Zeitzeuge in Eutin Als Kind den Holocaust überlebt Tswi Herschel

„Ich hasse keinen von ihnen“, sagte der 79-Jährige zu den angehenden Beamten in bestem Deutsch, das er auf dem Gymnasium gelernt hat. Sie seien eine neue Generation. Herschel hätte Grund genug, die Deutschen zu hassen. Am 29. Dezember 1942 in Zwolle geboren schicken die deutschen Besatzer seine jüdischen Eltern und ihn ins Ghetto von Amsterdam. Es ist die Vorstufe zum Konzentrationslager, zum Tod. Das weiß die junge Familie. Zwei holländische Familien helfen: Sein Vater bittet Freunde, seinen Sohn bei sich aufzunehmen und zu verstecken. Eine Frau schmuggelt zusammen mit ihrer Tochter Herschel als dreimonatiges Baby aus dem Ghetto. Weil es für sie zu gefährlich ist, das Kind aufzuziehen, geben sie es an die Familie Willem und Marje de Jong. Dort wächst er mit seinen dunklen Locken unter Eltern und fünf Geschwistern auf, die allesamt blond sind. Keiner schöpft Verdacht, dass „Henk“ – so wird er genannt – nicht zur Familie gehört. Seine Eltern sterben am 27. Juli 1943 im KZ Sobibor. Sie waren 27 und 24 Jahre alt. Sein Großvater verübt Selbstmord in Vorahnung darauf, was die Nazis mit ihm anstellen wollen. Hochzeitsfoto mit schwarzem Kleid: Herschel zeigt den angehenden Polizisten das Hochzeitsfoto seiner Eltern aus dem Jahr 1942. Die Braut trägt überraschend ein schwarzes Kleid. Sie zeigt Trauer für die Familienangehörigen, die bereits deportiert worden sind. „90 Prozent von ihnen war schon nicht mehr da.“ Nach der Befreiung ein neues Trauma: Mit der Befreiung im Mai 1945 beginnt für Herschel ein neues „Trauma“, wie er sagt. Seine Großmutter hat den Holocaust überlebt und nimmt das Kind den de Jongs weg. Die traumatisierte Frau erteilt ihnen ein Kontaktverbot zum Jungen. Statt in der gewohnten Kirche sitzt er nun in einer Synagoge. Es gibt nur koscheres Essen, was ihm unbekannt ist. Herschel versteht nicht, was mit ihm passiert. Erst als junger Mann erhält er den väterlichen Nachlass: Erst als Achtjähriger erfährt er durch ein Tagebuch seines Vaters, dass die de Jongs nicht seine Eltern sind, sondern es Nico und Ammy Herschel waren. In den De Jongs sieht er aber bis heute seinen Vater, Mutter und Geschwister. Seine Großmutter überlässt ihm erst als jungen Mann den gesamten Nachlass seiner leiblichen Eltern mit Fotos und Dokumenten. Die Wünsche seines Vaters wurden wahr: Darunter befindet sich eine Besonderheit: Sein Vater zeichnete vor seiner Deportation einen Lebenskalender mit 24 Bildern für seinen Sohn. Es ist ein Wunschzettel, wie Tswi Herschel einmal aufwachsen, reisen, eine Familie gründen, nach Israel auswandern soll. Die Wünsche wurden war. Herschel heiratete, bekam zwei Töchter. Mit ihnen wanderte er 1986 nach Israel aus, wo der erfolgreiche Geschäftsmann bis heute lebt. Seine Tochter brachte ihn als Fünfjährige dazu, die Familiengeschichte genau zu studieren. „Warum habe ich keine Großeltern wie die anderen?“, fragte sie ihren Vater. Herschel recherchierte und schrieb seine Familiengeschichte auf. Keine geringerer als der Publizist Elie Wiesel ermunterte ihn, dazu Vorträge vor jungen Menschen zu halten. In vielleicht 1000 Treffen berichtete er der jungen Generation in Deutschland, Holland und den USA über seine persönliche Überlebensgeschichte. Dafür erhielt er von Bundespräsident Franl-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz. "Hass ist keine Antwort": Die Haltung Herschels wird bei einer Frage eines der Polizeischülers deutlich. Ob er nach seinen Erlebnissen noch Vertrauen in die deutsche Polizei habe, wollte er wissen. „Ja, denn Hass ist keine Antwort.“ Mehr Nachrichten aus dem Kreis Plön lesen Sie hier.

Zeitzeuge in Eutin - Als Kind den Holocaust überlebt