standen mit Plakaten an der Kirchentür und verteilten Flugblätter an die Kirchenbesucher. Das war's. DDR-Star-Trompeter wird mit Naturalien bezahlt: Dass die Kleuker-Orgel gut klingt, dringt auch an die Ohren von Spitzenmusikern. Der britische Organist James Dalton (Oxford) produziert in den 1970er- und 1980er-Jahren mehrere Schallplatten in der Marienkirche, auch der Dresdner Star-Trompeter Ludwig Güttler gibt hier mit seinem Organisten Friedrich Kircheis regelmäßig Konzerte. „Bezahlt wurde Güttler zu DDR-Zeiten in Naturalien, die es drüben nicht gab“, erinnert sich Marianne Johannsen, die 17 Jahre lang mit dem Kreis der Freunde der Kirchenmusik früher bis zu zwölf Konzerte im Jahr in der Marienkirche organisierte. "When too perfect, lieber Gott böse": Jürgen Waldner, ehemaliger VHS-Leiter in Schönkirchen, kann sich gut an den Musiker erinnern, der stets im Trabi anreiste und keine Angst vor Kontrollen seiner Schmuggelware aus dem Westen haben musste: „Der war so bekannt, dass er an der Grenze einfach durchfahren konnte.“ Organisten haben offenbar Sinn für Humor. Über den Orgel-Manualen klebt ein Zettel mit einer Aufforderung an Kollegen zur musikalischen Gelassenheit trotz aller geistlichen Ernsthaftigkeit: „When too perfect, lieber Gott böse!“